An wen richtet sich diese Studie? Die Zielgruppe dieser Studie sind insbesondere aktive und zukünftige Führungskräfte, die bereits gespürt haben, dass es in Organisationen ab einer gewissen Größe keine (unternehmens-)kulturelle Einheitlichkeit geben kann, und die in diesem Umstand bereits Vor- wie auch Nachteile sehen. Hier sollen sie Impulse bekommen, wie man die Vielfalt besser beschreiben, verstehen und nutzen kann.
Von der Studie können aber auch Beraterinnen und Berater profitieren und alle anderen, die Organisationen hinsichtlich neuer Führungs- und Arbeitsformen begleiten. Gerade an sie richtet sich der Appell, nicht das eine Allheilmittel zu verschreiben, sondern in kulturellen Werkzeugkästen zu denken (mehr zu dieser Metapher später).
Wer sich bereits intensiv mit der Literatur zur Unternehmenskultur beschäftigt hat, wird vieles wiedererkennen, jedoch mit der klaren Akzentsetzung und dem Fallbeispiel einige frische Gedanken bekommen, wie man Kultur von Anfang an vielfältiger und dynamischer denken kann. Andere Studien bleiben noch viel zu lange in früheren, recht statischen Kulturkonzeptionen verhaftet, die der Realität nicht mehr gerecht werden.
Wie ist diese Studie aufgebaut? Die Studie beginnt mit einer Betrachtung des agilen Managements als eines neuen Konzepts, das Bewegung in die Unternehmenskultur(en) bringt, dabei aber Gefahr läuft, als neuer Königsweg absurd zu werden. Die befreiende Wirkung, die das Agilitätskonzept haben kann, kippt in Beklemmung, wenn eine radikale Umsetzung gefordert wird. In diesem Sinne problematisiert der folgende Abschnitt den Mythos der starken Unternehmenskultur und die Tendenz zu kultureller Standardisierung. Sodann erörtern wir systematisch die Realität der unternehmenskulturellen Vielfalt und der Subkulturen mit ihren Vorzügen und Problemen, bevor wir uns mit dem Fallbeispiel CAR (Pseudonym für ein reales Großunternehmen, das vom Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung beforscht wurde) auf die Reise des Agilitätskonzepts in einer etablierten, bürokratischen Unternehmenskultur begeben. Aus den Erfahrungen bei CAR lassen sich dann im Schlussteil weitere Anregungen für die Führungsarbeit ableiten.
Die Hauptbotschaft vorab: Organisationskulturen sind Mittel und zugleich Ergebnis von Problemlösungsprozessen und die gute Zusammenarbeit trotz unterschiedlicher (Wert-)Vorstellungen ist möglich, wenn die gemeinsamen Ziele pragmatisch in den Vordergrund gestellt werden. Das bedeutet, nicht so sehr darauf zu schauen, was uns persönlich in unseren Vorstellungen und Gewohnheiten trennt, sondern was wir gemeinsam erreichen wollen: Das Ergebnis zählt!
Food for Thought: Bevor es losgeht …
Auf den folgenden Seiten werden Sie möglicherweise mit Argumenten konfrontiert, die Ihrem bisherigen Verständnis von Unternehmenskultur nicht ganz entsprechen. Doch was ist Ihre bisherige Sichtweise auf dieses Thema?
•Wie stark hängen neue Führungs- und Arbeitsformen mit kulturellen Veränderungen zusammen?
•Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach, dass es in einer Organisation eine klare kulturelle Orientierung gibt?
•Inwieweit machen Sie Führungskräfte dafür verantwortlich, welche (Wert-)Vorstellungen in Organisationen wie gelebt werden?
Das sind schwierige Fragen. Auch weil sie sehr grundlegend sind. Was fällt Ihnen spontan dazu ein? Was sind Ihre intuitiven Grundannahmen?
Neue Konzepte, neue Kultur? Wenn Agilität absolut absurd wird
Endlich frei: Die belebende Kraft neuer Formen
„Wie arbeiten wir hier eigentlich zusammen?“ – allein schon diese Frage zu stellen, kann für Führungskräfte auf allen Ebenen und die Menschen um sie herum Ausdruck eines Unbehagens und zugleich der Beginn einer positiven Veränderung sein. Wie könnte man es anders und besser machen? Welche neue Führungs- und Arbeitsweise könnte funktionieren? Besonders wenn die eigene Frustration und der Druck von außen steigen, können neue Managementkonzepte äußerst reizvoll, belebend, ja geradezu befreiend wirken. Nicht erst in der heutigen Zeit, sondern im Grunde seitdem die Menschen in großen Gruppen kooperieren, suchen sie nach Wegen, ihre gemeinsamen Ziele besser zu erreichen. Jeder neue Weg weckt Hoffnungen, birgt aber Risiken. Man will den bestmöglichen Weg finden, könnte sich dabei aber auch verschlechtern.
