35
Eine solche wirksame vertragliche Verweisung tritt bei gleichzeitiger normativer Geltung eines (Vergütungs-)Tarifvertrags neben diese. Wird auf den einschlägigen Tarifvertrag verwiesen, ergeben sich aus diesem doppelten Rechtsgrund keine Besonderheiten. Verweist der Arbeitsvertrag auf einen anderen als den normativ geltenden Tarifvertrag, ist im Arbeitsverhältnis die günstigere Regelung anzuwenden (§ 4 Abs. 3 TVG). Der dabei durchzuführende Günstigkeitsvergleichist nicht an einzelnen Bestimmungen, sondern unter Heranziehung der sog. „Sachgruppen“ zu vollziehen. Bei dem Vergleich von Vergütungssystemen ist dies oftmals nicht einfach. Ist eine günstigere Regelung nicht auszumachen, ist nach dem Gesetzeswortlaut das normativ geltende System verbindlich.28
c) Die Benennung einer Entgeltgruppe im Arbeitsvertrag
36
Nicht selten wird im Arbeitsvertrag eine konkrete Vergütungsgruppe einer Entgeltordnung genannt, ggf. verbunden mit einem konkreten Geldbetrag.
37
Beispiel: „Der Arbeitnehmer erhält Entgelt nach der Entgeltgruppe 7 BETV“, oder kürzer: „Entgelt: BETV EG 7“.
38
Hier kann sich ein schwieriges Auslegungsproblem stellen:29 Die Parteien des Arbeitsvertrags können damit vereinbart haben, dass sich die Vergütung des Arbeitnehmers nach den jeweiligen Beträgen richtet, die die Tarifvertragsparteien für die ausdrücklich genannte Vergütungsgruppe festlegen – ohne Rücksicht darauf, ob die Tätigkeit des Klägers die tariflichen Anforderungen der Vergütungsgruppe erfüllt. Hiervon muss jedenfalls dann ausgegangen werden, wenn es selbst bei unmittelbarer Geltung des Tarifvertrags keine Vergütungsgruppe gegeben hätte, in die der Arbeitnehmer hätte eingruppiert werden können (Beispiel: Lehrer, deren Vergütung tariflich nicht vorgesehen ist/war30) oder wenn bewusst eine Entgeltgruppe aus einem Entgeltsystem vereinbart wird, das nach seinem Geltungsbereich für die Tätigkeit des Arbeitnehmers nicht einschlägig sein kann.31 Aus der Nennung einer Tarifgruppe im Arbeitsvertrag könnte sich aber auch entnehmen lassen, dass die Parteien davon ausgegangen sind, dass die Tätigkeit die Anforderungen des entsprechenden tariflichen Tätigkeitsmerkmals erfüllt und die Bezeichnung insofern eine „Wissenserklärung“ mit deklaratorischem Charakter ist – mit der Folge, dass bei einer Änderung der Tätigkeit auch eine andere Vergütungsgruppe verbindlich werden kann. Dies wird regelmäßig bei einer gleichzeitigen Verweisung auf den Tarifvertrag der Fall sein.32
39
Dabei ist zu beachten, dass der Vereinbarung einer höheren als der tarifvertraglichen Vergütung nichts entgegensteht. Handelt es sich dabei um ein systematisches Vorgehen des Arbeitgebers, ist er jedoch insoweit an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzgebunden, als er aus diesem von ihm selbst geschaffenen „System“ nicht willkürlich einzelne Arbeitnehmer herausnehmen darf (denen er dann lediglich das Tarifentgelt zahlt), sondern es entsprechend seiner eigenen Entscheidung auf alle diejenigen anwenden muss, die vergleichbare Tätigkeiten ausüben.33 Hierauf kann sich ein Arbeitnehmer auch berufen. Diese Konstellation birgt Fallstricke für den Arbeitgeber.
