Sina Ahlers
Schamparadies
FELIX BLOCH ERBEN
Verlag für Bühne, Film und Funk
Inhaltsverzeichnis
Title Page Sina Ahlers Schamparadies FELIX BLOCH ERBEN Verlag für Bühne, Film und Funk
Personenverzeichnis Personenverzeichnis Vera Mutter Mascha Tine Matthias Ferdi
AHNEN 1
CHOR 1
FRÜHER 1
AHNEN 2
FURIEN 1
PRÄGUNG 1
CHOR 2
FURIEN 2
AHNEN 3
PRÄGUNG 2
FURIEN 3
PRÄGUNG 3
FURIEN 4
FRÜHER 2
RITUAL
Noch früher
CHOR 3
NOCH FRÜHER
CHOR 4
TRAUMA 1
TRAUMA 2
DAVOR
TRAUMA 3
RITUAL 2
SCHAMPARADIES
Über die Autorin
Über das Stück
Impressum
Vera
Mutter
Mascha
Tine
Matthias
Ferdi
Mädchen verlässt panisch das Haus.
Flucht an den Kanal.
Am Ufer angekommen.
Rudert.
Fällt zurück.
Nimmt Anlauf.
Meint es ernst.
Als könnte sie es auf die andere Seite schaffen.
Allen ist klar: Das ist nicht zu machen.
Landet auf hartem Wasser.
Taucht auf:
Grasnarben-Gesicht.
Zieht sich rüber auf die andere Seite.
Man kann es nicht schwimmen nennen.
Der schwimmende Körper ist ein ruhiger Körper.
Nicht ihrer.
Andere Körper sind in Ruhe.
Nicht dieser.
Andere liegen obenauf.
Sie immer so
fast am Untergehen.
Jetzt Wasser in den Lungen,
dass sie ausläuft beim Sprechen.
Kriecht an Land und.
VERA
Eine furchtbare Ahnung.
Sie schwallt Wasser.
VERA
Übel.
Scharfer Blick einer Schwanenmutter, seitlich.
VERA
Da!
Sie schlägt sich ins Gesicht.
VERA
Komm raus.
Sie schlägt sich wieder ins Gesicht.
VERA
Fahr aus der Haut.
Raus!
Knetet ihre Eingeweide.
VERA
Alt.
Eingesessen.
Ur.
Ur.
Ur.
Groß.
Die Hand an der Gurgel.
VERA
Mutter.
Scharfer Blick der Schwanenmutter, seitlich.
Vera wischt sich die tote Wiese aus den Augen.
Grasmaske.
Wurzeln auf der Zunge.
VERA
Mir ist über Nacht ein Haar gewachsen.
Ein einziges, weißes Haar.
Am Kinn.
Über Nacht.
Ich bin eingeschlafen und am nächsten Morgen war es da.
Hab natürlich dran gerissen.
Hab es zwischen die Nägel genommen und feste.
Keine Chance.
Der Schmerz ging durch den ganzen Körper.
Sitzt bombenfest.
Als würde jemand seinen knochigen Finger aus mir rausstrecken.
Rufen.
Du, komm mal ran.
Ich geh zum Spiegel.
Will grade die Pinzette ansetzen.
Sehe ich diese massiven Augenringe.
Unterlaufen.
Wie die Schatten einer anderen.
Ach, ja?
Und diese Hände, schaut euch diese Hände an.
Die passen überhaupt nicht zum Rest.
Manchmal schwingen die zu einer Melodie.
Dabei ist es totenstill.
Oder wecken was ein.
Für den Winter.
Welchen Winter?
Sie schwallt Wasser.
VERA
Wenn ich versuche mich an etwas zu erinnern, pulsiert eine Ader an meiner Schläfe.
Großmutter hat immer gesagt, dass man nicht nach hinten denken soll.
Die Vergangenheit sei einem eh immer einen Schritt voraus.
Aha!
Manchmal kann man nur ahnen, was jemand meint.
Und dann ist es mir fast klarer, als wenn ich es mit dem Kopf begriffen hätte.
Woher kommt dieses weiße Haar?
Von meiner Mutter hab ich den Flaum am ganzen Körper.
Als hätte sie mich in Watte gepackt.
Im Gegenteil.
Jedes Haar eine Antenne.
Jede Berührung ums Hundertfache verstärkt.
Milliarden Antennen im Fleisch.
Mein Körper, ein Weltempfänger.
Ihr läuft ein letzter Rest Wasser aus dem Mundwinkel.
VERA
Der mich berührt.
Der dieses Gesicht küsst.
Der mir die Hüften hält.
Die Nippel kaut.
Mich in Erregung schlägt.
Der mir geduldig beim Kommen zusieht.
Verläuft sich in mir.
