Johanna Kaptein
un.orte
FELIX BLOCH ERBEN
Verlag für Bühne, Film und Funk
Inhaltsverzeichnis
Title Page Johanna Kaptein un.orte FELIX BLOCH ERBEN Verlag für Bühne, Film und Funk
EINS
ZWEI
DREI
SCHLUSS
Über die Autorin
Über das Stück
Impressum
Die Uhr geht um
die Uhr geht krumm
ich kann
die Zeiger nicht mehr lesen
- die Zeit der Dunkelheit
- der Kopf bricht
- zerbricht
- in tausend Stücke
- in Irrtum
- und Irrtum
- und Irrtum
- die Dinge verkehren sich
- in ihr Gegenteil ins
- Gegenteil
- des Gegenteils
- nichts ist mehr
- wie es scheint
- auch die Sonne nicht
- Spiegel
- Scherben
- Fragmente
- Auflösung:
- der Schnee ist die einzige Konstante
- dicht und dick und weiß
- ein Taumel durch die Zeiten, ein Rennen durch die Stadt
- Ich höre alles
- ich höre nichts
- Höre ich mich?
- Wie ich mich anhöre!
- HÖRST DU MICH?
- ICH
- ICH
- ich
- weiß nicht weiter ich
- bin nicht mehr ich
- heule
- wenn die Waschmaschine schleudert
- damit es niemand hört
- wie ein Tier
- in der Notaufnahme
- ein Fernsehprogramm
- das läuft
- und läuft
- und läuft
- billiger zuckriger Kaffee
- aus dem Automaten
- Flecke auf dem Linoleum
- Spuren vom Becher entreißen
- bevor er voll ist
- was wollen Sie hier?
- Sind Sie schwanger?
- Kommt jetzt das Kind?
- (heute ist so ein Tag)
- Nein.
- Schwanger im Kopf mein Hirn
- gebiert Monster ich brauche
- achso. Achso.
- Na dann: Geben Sie mir mal die Einweisung
- Höllenschlünde
- zwischen
- gebrochenen Fingern
- dem einen oder anderen Obdachlosen
- der bleibt
- solange
- er geduldet wird
- ein Süßigkeitenautomat
- mit einem Schokoriegel
- der auf Halbmast hängt
- der nicht gefallen ist
- in die Lade da wird sich
- einer geärgert haben
- oder auch nicht
- egal
- (hab noch Kleingeld)
- (haben Sie mal ein bisschen Kleingeld? (Für mich?) Bitte? BITTEBITTEBITTE?)
- Automatiktüren
- die sich ständig öffnen und schließen
- Ärzte
- immer im schnellen Schritt nicht
- zur Seite blickend eilig
- durchs Unheil
- den Unfall
- den Notfall
- immer
- in Eile
- zwischen denen
- die warten
- und warten
- und warten
- hindurch
- Bis dann endlich:
- Was haben Sie?
- Ich weiß (es) nicht
- ich weiß ES nicht
- es war zuviel
- von allem
- zuviel
- und dann
- plötzlich
- zu wenig
- und nichts mehr
- ich habe
- keine Wörter dafür
- verloren
- wie Schlüssel
- Feuerzeuge
- Telefon
- ich lebe noch
- lebe ich noch?
- Ich kann mich nicht erinnern
- an mich
- bin mir
- abhanden
- gekommen
- haben Sie da was?
- Gegen mich?
- Oder dafür?
- (Dagegen?)
- Bitte!
- (BITTEBITTEBITTE!)
- Station fünf
- jemand holt Sie ab
- warten Sie hier.
- Warten Sie.
- (Warten Sie.)
- im Fahrstuhl
- den Rucksack umklammert dem Pfleger
- vorsichtig
- ins Gesicht geschaut der blickt
- geradeaus
- wieder
- Automatiktüren
- das Schwesternzimmer und ja
- davon berichten
- dass die Worte nicht mehr helfen
- Fragen beantworten
- so gut es geht
- Hoffnung
- da hilft einer
- da spricht jemand
- irgendetwas an in
- einem
- die Ursache
- (Oh Gott. Die Ursache. DIE URSACHE!)