40
Beispiel: Ein Arbeitgeber vergütet einen Mitarbeiter – unter Beachtung der „Tarifautomatik“ tarifgerecht – nach Entgeltgruppe 7 der tariflichen Entgeltordnung. Zahlt er anderen (nicht notwendig allen) mit denselben Arbeitsaufgaben betrauten Kollegen Entgelt nach der EG 8 der Entgeltordnung, hat dies zwar keine Auswirkung auf den Tarifanspruch des Mitarbeiters, wenn die Tätigkeit selbst nur die Anforderungen der EG 7 erfüllt. Der Mitarbeiter ist aber nicht gehindert, sich im Prozess dann – außer auf die seiner Meinung nach vorliegende Erfüllung der Tätigkeitsmerkmals-Anforderungen nach EG 8 – hilfsweise auf den Grundsatz der arbeitsrechtlichen Gleichbehandlung zu berufen, weil seine Kollegen nach dieser Entgeltgruppe bezahlt werden. Will der Arbeitgeber dagegen geltend machen, es handele sich bei ihnen um eine irrtümlich zu hohe Eingruppierung, sollte er es nicht dabei bewenden lassen. Denn unternimmt er danach nicht angemessene Bemühungen um eine Absenkung der Entgeltansprüche der Kollegen, sondern bezahlt diese weiter nach der EG 8, muss er sich vorhalten lassen, dass zumindest ab diesem Zeitpunkt eine bewusste übertarifliche Entlohnung vorgenommen wird.34
d) Die Anwendung des Tarifvertrags durch betriebliche Übung
41
Grundsätzlich kann die dynamische Anwendung einer tariflichen Vergütungsordnung zwar auch durch eine betriebliche Übung erfolgen. Von einer solchen ist aber nur dann auszugehen, wenn der Arbeitgeber sich nicht – berechtigt oder irrtümlich – zur Anwendung der betr. Entgeltordnung aus einem anderen Rechtsgrund verpflichtet gesehen hat.35 Die Rechtsprechung des BAG geht ferner davon aus, dass allein eine jeweilige Weitergabe der tariflichen Entgelterhöhungen auch an die Arbeitnehmer, die weder tarifgebunden sind noch eine – ausdrückliche – Verweisungsklausel in ihrem Arbeitsvertrag haben, für die Annahme einer betrieblichen Übung zur Anwendung eines Entgeltsystems im Ganzen nicht ausreicht. In einem solchen Fall bringt der Arbeitgeber durch die gewährte Entgelterhöhung lediglich zum Ausdruck, dass er die konkreteTarifsteigerung weitergibt, sich von ihr also nicht einfach lösen kann, aber nicht die prinzipielle Anbindungan jede – weitere – Entgeltsteigerung durch die Tarifvertragsparteien.36
3. Die Bestimmung der zu bewertenden „Arbeitseinheit“
42
Bei der Eingruppierung ist den abstrakten Anforderungen aus der Entgeltordnung die zu bewertende Tätigkeit des Arbeitnehmers gegenüberzustellen. Deren Festlegung ist ein oft unterschätzter Vorgang. Denn einerseits kann nicht jede Tätigkeit als Ganzes bewertet werden. Dafür ist die Vielfalt der übertragenen Aufgaben oft zu groß. Andererseits ist auch nicht „jeder Handgriff“ gesondert einem tariflichen Merkmal zuzuordnen. Deshalb müssen die zu bewertenden Arbeitseinheiten nach Maßgabe der einschlägigen Vorschriften zusammengefasst werden.
a) Die Notwendigkeit einer Zusammenfassung von Arbeitsschritten
43
Die hierfür heranzuziehenden Bestimmungen der tariflichen Regelungen sind dabei – vor allem in der Privatwirtschaft – oft nicht sehr hilfreich. Beispiele:
– TV ERA Metall, Bezirk Küste – § 3: Grundlage der Eingruppierung sind die Anforderungen aus der übertragenen Arbeit (Tätigkeiten, Aufgaben, Aufgabengebiete oder Aufgabenbereiche) an die Beschäftigten. Hierbei werden alle Anforderungen, soweit sie die übertragene Arbeit im Wesentlichen prägen, in ihrer Gesamtheit bewertet. Es sind die Anforderungen prägend, die die Wertigkeit der Arbeit bestimmen. Dabei kommt es nicht auf die Prozente der einzelnen Arbeitsanteile an.
– TV ERA Metall NRW – § 2 Abs. 3: Grundlage der Eingruppierung des Beschäftigten ist die Einstufung der übertragenen und auszuführenden Arbeitsaufgabe. Die Arbeitsaufgabe kann eine Einzelaufgabe beinhalten oder einen Aufgabenbereich umfassen. ... Abs. 4: Werden einem Beschäftigten mehrere Arbeitsaufgaben übertragen, die wegen des fehlenden unmittelbaren arbeitsorganisatorischen Zusammenhangs nicht ganzheitlich zu betrachten sind und die verschiedenen Entgeltgruppen zugeordnet sind, ist er entsprechend der überwiegenden Tätigkeit einzugruppieren.
– TV ERA Metall Niedersachsen – § 2 Abs. 1: Die Beschäftigten werden entsprechend ihrer Tätigkeit in einer der Entgeltgruppen ... eingruppiert ... Abs. 3: Für die Eingruppierung der Beschäftigten in eine Entgeltgruppe ist allein die Tätigkeit maßgebend, nicht die Ausbildung.
Читать дальше