»Nein,« antwortete Frau von Harville sehr verlegen, »er hatte keine Lust auszugehen.« – »Mir kommt es so vor, als lasse er sich jetzt immer weniger in Gesellschaft sehen, während Sie immer in arge Unruhe geraten, sobald die Rede auf Ihren Gemahl kommt.« – »Ich? Aber das ist doch Ihr Ernst nicht!« – »In Ihren Zügen kommt, wenn Sie auf ihn zu sprechen kommen, vielleicht ohne daß Sie es wollen, eine gewisse schüchterne Abneigung zum Ausdruck, ein Widerwillen, wie ihn jemand durch eifersüchtiges, mürrisches Wesen hervorrufen kann.«
Frau von Harville antwortete rasch: »Nein, mein Mann ist weder eifersüchtig, noch mürrisch.« Dann fuhr sie, sicher in der Absicht, ein ihr lästig gewordenes Gespräch abzubrechen: »Herr du meine Güte! Da kommt der unausstehliche Lucenay, ein Intimus von meinem Manne. Und ich meinte, er sei an tausend Meilen weit weg.« – »Es hieß tatsächlich, er sei auf ein paar Jahre nach dem Orient gereist. Das nenne ich eine unvermutete Heimkehr, die der Herzogin sicherlich recht unangenehm gewesen sein wird, mag ihr auch der Herzog nirgendswo in den Weg treten,« meinte Sarah mit feinem Lächeln. »Im übrigen wird sie ja nicht die einzige sein, die über diese plötzliche Wiederkunft grollt. Herr von Saint-Remy, das Muster aller Elegants, der ganz Paris durch seinen Luxus blendete, wird sich auch nicht wenig ärgern, soll er doch so gut wie ruiniert sein, wenn man es auch an dem Aufwand, den er macht, nicht merkt; seine Frau freilich ist ja unermeßlich reich ...« Sie hielt jäh inne – – – »Ach, Gott!« rief sie, »der Herzog hat uns gesehen, er kommt, wir müssen uns schon drein ergeben!«
Der Herzog von Lucenay, einer der vornehmsten Familien Frankreichs angehörig und noch jung, mit einem Gesicht, das einst schön und männlich gewesen, aber durch die maßlose Ausschweifung, der er sich hingegeben, den häßlichen Zug der Abgelebtheit bekommen hatte, war hastig und jäh in seinen Bewegungen, schrie und lachte ungebärdig, führte auch allerhand unflätige Reden im Munde, daß man sich immer seines hochadeligen Namens erinnern mußte, um zu begreifen, wie er Zutritt zur vornehmsten Gesellschaft von Paris finden konnte. Seine Gemahlin war eine Dame von nicht geringer Schönheit, die trotz ihrer dreißig Jahre noch zu den interessantesten Erscheinungen dieser Kreise zählte, doch nicht tadellos in ihrem Wandel war, was man ihr aber in Anbetracht des unausstehlichen Wesens ihres Mannes bereitwillig nachsah. –
»He, he!« rief er, »was sieht man da? Die schönste Dame auf dem ganzen Balle zieht sich zurück? Darf das sein? Na, das wäre ja die unverantwortlichste Sünde, die jemand begehen könnte! Das brauchen doch wir uns nicht bieten zu lassen, wir – Männer! Haben wir doch ein Recht drauf, alle Schönheit zu bewundern, die ...« – »Aber, lieber Herr Herzog, reden Sie doch nicht gar zu laut,« bemerkte die Marquise, »Sie zwingen uns sonst, Sie zu meiden!« – »Wie Sie das sagen, Marquise!« erwiderte der Herzog, »ich kenne Sie ja gar nicht wieder! Kommen Sie her, reichen Sie mir Ihren Arm und machen Sie mit mir einen Gang durch die Galerie!« – »Aber doch nicht mit Ihnen!« versetzte abwehrend die Herzogin, »ach, bitte rühren Sie das Bukett nicht an! Auch den Fächer nicht! Sie zerbrechen ja doch immer alles, was Sie in die Finger bekommen.« – Der Herzog lachte so laut, daß Frau von Harville sich gewiß auf der Stelle entfernt hätte, wäre nicht im selben Augenblicke Herr Karl Robert – der junge hübsche Herr, den Frau Pipelet »den Kommandanten » zu nennen liebte – von der andern Seite hergekommen. So fürchtete sie, es könne wohl aussehen, als sei sie ihm entgegen gegangen, und blieb beim Herzoge stehen ... »Ei, der Tausend!« rief Lucenay, »wo kommen Sie denn hergeschneit, Karl Robert? Hab Sie doch eben erst in den Pyrenäen getroffen! Marquise, ein großartiger Kerl, dieser Karl Robert! Singt wie ein Schwan und tanzt wie Apollo ... Na, Sie sollen sehen, wie ich ihn aufziehe! Wünschen Sie, daß ich Sie mit ihm bekannt mache?«
Karl Robert trat näher. Seine hohe Gestalt war gut proportioniert, sein Gesicht zeichnete sich durch die tadellose Reinheit der Züge aus, dennoch fehlte es seiner Gestalt an Grazie und Eleganz, er hatte eine steife, gezwungene Haltung, und seine Hände und Füße waren groß und gemein. Sobald er aber die Marquise von Harville erblickte, trat auf seine Züge plötzlich ein Ausdruck tiefer Melancholie, und so geschwind, daß man nicht anders konnte, als ihn für erheuchelt halten, und doch war es nicht sowohl Heuchelei, als tiefes Unglück, unsägliche Trostlosigkeit, so daß Frau von Harville, als er jetzt vor ihr stand, unwillkürlich an die unglückverkündenden Worte denken mußte, die eben aus ihrem Munde gefallen waren.