Ein neuer Weg, der aktuell viel diskutiert wird, ist das Konzept des agilen Managements (siehe Textkasten). Hört man den Begriff zum ersten Mal, wirkt er in seiner Metaphorik von Beweglichkeit und Wendigkeit gleich frisch und sympathisch. Agil ist eben nicht so fest und starr wie die Führungs- und Arbeitsprozesse in vielen Unternehmen. Beschäftigt man sich mit dem Begriff genauer, entdeckt man eine schillernde Welt mit vielen attraktiven Ideen, Techniken und einer schlüssigen Logik, die uns drängt, uns endlich auf die schnelle, ungewisse, komplexe und mehrdeutige – zudem digitale – Welt einzustellen. Man hört von aktuellen Beispielen wie Spotify und Pionieren wie Gore für den erfolgreichen Einsatz der Agilität. Ratgeber und Handbücher sind voll davon und bieten Hilfestellung bei der Umsetzung in der eigenen Organisation an. Ist Agilität auch schon bei Ihnen angekommen? Haben Sie nur davon gehört – spätestens jetzt? Oder sind Sie bereits auf dem Weg, agil zu führen und zu arbeiten?
Was ist agiles Management?
Die inzwischen ausgesprochen bunte Literatur zu diesem Stichwort rekurriert regelmäßig auf das 2001 veröffentlichte Agile Manifesto ( agilemanifesto.org) mit vier Leitsätzen und zwölf Prinzipien, die ursprünglich für die Softwareentwicklung verfasst wurden. Urheber sind 17 Hightech-Aktivisten, die in einer Skihütte in Utah ihre Werte und ihre Arbeitsweise definierten und damit seit einigen Jahren auch außerhalb der Softwarebranche Unternehmen inspirieren. Agilität als Organisationsprinzip und Managementkonzept steht insbesondere für Anpassungsfähigkeit, Vernetzung und Kundenorientierung. Sie entsteht aus einer gewissen anarchischen, kritisch-konstruktiven Haltung gegenüber etablierten Strukturen und Prozessen, die ein proaktives und innovatives Arbeiten erschweren. Die bekannteste Methode des agilen Führens und Arbeitens ist das intensive und iterative Scrum (wörtlich: Gedränge) mit spezifischen Rollen, Artefakten und Aktivitäten für das agile Arbeiten.
In dieser Studie geht es nicht primär um Agilität und vor allem nicht darum, grundsätzlich anzuzweifeln, dass der agile Ansatz funktioniert. Das agile Manifest ist mindestens ein guter Gedankenanstoß, einmal zu überprüfen, ob man zu stark auf Prozesse, Dokumente, Verträge und Pläne fixiert ist. Ausgearbeitete Methoden wie Scrum können einem die Augen öffnen, wie eine andere Arbeitsweise konkret aussehen könnte. Agilität ist nur eines der neuesten Managementkonzepte, das viele befreiend finden – aber nicht alle. Agilität ist das aktuelle Paradebeispiel dafür, wie neue Elemente der Unternehmenskultur auf alte treffen.
Woher neue Managementkonzepte kommen, wann und wie sie sich durchsetzen und warum sie auch wieder verschwinden, ist inzwischen ein gut etablierter Forschungszweig. Es fällt auf, dass die konkreten Inhalte der Konzepte nicht entscheidend zu sein scheinen: dass sie sogar nicht zu konkret sein sollten , denn um ihre befreiende Wirkung zu entfalten, müssen sie noch Spielräume lassen, zugleich aber insgesamt einen weit greifenden Geltungsanspruch erheben und eine Art Garantie geben, dass sie funktionieren. Wer einen neuen Weg vorschlägt, kann demnach vage bleiben, muss jedoch mit voller Überzeugung vertreten, dass es der einzig richtige Weg ist, und zwar möglichst für alle, damit dann viele folgen. Die Aussicht auf Erfolg muss geradezu greifbar sein, damit etwas in Bewegung kommt. Das Neue nicht als Wagnis, sondern als Rettung.
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