- eine Untersuchung
- von Arm, Bein, Rumpf
- und dann:
- Nichts.
- Der Wochenplan kommt erst am nächsten Tag.
- Stunden
- die sich endlos dehnen
- Schlaf
- der nicht kommt
- der nie kommt
- der nie wieder kommt
- der dein Feind geworden ist
- die Nacht
- ein langer dunkler Tunnel das Morgenlicht
- ein scharfer Schnitt
- in die Augen
- die Putzfrau
- mit ihrem sanften Blick
- was wollen Sie?
- Was wollen Sie hier?
- Es ist nicht gut
- hier zu sein
- sagt sie
- und wischt
- über die Fensterbank.
- im Frühstücksraum
- Schweigen
- das Müsli kauen
- mit viel zu süßem Joghurt
- einer lässt den Löffel fallen
- es hallt wieder
- im ganzen Raum
- keiner blickt auf
- stumm
- das benutzte Geschirr auf den Essenswagen stellen
- zurück ins Zimmer schlurfen
- und dann warten
- warten.
- Warten.
- Runden übers Linoleum drehen
- immer im Kreis
- durch die Station
- Furchen darin
- könnte man denken
- von den ewig gleichen
- Schritten
- dem Schlurfen dem
- Stillstehen dem
- sich umdrehen
- ans Arztzimmer klopfen
- das zu ist
- da ist keiner
- nur fünfzehn Minuten
- am Montag
- und am Mittwoch
- die Gelegenheit
- mit einem zu sprechen die dann
- ungenutzt verstreicht es versiegt
- das Gespräch
- das Hirn
- ist leer
- Haldol
- kein Freund sondern Beton
- unter der Schädeldecke
- nass in der Mitte des Flures
- ein Katheter ist gerissen, sorry, wo
- bleiben denn die Schwestern?
- Die sind schon wieder
- in irgendeiner Besprechung
- hin zum Fernsehraum
- da hat
- jemand den Schlagersender eingestellt Filme
- sagt der
- sind was für Normale
- am Tisch der T.
- er malt
- zeichnet
- war in New York
- hatte dort eine Ausstellung und dann bämmm
- die Sicherungen durch seine Mutter
- hat ihn zurückgeholt und jetzt ist er da, hier
- er singt abends
- für die anderen
- das ist schön
- manche halten es nicht aus
- sie gehen raus
- die übrigen klatschen
- zögerlich
- dann später
- draußen
- an der Raucherinsel
- vorsichtige Fragen
- warumwiesoweshalb
- ich sage nichts ich kann nicht
- sprechen
- wenig
- ich rauche nicht
- ich warte
- auf mich.
- Zeit
- ich habe sie verloren
- habe mich verloren
- an Orten
- an die zu denken
- sich jeder fürchten sollte in mir
- ein Weltenbruch ein
- Himmelssturz
- ein Höllen
- bild, Bildnis
- meiner selbst im Spiegel
- erkenne ich mich wieder aber
- das bin ich nicht mehr
- (irgendjemand klaut meine Zahnbürste.
- Sie liegt dann im Aufenthaltsraum.
- Ich kaufe mir beim nächsten Ausgang eine neue.)
- Frau D. will bleiben
- sie soll gehen
- sie schreit
- im Treppenhaus
- ich wünschte
- ich könnte es ihr gleichtun
- ich klammere mich
- ans Bett
- an die Rohre
- aus Stahl
- aus Aluminium?
- Quecksilber?
- (Wie die Kügelchen aus dem Thermometer
- die ich als Kind
- so lustig fand)
- Hohl inwändig
- die Rohre
- wie meine Knochen
- vielleicht
- die Sintflut der Angst
- schlägt über mir
- zusammen
- Heilige
- hab ich im Himmel gesehen leuchtendes
- Licht das die
- Wolken durchbricht
- hab ich gesehen
- mich festklammernd
- an der Lehne
- des Sitzplatzes auf dem Weg
- durchs Land
- nach irgendwohin weg
- von mir
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