Rudolf reichte der Gräfin den Arm und führte sie durch mehrere Säle, während ihr Gemahl sich mit dem Baron Graun und mit Sir Walter Murph, mit denen er schon seit Jahren intim bekannt war, angelegentlich unterhielt.
Es war eine lange, stattliche Galerie von 40 Klafter Länge und 3 Klafter Breite, die durch ein leichtes, kuppelförmiges Glasgehäuse in etwa 50 Fuß Höhe überdacht war; ihre vier Seitenwände waren mit zahllosen Spiegeln bedeckt; kräftige Orangenbäume und große Kamelien bildeten zum Eingange hin Spalier. Bis zu dem Kuppeldache hinauf schlangen sich Girlanden von Blättern und Blüten in Spiralen; Tulpen, Narzissen, Hyazinthen, Cyklamen und Iris schufen eine Art natürlichen Teppichs, auf dem alle Farben und Schattierungen in der lieblichsten Weise vertreten waren. Bunte Papierlaternen hingen an langen Schnüren, stellenweis unter lauschigem Grün versteckt. Drei Treppenfluchten führten zu der Galerie hinauf, deren Flammenhelle das Halbdunkel gleichsam einrahmte, worin sich die Umrisse der hohen Bäume des Wintergartens zeigten, der durch zwei hohe Vorhänge aus karmesinrotem Samt halbgeschlossen war und einem Fenster von riesenhaften Dimensionen glich, durch das man in einer herrlichen Nacht auf eine schöne Landschaft hinausblickt. Geschwächt durch die Ferne und durch das Stimmengewirr auf der Galerie, verklangen die Töne des Orchesters melodisch unter den starren Blättern der exotischen Bäume. Unwillkürlich wurde in diesem Garten leise gesprochen, so daß man kaum das leichte Geräusch der Tritte und das Rauschen der Atlasgewänder hörte. Alle Sinne wurden durch die leichte, von tausend Wohlgerüchen aromatischer Gewächse erfüllte Luft und die ferne Musik in eine liebliche Ruhe versetzt. Rudolf konnte einen Ausruf der Ueberraschung nicht zurückhalten, sondern sagte zu der Gräfin: »Wahrlich, gnädige Frau, so etwas hätte ich nicht für möglich gehalten. Was man hier sieht, ist ja nicht bloß Luxus, mit vornehmstem Geschmack gepaart, sondern wirkliche lebendige Poesie.« – »Eure Durchlaucht dürfen mir nicht allzu sehr schmeicheln, sonst werde ich ja verwöhnt. Betrachten Sie doch jene reizende junge Dame dort! Es sind doch andere meines Geschlechts auch auf der Welt, die nach Ihrem Lobe lechzen. Daß die Marquise von Harville überall gefällt, wo man sie sieht, werden Sie mir kaum abstreiten wollen. Nicht wahr? Ist nicht auch ihr Wesen entzückend? Gewinnt sie nicht durch den Kontrast der starren Schönheit, die neben ihr wandelt?«
Im nämlichen Augenblicke stiegen die Gräfin Sarah Mac Gregor und die Marquise von Harville die letzte Treppenflucht hinauf, die von der Galerie nach dem Wintergarten führte.
Achtes Kapitel. Die Begegnung.
Es war keine übertriebene Schilderung, die die Gräfin von der Marquise von Harville gegeben hatte. Sie war tatsächlich von imposanter Schönheit, von einer um so selteneren Schönheit, als dieselbe weniger in der Regelmäßigkeit der Züge, als in dem unbeschreiblichen Reize des gesamten Ausdrucks ihres Gesichtes beruhte, aus dem ein unsägliches Maß von Herzensgüte sprach. Ihr blendend weißer Teint war vom frischesten Rot überhaucht, und über die Schultern, die fest waren wie Marmor und schöner glänzten als weißer Marmor, fiel das hellbraune Haar in langen Locken. Ihr frischer Mund verhielt sich zu dem herrlichen Augenpaar, wie ein freundlich gewinnendes Wort zu dem sanftesten aller melancholischen Blicke.
Sie trug ein weißes Kreppkleid, das mit rosa Kamelien garniert war, unter denen, halbversteckt, Diamanten gleich funkelnden Tautropfen blitzten. Ueber ihre weiße, reine Stirn lief anmutig ein Band, gewunden aus Kamelienblättern.
Gräfin Sarah, die an ihrer Seite schritt, war etwa 35 Jahre, schien aber nicht älter als dreißig zu sein. Ihr Aussehen schien wie ein Beweis dafür, daß Selbstsucht am besten konserviert. Ein leichtes Embonpoint lieh ihr eine in gewissem Sinne üppige Grazie. Das Feuer ihrer glühend schwarzen Augen auszuhalten, waren nur wenige Menschen imstande. Ihre feuchten roten Lippen deuteten auf Entschlossenheit und Sinnlichkeit. Auch sie trug über der Stirn einen diademartigen Schmuck in Form eines Kranzes aus natürlichen und smaragdgrünen Pyrrhusblättern, der zu dem gescheitelten kohlschwarzen Haare vortrefflich paßte und ihrem leidenschaftlichen Profil mit der römischen Nase ein an die Antike erinnerndes Aussehen gab.
