Mountainbiken bedeutet für die meisten, nur die tollsten Touren zu fahren. Doch die Grundlagen für die Fahrtechnik an allen schwierigen Stellen im Gelände kann man sich vor der eigenen Haustür aneignen. Viel zu wenige Mountainbiker nehmen sich die Zeit, die Grundtechniken, darunter vor allem das Balancieren, einmal in Ruhe durchzugehen und auszuprobieren. Man kann seine Balance üben und verbessern. Das ist kein Fahrtechnik-Trick, den man einmal begreift und dann für immer beherrscht. Je öfter und ausdauernder man das Balancieren trainiert, desto selbstverständlicher wird es einem gelingen.
CHECK!
Pedale waagerecht
Grundpositon
Gefühlvoll bremsen
Blick voraus
Zug auf der Kette
Dabei muss man gar nicht langweilig und stupide stundenlang auf einem Parkplatz oder zu Hause in der Garage stehen – auch wenn das natürlich ebenfalls viel Routine bringen würde. Wer genügend Platz hat, kann das Bike auch ins Wohnzimmer mitnehmen und vor dem Fernseher üben. Hervorragend geeignet sind natürlich Filme mit Überlänge oder langweilige Bundesliga-Matches. Draußen kann man immer trainieren, das Training im Sattel ergibt sich von selbst. Balanceübungen lassen sich auf jeder Fahrt einbauen. Beispielsweise vor der Pause auf der Tour einfach noch mal eine Minute balancieren, bevor man sich die Erfrischung gönnt. Oder beim Cruisen durch die Stadt: Man versucht jeden Stopp, an der Kreuzung oder vor der Ampel, mit den Füßen auf den Pedalen buchstäblich durchzustehen.
ANLEHNEN ERLAUBT
Man lernt das freie Balancieren leichter, wenn man sich zunächst ein bisschen anlehnt. Dazu ist jede Mauer, jeder Baumstamm und jede Parkbank geeignet. Ranfahren, bis der Vorderreifen richtig fest dagegendrückt, und das Rad mit gezogenen Bremsen so halten. Mit Druck auf das vordere Pedal wird der Reifen weiter gegen das Hindernis gepresst. Lässt man die Bremsen los und verringert den Druck aufs Pedal, bekommt man ein Gefühl für den freien Stand. Tritt man leicht an, stabilisiert die Wand wieder das Mountainbike.
Wer eine halbe oder gar mehrere Minuten auf seinem Mountainbike stehen bleiben kann, ohne den Fuß absetzen zu müssen, profitiert davon in vielen Situationen. Gerade in schwierigen Abschnitten wie Steilstücken oder Spitzkehren, die jedem Biker Probleme bereiten. Die Kunst in diesen Passagen besteht darin, möglichst langsam und in Ruhe, also fast im Stand, mit kontrolliertem Bremsen zu fahren, ohne umzukippen.
TRAILBALANCE
Balance ist wichtig. Auch auf dem Trail ist gute Balance gefragt, nur so lassen sich knifflige Passagen ohne Absteigen meistern. Um die Balance in der Ebene zu trainieren, steht man auf beiden Pedalen, die Kurbeln waagerecht. Die Finger an den Bremsen, den Lenker 45 Grad eingeschlagen, Blick nach vorn. Wer sich an den Balancestand herantasten will, fährt im Stop-and-Go-Modus. Bremsen bis zum Stillstand ziehen, dann durch kurzen Pedalkick wieder losrollen, das rollende Rad ist im Gleichgewicht.
Eine bestimmte Position ermöglicht die beste Kontrolle beim Balancieren: Du stehst auf den Pedalen, den „Schokoladenfuß“ vorn. Schokoladenfuß nennen wir ab jetzt den Fuß, den du am liebsten vorn hast, beispielsweise beim Anfahren oder wenn man auf den Pedalen stehend rollt. Der Körperschwerpunkt befindet sich vor dem Tretlager, deine Schultern stehen über dem Lenker! Mit beiden Händen an den Bremsen und Druck auf dem vorderen Pedal kannst du nun mit Stop-and-Go immer wieder deine Balance finden. Dazu hat man einen mittleren Gang eingelegt, um genügend Druck aufs Pedal ausüben zu können. Nimmt man den kleinsten Gang, tritt man fast ins Leere. Am besten liegt die Kette vorne und hinten auf dem mittleren Zahnrad.
