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Dabei sind die vorangegangenen Organisationsentscheidungen des Arbeitgebersnatürlich von großer Bedeutung. Im Allgemeinen wird man sagen können: je flacher die Hierarchie ist, desto tiefer und differenzierter ist die dem Mitarbeiter übertragene Tätigkeit. Definiert der Arbeitgeber in seiner Organisation das angestrebte Arbeitsergebnis umfassend, hat das zur Folge, dass der Arbeitsvorgang in der Regel „größer“ wird und eine höhere tarifliche Wertigkeit aufweist.
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Beispiele:
– Aufnahme von Beschwerden und Organisation der Abhilfe, statt nur: Aufnahme und Ordnung von Beschwerden, Weiterleitung an die für die Abhilfe zuständigen Stellen;
– Umfassende Betreuung einer Pflegefamilie durch einen Sozialarbeiter (incl. Entscheidungen über Hilfeplanmaßnahmen, Inobhutnahme von Kindern, Anfertigung von Gutachten für das Familiengericht), statt nur: Betreuung von Pflegekindern, mit der Pflicht zur Information in Krisensituationen an andere zuständige Stellen des Jugendamtes, die die weitere Bearbeitung übernehmen;
– Bearbeitung aller Wohngeldakten eines Bezirks vom Antrag bis zum rechtskräftigen, ggf. gerichtlichen Abschluss, statt nur: Bearbeitung von Wohngeldanträgen bis zum ersten Bescheid, Durchführung des Widerspruchs- und Klageverfahrens durch andere Mitarbeiter.
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Es ist nicht zu verkennen, dass damit dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet wird, durch Organisationsentscheidungen i.V.m. der Ausübung seines Direktionsrechts den Pflichtenkreis des Arbeitnehmers so festzulegen, dass er – interessengerecht – tariflich möglichst in der niedrigeren anstatt in der höheren Tarifgruppe einzuordnen ist.46 Darin liegt aber kein Fehler des Systems, sondern es handelt sich um die bloße Auswirkung der Reichweite des Direktionsrechts und des Schwierigkeitsgrades der vom Arbeitgeber rechtmäßig übertragenen Tätigkeiten des Arbeitnehmers.
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Die Bestimmung des Arbeitsvorgangs erfolgt grundsätzlich ohne Heranziehung der tariflichen Merkmale. Er ist allein aufgrund der für ihn maßgebenden Tatsachen zu bestimmen. Unter Anwendung dieser Grundsätze kommt die Praxis oft zu dem Ergebnis, dass nur wenige Arbeitsvorgänge vorliegen. Es ist – insbesondere im Bereich von Funktionszuweisungen (z.B. Kassenleiter) – nicht selten, dass die gesamte Tätigkeit des Arbeitnehmers als ein einziger großer Arbeitsvorgang angesehen wird, da alle einzelnen Arbeitsschritte demselben Arbeitsergebnis dienen und deshalb die Tätigkeit insgesamt einheitlich zu bewerten ist. Das ist in der Regel für den Arbeitnehmer vorteilhaft, weil die beim Arbeitsvorgang anfallenden höchsten Anforderungen für die Gesamtbewertung des Arbeitsvorgangs maßgebend sind.
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Erst wenn dieser Vorgang abgeschlossen ist, erfolgt die tarifliche Bewertung (dazu unten Rn. 56 ff.). Liegen mehrere Arbeitsvorgänge vor, die jeweils einem anderen Arbeitsergebnis dienen, sind sie jeweils in ihrer tariflichen Wertigkeit für sich genommen zu bestimmen.
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In der Praxis der Eingruppierung in der Privatwirtschaft werden sich diese Probleme nicht in jedem Fall stellen, weil durch Gepflogenheiten der Branche oder eindeutige Zuordnungen jeweils hinreichend klar und deutlich ist, um welche „Kern-Tätigkeit“ es geht, und auch Konsens über die Zuordnung von weiteren Arbeitsschritten zu dieser Tätigkeit besteht. Das weist darauf hin, dass es sich bei der konkreten Anwendung deshalb nicht um ein praktisches Problem handelt, weil die notwendige Zuordnung und Zusammenfassung sich ohne weiteres erschließt. Dies ist aber keineswegs immer der Fall, weshalb dieser Punkt bei der Prüfung nicht ausgelassen, sondern allenfalls seine unproblematische Handhabung konstatiert werden darf.