»Ach, guten Tag, Bester,« rief Lucenay ihm zu, ihn am Arme packend, als er vorbeigehen wollte, »was fehlt Ihnen? Sie sehen ja ganz elend aus!« – Mit der kläglichsten Stimme antwortete Karl Robert, einen langen, melancholischen Blick auf die Marquise werfend: »Wohl fühle ich mich freilich gar nicht.« – »Können Sie denn Ihren ewigen Keuchhusten gar nicht mehr los werden?« fragte Lucenay, dem Anschein nach mit echter Teilnahme. – Auf Karl Roberts Gesicht trat helle Zornesröte, und heftig erwiderte er: »Wenn Sie sich für meine Gesundheit wirklich so lebhaft interessieren, dann haben Sie vielleicht morgen früh die Güte, mir eine Kondolenzvisite zu machen?« – »Wie sagten Sie?« versetzte Lucenay stolz, »gewiß, ich werde nicht ermangeln, durch meinen Lakai nach Ihrem Befinden vorfragen zu lassen.« – Karl Robert verneigte sich leicht und ging weiter. Frau von Harville stand auf, nahm Sarahs Arm, ging Herrn Karl Robert nach, der vor Unwillen schier außer sich war, und sagte im Vorbeigehen leise zu ihm: »Morgen ein Uhr bin ich bei Ihnen ..«
Dann kehrte sie mit der Gräfin in den Ballsaal zurück und fuhr bald darauf nach Hause.
Neuntes Kapitel. Herzogin von Lucenay.
Rudolf war Zeuge der flüchtigen Szene zwischen der Marquise und Herrn Karl Robert gewesen, die auf den Disput zwischen ihr und dem Herzog von Lucenay gefolgt war. Die bedeutungsvollen Blicke waren ihm nicht entgangen, die zwischen beiden gewechselt worden waren, und ein geheimes Gefühl sagte ihm, daß der stattliche junge Mann einundderselbe sei mit dem, den die Pförtnersfrau »Kommandant« zu nennen liebte. Aus diesen Gedanken riß ihn Baron Graun.
»Wenn Hoheit mir einen Moment Gehör schenken wollen,« sagte er, »so bitte ich, mir in das kleine Zimmer nebenan zu folgen, wo uns niemand hören kann. Ich möchte Ihnen kurz über die Erkundigungen berichten, die ich für Sie einholen sollte.« – Rudolf folgte dem Baron.. »Die einzige Herzogin, auf die die beiden Initialen N. und L. passen können, ist die Herzogin von Lucenay, geborne von Noirmont,« sagte der Baron, »sie ist heute abend anwesend; eben habe ich ihren Mann gesehen, der vor fünf Monaten eine Reise nach dem Orient unternahm, die ungefähr ein Jahr hatte dauern sollen, von der er aber vor einigen Tagen unvermutet zurückgekehrt ist.«
Rudolf durchschaute alles. Besondere Veranlassung, sich für die Dame zu interessieren, hatte er nicht; es schauderte ihm aber bei dem Gedanken, daß, wenn sie wirklich bei dem Scharlatan gewesen war, ihr Name diesem Schurken bekannt sein mußte, der tatsächlich kein anderer als der Abbé Polidori war und ihr den lahmen Jungen hinterher geschickt hatte, und daß nun von ihm jeder Mißbrauch mit dem furchtbaren Geheimnis, das die Frau in seine Hände gegeben hatte, getrieben werden konnte, und auch werden würde!
»Gerade als mir Herr von Grangeneuve,« fuhr Baron Graun fort, »hierüber Aufklärung gab mit dem Beifügen, daß die unvermutete Rückkehr des Herzogs seiner Gemahlin und einem unserer ersten Elegants, dem Vicomte von Saint-Remy, höchst ungelegen komme, stellte er noch die Frage an mich, ob ich meinte, daß Eure Durchlaucht geruhen würden, sich dem Vicomte vorstellen zu lassen? Der Vicomte ist nämlich der Gerolsteiner Gesandtschaft attachiert worden und würde sich glücklich schätzen, Eurer Durchlaucht sein Aufwartung machen zu dürfen.«
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