Beide hatten Rudolf in dem Augenblicke gesehen, als sie gleich ihm dem Wintergarten zuschritten; Rudolf aber schien sie nicht zu sehen, denn er stand, als sie sichtbar wurden, gerade an der Ecke einer Allee.
»Der Fürst ist so lebhaft von der Gemahlin unsers Gesandten eingenommen, daß er auf uns gar nicht achtet,«, sagte die Marquise zu Sarah. – »O, glauben Sie doch nicht so etwas, liebe Clemence,« versetzte Sarah, die vertraute Freundin der Marquise, »er hat uns sicher gesehen, fürchtet sich aber, mit mir zusammenzutreffen, weil er noch immer gegen mich eingenommen ist.« –
Da Rudolfs Verhältnis zu Sarah und die aus ihm resultierenden Ereignisse etwa 17–18 Jahre zurücklagen, war in der Gesellschaft nichts darüber bekannt, zumal sowohl Rudolf als auch Sarah recht wichtige Gründe hatten, darüber zu schweigen. – »Ich begreife seinen Starrsinn, Ihnen aus dem Wege zu gehen, weniger denn je und habe ihm sein seltsames Benehmen gegen Sie, eine doch einst so gute Freundin, mehr denn einmal vorgehalten. Aber er sagte mir immer: »Ja, meine Liebe, was ist dagegen zu machen? Wir sind nun doch einmal Todfeinde, ich habe mir den Schwur geleistet, kein Wort mehr mit ihr zu wechseln, und dies Gelübde, setzte er hinzu, muß mir um so heiliger sein, als es mich ja doch des Umganges mit einer so liebenswürdigen Dame beraubt! Oder – schätzen Sie solchen Verlust vielleicht für gering?« – »Glauben Sie mir, liebe Freundin,« erwiderte die Gräfin Sarah, »irgendwelcher Grund zu solcher Todfeindschaft liegt keineswegs vor. Wäre nicht eine dritte Person dabei mit im Spiele, so hätte ich Sie in das große Geheimnis schon längst eingeweiht. Aber was ist Ihnen denn, meine Liebe? Sie scheinen ja in gar tiefes Sinnen versunken zu sein?« – »O, mir ist nichts, gar nichts, liebe Freundin. In der Galerie war es so heiß, daß ich Kopfschmerzen bekommen habe. Setzen wir uns doch hier einen Augenblick nieder!«
Sie nahmen nebeneinander auf einem Plaudersofa Platz. Die junge Frau erwiderte mit keinem Worte, und Sarah sagte im Tone freundschaftlichen Vorwurfes zu ihr: »Haben Sie denn gar kein Vertrauen zu mir? Wollen Sie ihn tatsächlich alle Hoffnung mit ins Grab nehmen lassen?« – »Was reden Sie da?« rief die Marquise erschrocken.
»Sie kennen ihn noch nicht, meine Liebe! Er ist doch immer so unglücklich gewesen, daß man es gar nicht für möglich halten sollte. Sie könnten Freude daran finden, ihn noch immer zu peinigen.« – »Kein Wort mehr davon, wenn Sie mich lieb haben,« rief Frau von Harville, »denn Sie tun mir bitterweh. Was hat mich denn anders ins Unglück gestürzt, als eben das Mitleid mit seiner Lage?« setzte sie, unwillkürlich seufzend, hinzu. – Sarah schien die letzten Worte nicht zu verstehen und fuhr fort: »Und wie sehr verdient er das Interesse, das Sie ihm widmen! Gestehen Sie es doch nur ein! Wie könnte auch solch edles Antlitz nicht seiner Seele Spiegel sein? Ich habe ihn einmal in Uniform gesehen und muß sagen, daß ich nie eine schönere Mannesgestalt gesehen habe. Würde der Adel nach Verdienst und Gestalt gemessen, so müßte er Herzog und Pair sein.« – »Ach, bitte, sprechen wir von etwas anderm,« sagte Frau von Harville nach einer ziemlich langen Pause; »meinetwegen,« setzte sie mit erzwungener Heiterkeit hinzu, »von Ihrem Todfeinde, dem Fürsten, den ich so lange nicht gesehen habe. Ich muß Ihnen bekennen, daß ich ihn höchst anziehend finde. Doch Ihnen habe ich es zu verdanken, daß mein Faible für ihn nicht allzu lange gedauert hat. Die Rolle der Todfeindin haben Sie so vortrefflich gespielt, haben mir soviel von dem Fürsten erzählt, daß ich es nicht in Abrede stellen kann, daß an Stelle der Zuneigung Abneigung getreten ist.« – »Aber so sagen Sie mir doch,« fragte Sarah, »ist Ihr Gemahl heut abend hier?«
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