4. Der Zuordnungsvorgang der Eingruppierung
a) Die Anwendung der Tätigkeitsmerkmale
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Nachdem auf diese Weise die dem rein gedanklichen Vorgang der Eingruppierung vorausgesetzten Faktoren (a) abstrakte Anforderungen der einzelnen tariflichen Tätigkeitsmerkmale und (b) Ermittlung/Bestimmung der tariflich zu bewertenden Arbeitseinheit des betr. Arbeitnehmers in der notwendigen Eindeutigkeit feststehen, geht es bei der eigentlichen Eingruppierung darum, diese beiden Faktoren zueinander in Beziehung zu setzen. Dabei ist in einem ersten Schrittzu ermitteln, ob die maßgebende Tätigkeit des Arbeitnehmers eines der zu einem Tätigkeitsmerkmal vereinbarten Richtbeispiele erfüllt. Ist dies der Fall, steht die Eingruppierung regelmäßig fest.47 Findet sich kein Richtbeispiel, das eine solche eindeutige Zuordnung ermöglicht, ist ein Vergleich zwischen den Merkmalen der Tätigkeit einerseits und den abstrakten Anforderungen der im Entgeltschema genannten Vergütungsgruppen andererseits vorzunehmen. Dies ist bei vielen privatwirtschaftlichen Tarifverträgen deutlich einfacher als im öffentlichen Dienst. Denn nicht nur die Richtbeispiele, sondern auch die allgemeinen Beschreibungen der Tätigkeitsmerkmale sind oft auf die Branche zugeschnitten und orientieren sich an häufig auftretenden und vielfach nicht umstrittenen Tätigkeitsbezeichnungen. Werden einzelne Begriffe der Tätigkeitsmerkmale dabei nicht im Tarifvertrag selbst definiert, ist davon auszugehen, dass sie den Begriff in dem Sinne gebraucht haben, wie er dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem der beteiligten Kreise entspricht, z.B. nach dem Tarifvertrag für den Einzelhandel der Begriff der „Sammelkasse“48 oder des „Verbrauchermarktes“.49 Soweit die Anforderungen durch die dafür erforderliche Ausbildung definiert werden, ist auf die entsprechenden Lehrpläne und Ausbildungsordnungen zurückzugreifen, die daraufhin überprüft werden, ob die dort zu vermittelnden Kenntnisse und Fähigkeiten für das gesamte Spektrum der zu bewertenden Arbeitseinheit unverzichtbar sind; eine bloße Nützlichkeit für die ordnungsgemäße Leistung der übertragenen Tätigkeit reicht dabei nicht aus. Letztlich empfiehlt sich auch ein Blick in die zu der konkreten (oder einer ihr ähnlichen) Entgeltordnung ergangene Rechtsprechung des BAG, die sich mit unzähligen Tätigkeitsmerkmalen intensiv befasst hat.
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In der Metall- und Elektroindustriehat die Einführung des ERA zwei unterschiedliche Arbeitsbewertungssysteme hervorgebracht. In den meisten Bezirken wurde eine summarische Arbeitsbewertung zugrunde gelegt. Dabei werden die Anforderungen der Arbeit, des Arbeitsplatzes oder des Arbeitsbereichs in einer globalen Betrachtung erfasst und je nach ihrer Wertigkeit verschiedenen Entgeltgruppen zugeordnet. In diesem Bereich findet sich insoweit eine bedeutsame Abweichung von einem sonstigen allgemeinen Eingruppierungsgrundsatz. Normalerweise verlangt die Eingruppierung in eine bestimmte Entgeltgruppe das Vorliegen aller dort genannten Anforderungen; fehlt es an der Erfüllung auch nur einer Anforderung, ist eine Einstufung in diese Gruppe nicht möglich. Anders in den Bezirken der Metall- und Elektroindustrie mit summarischer Arbeitsbewertung: Hier ergibt sich aus den Tarifverträgen mit notwendiger Klarheit der Wille der Tarifvertragsparteien, eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, in der eine mögliche Nicht- oder Untererfüllung hinsichtlich eines der drei Kriterien (erforderliche Ausbildung, Grad der Komplexität der Aufgabe, Maß der Vorgaben vs. selbständiger Erledigung) kompensiert werden kann durch die Übererfüllung eines anderen Merkmals. Ferner sollen die zeitlichen Anteile verschiedenwertiger Einzeltätigkeiten ausdrücklich keine Rolle spielen.50 Dies entspricht jedenfalls im Ergebnis dem in den Tarifgebieten NRW und Baden-Württemberg vereinbarten analytischen Verfahren, in NRW in der Form eines Punktbewertungssystems, in BW in Form eines Stufenwertzahlverfahrens. Dabei werden die Anforderungen weitgehend untergliedert und ihnen jeweils einzelne Punktzahlen oder Stufenwertzahlen zugeordnet, aus deren Summe sich jeweils die Entgeltgruppe ergibt. Auch hier sind derartige Kompensationsmöglichkeiten eröffnet.
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