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Johanna Krapf, geb. 1956, studierte Anglistik und Germanistik an der Universität Zürich, ist als Autorin tätig und hat mehrere Bücher u. a. zu den Themen Gehörlosigkeit sowie Tourettesyndrom publiziert. Sie ist Mutter dreier erwachsener Kinder und lebt in Rapperswil-Jona in der Schweiz.
www.johanna-krapf.ch
Johanna Krapf
Leben mit „kaputtem Akku“
Biografien von Menschen mit Myalgischer Enzephalomyelitis / Chronischem Fatigue Syndrom und Long Covid
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.
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Satz und Gestaltung: Martin Vollnhals, Neustadt a. d. Donau
Umschlagabbildung: © wundervisuals/ istockphoto.com
Umschlaggestaltung: Marion Ullrich, Frankfurt a. M.
ISBN: 978-3-86321-623-8
eISBN: 978-3-86321-584-2
Alle Rechte vorbehalten
„Leben mit ‚kaputtem Akku‘“ wurde großzügig unterstützt durch
Sponsor:innen auf der Schweizer Crowdfunding-Plattform Wemakeit |
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Einleitung
Persönlicher Brief von Maria Wiedmer, Mélina Imdorfs Nichte, an Bundesrat Berset, den Schweizer Gesundheitsminister
Mélina Imdorf
Ursachen von ME/CFS
Jacqueline Keller
Diagnosekriterien/Symptome
Jacqueline Rölli
Verlauf der Krankheit
Protazy Rejmer
Behandlungsansätze (eine Information, keine Anleitung!)
Nicole Spillmann
ME/CFS in der Schweiz
Nenad Kovačić
Ausschlussdiagnostik
Interview mit Evi und Urs Rölli, Jacqueline Röllis Eltern
Tipps für den Umgang mit ME/CFS
Porträts von zwei Long-Covid-Betroffenen
Long Covid und ME/CFS
Erläuterungen und Fachbegriffe
Nachwort von Raphael Jeker
Bibliografie
„Entschuldige, wie heißt die Krankheit schon wieder, an der die Menschen leiden, die du in deinem Buch porträtierst?“ So wurde und werde ich immer wieder gefragt, wenn ich jemandem von meinem Projekt mit ME/CFS-Betroffenen erzähle.
„Sie heißt ME/CFS.“
„Ämme 1was?“
„M – E Schrägstrich C – F – S. Die Buchstaben stehen für Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom. Das ist eine seit Jahrzehnten von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannte neuroimmunologische Multisystemerkrankung.“
„ME/CFS – noch nie gehört. Eine seltene Krankheit also?“
„Eben nicht. Allein in der Schweiz leiden rund 30.000 Menschen daran, in Deutschland etwa 250.000. Man geht von einer Prävalenz (Rate der Erkrankten) von 0,2 bis 0,4 Prozent aus.“
„Das kann doch nicht sein – so viele Leute? Warum kenne ich denn niemanden?“
„Vielleicht hängt das damit zusammen, dass viele von ihnen, wenn sie erkranken, einfach von der Bildfläche verschwinden. Rund 25 Prozent sind nämlich ans Haus gebunden, auf einen Rollstuhl angewiesen oder gar bettlägerig.“
Meist muss ich nun weiter ausholen, angefangen mit dem schwierigen Namen der Krankheit über ihre Definition bis hin zu der langen Liste von Symptomen. Nicht selten verheddere ich mich dabei in der Fülle von Zahlen und medizinischen Fachausdrücken, der wenigen Fakten und der vielen Hypothesen.
Auch ME/CFS-Betroffene selbst müssen immer und immer wieder Rede und Antwort stehen. Während ich jedoch gern über mein neues Projekt berichte, da mich das Interesse meiner Bekannten freut, fühlen sich die Betroffenen durch die Fragen genötigt, sich zu rechtfertigen und glaubhaft zu versichern, dass sie nicht simulieren, sondern schwerwiegend krank sind, dass sie zum Beispiel Schmerzen und ein vernebeltes Hirn haben, jede körperliche und geistige Anstrengung mit einer Zustandsverschlechterung bezahlen und ständig erschöpft sind, als wäre ihr Akku kaputt.
„Leben mit ‚kaputtem Akku‘“ möge dazu beitragen, dass das Wissen über ME/CFS verbreitet wird. Das Buch möge die Gesellschaft für die höchst belastende Situation der Betroffenen sensibilisieren und diese in ihrem Kampf um die Anerkennung von ME/CFS als eine körperliche Multisystemkrankheit unterstützen.
Doch warum ist denn diese Tatsache, dass es sich bei ME/CFS um eine körperliche Krankheit handelt, überhaupt so zentral? Ist ein psychisches Leiden nicht genauso ernst zu nehmen wie ein körperliches? Natürlich ist es das; jedes Leiden, sei es psychisch oder körperlich, ist individuell und kann nicht gemessen werden. Es geht ja auch gar nicht um ein Abwägen. Zudem bilden Körper und Seele eine Einheit und beeinflussen sich gegenseitig. Aber wenn die körperlichen Symptome der ME/CFS-Betroffenen als Depression, chronische Erschöpfung, Burnout oder posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert und sie als psychisch Kranke gesehen werden, dann werden sie nicht an die richtigen Spezialist:innen weiterverwiesen, und ihre Behandlung – mit einer Psychotherapie etwa und/oder mit Psychopharmaka – wird erfolglos oder gar kontraproduktiv sein.
„Leben mit ‚kaputtem Akku‘“ soll aber auch einen Einblick geben in die schwierigen Lebensumstände der ME/CFS-Betroffenen: Wie hat sich Nenad Kovačić gefühlt, als ihn die Krankheit dazu zwang, die mit viel Herzblut aufgebaute, florierende Designagentur zu verkaufen? Was geht in Jacqueline Rölli vor, wenn sie in einem abgedunkelten Zimmer auf ihrem Bett liegt – mit Sonnenbrille und Ohrstöpseln, um Licht und Geräusche abzublocken, und kaum fähig, den Löffel zum Mund zu führen, geschweige denn, ohne Hilfe zur Toilette zu gehen? Was macht es mit Mélina Imdorf, wenn alle möglichen Spezialist:innen sie für gesund erklären, obwohl sie schwer krank ist?
Bevor ich die konkrete Arbeit an meinem Buchprojekt aufnahm – ein Konzept entwickeln, ME/CFS-Betroffene suchen, die sich porträtieren lassen wollen, einen Finanzierungsplan aufstellen, ein erstes Interview führen und verfassen und so weiter –, besuchte ich Mélina in Mühlethurnen, einem Dorf in der Nähe von Bern. Denn sie war es gewesen, die mich auf diese rätselhafte Krankheit aufmerksam gemacht und den Wunsch geäußert hatte, ich möge ein Buch darüber schreiben, um die Gesellschaft aufzuklären und Verständnis für die Betroffenen zu wecken. Dieser Besuch in Mélinas Zuhause sollte meine Sicht auf die Krankheit verändern:
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