Im Seenebel
der Generationen.
Streichelt die Ur.
Und die Ur.
Und dir Ur.
Groß.
Mutter.
Herrjeh.
Ich kann nur da liegen.
SAG DOCH, WAS DIR GEFÄLLT! IN WAS FÜR EINE LAGE DU MICH BRINGST! DAS IST EIN ERHEBEN! JA, DU ERHEBST DICH ÜBER MICH. DU MUSST SCHON SAGEN!
Was soll ich denn sagen?
Woher soll ich wissen, was uns gefällt?
IH!
DIR WÄCHST DA EIN WEIßES HAAR AUS DEM KINN!
Oh.
SOLL ICHS DIR RAUSREIßEN?
Ich habs schon versucht, aber es sitzt bombenfest.
Wenn ich versuche zu kommen –
Ich versuche wirklich sehr zu kommen.
Aber da haben noch andere ein Wort mitzureden.
Die Ur und die Ur.
Ich kanns nur ahnen.
DEINE HÄNDE SIND SO RAUH! KANNST DU DIR MAL IN DIE HÄNDE SPUCKEN? NEIN. SPUCK AUF MEINEN PENIS. LOS. SPUCK AUF MEINEN PENIS.
Das sind die Hände meiner Uroma, du Spast.
WAS HAST DU GESAGT? WAS GEILES? HAST DU WAS GEILES GESAGT?
Nee. Noch nicht.
Es wäre schön, wenn du – Es fühlt sich gut an, wenn du – Wenn du – Wenn –
FASS DICH AN, DAS MACHT MICH AUCH GEIL. WENN ICH GRADE NICHTS FÜR DICH TUN KANN, DANN FASS DICH MAL SELBST AN.
Begehren ist wie … wie soll ich sagen.
Seufzen im Schlaf.
DEINE HAUT IST SO WEICH! GEIL DEINE WEICHE HAUT!
Du fickst meine Ahninnen, ist dir das klar?
Mir war das bis grade nicht –
Vor lauter Übermannung.
ICH BIN DOCH KEIN VERGEWALTIGER!
Na ja.
Aber du musst auch die anderen lieb fragen.
Frag doch auch mal die Toten, was sie gut finden.
DAS IST TOTAL UNLOGISCH.
Ich muss mal raus aus der Sex-Trauma-Schleife.
ICH HAB GEHÖRT, DU MUSST DIE PILLE ABSETZEN, DANN KOMMT DIE LUST VON GANZ ALLEIN. ICH ZIEH IHN AUCH RECHTZEITIG RAUS. HAUPTSACHE, DEINE LUST IST GROß.
Es geht nicht nur um meine Lust.
Das versuch ich doch die ganze Zeit zu –
SEI RUHIG LAUT. ICH BRING DICH SCHON ZUM SCHREIEN!
Wir brauchen dringend unsere Ruhe.
DU BIST SO UNGEIL.
Ruhe.
Alles von vorn.
Nur kleine Bewegungen.
Für den Anfang.
Beim Sex erinnert sich was.
Wenn du auf mir liegst, denk ich an die Serviettenknödel meiner Großmutter.
OKAY. ICH BIN RAUS.
Endlich Ruhe.
Und alles von vorn.
Matthias, Ferdi und Mutter betreten das Tableau.
Aufstellung vor dem Haus.
FERDI
Die Szenerie ist ganz banal.
Ein spitzes Haus und oben drin
Wohnung von Frau und Kind.
MUTTER
Es gibt die Küche, eine Zeile,
Klapptisch (Halbmond), Zimmerpalme.
Der PVC, er wellt sich mittig,
wenns sein muss auch am Rand.
MATTHIAS
Und die Wände tragen so ein Gelb,
als wär vor vier, fünf Jahren,
eine Horde Zitronenfalter an ihr
ganz jämmerlich verreckt.
MUTTER
Über einen Balkon gelangt man ins Freie
und steht direkt im Duft,
denn unten ist seit Kurzem erst
ein kleines Restaurant.
FERDI
Kein schlechter Anfang für die schlechte Lage:
Direkt am Kanal.
Hier schwimmt alles vorbei,
das die Stadt nicht mehr braucht.
MATTHIAS
Und eigentlich nie gebraucht hat.
MUTTER
Zwei junge Männer betreiben den Laden,
die glauben, der Ort sei im Kommen.
Oft sitzen sie nun in der Dämmrung vorm Haus
und essen die eigene Suppe.
MATTHIAS
Wenige Meter entfernt geht eine Brücke über den Schlonz.
Die Welt ist dort wie ausgewechselt,
das Licht fällt irgendwie anders.
Man schaut auf den Kanal wie auf offene See,
der Blick, der macht sich weit.
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