Versuche, möglichst ruhig auf dem Bike zu bleiben und allzu heftige Bewegungen zu vermeiden. Auch die Ausgleichsbewegungen, falls das Bike zu kippen droht, sollten ruhig und mit wenig Aufwand ausgeführt werden. Am besten fixiert man mit den Augen einen Punkt einige Meter weit vor dem Bike. Das funktioniert wie beim Tragen von vollen Gläsern: Schaut man immer nur nach unten auf das Tablett oder das Glas, wird man garantiert etwas verschütten. Blickt man nach vorn und überlässt die Körpersteuerung dem Gefühl und der Rückmeldung der Nervensensoren, funktioniert es besser.
Wer mit dem freien Balancieren Probleme hat, kann dazu zwei Vorübungen ausprobieren. Beispielsweise lehnst du das Vorderrad gegen einen festen Widerstand, eine Bank, einen Baum oder eine Wand. In dieser Haltung sollten fünf Minuten Balance schon möglich sein. Zu den Vorübungen für den freien Stand gehört auch das langsame Geradeausfahren – ein Muss auf sehr schmalen Singletrails. Hierfür kann man viel Routine und Sicherheit in der Ebene gewinnen. Du fängst am besten an, auf Straßen- oder Parkplatzmarkierungen zu balancieren. Und dann kannst du dich steigern. Bürgersteigkanten eignen sich hervorragend als nächste Stufe. Dann einen Balken von der Baustelle nebenan ausleihen und darüber balancieren. Das Prinzip ist überall das gleiche. Blick möglichst weit nach vorn und eine etwas höhere Grundgeschwindigkeit stabilisiert das Bike. Immer da hinschauen, wo du wirklich hin willst.
Eine andere Übung besteht darin, immer engere Kreise zu fahren. Versuche, den kleinstmöglichen Radius mit dem Bike zu drehen, und das so langsam wie möglich. Das gibt Sicherheit für die ungeliebten Serpentinen. Spezialisten schaffen es sogar, mit dem Lenker am Oberrohr zu kreiseln. Das innere Bein spreizt man ab, damit der Lenker Platz hat. Gleichzeitig kann man die Knie so als Balancehilfe benützen.
BALANCE IST EIN KINDERSPIEL
Gemeinsam bringt das Gleichgewichtstraining mehr Spaß. Man markiert ein Spielfeld mit drei mal drei Metern, in dem sich die Spieler mit den Bikes bewegen und immer wieder stehen bleiben und balancieren. Man kann auch ein Zeitlimit ausmachen, zweimal 15 Minuten beispielsweise. Natürlich darf man die anderen Spieler auch stören. An sie heranfahren, mit dem Ellenbogen berühren, sich in den Weg stellen, sodass sie nicht nach vorn wegfahren können. Man kann das Stop-and-go-Spiel in zwei Varianten anlegen. Entweder man kassiert Strafpunkte für jedes Mal Fuß absetzen, und wer zuerst eine festgelegte Punktzahl erreicht, hat verloren. Oder man spielt die Radikalvariante: Wer den Fuß absetzt, hat verloren.
Eine Steigerung des Balancierens wäre dann, das Vorder- und das Hinterrad im Stand zu versetzen, entweder einzeln oder auf einmal. Falls man das Gleichgewicht verliert, kann man durch Beugen und Strecken der Arme am Lenker einen Impuls erzeugen, der das Vorderrad vom Boden hochkommen lässt. Mit einer Gewichtsverlagerung nach links oder rechts kann man so den Vorderreifen seitlich versetzen. Spezialisten schaffen hierbei sogar 180 Grad und wenden diesen Trick an, um auf engen Trails zu wenden, ohne abzusteigen.
Beherrscht man bereits die Absprungtechnik für den Bunny Hop oder fährt mit Klickpedalen, kann man auch das Hinterrad versetzen. Dazu verlagert man sein Gewicht Richtung Lenker und entlastet damit das Heck, zieht die Beine an und wirft die Hüfte zur Seite. Auch dabei sind bis zu 180 Grad möglich. Könner springen auch mit dem ganzen Bike zur Seite, indem sie den Körper etwas kippen lassen und dann mit Vorder- und Hinterrad gleichzeitig hoch und zur Seite hüpfen, also dem eigenen Schwerpunkt hinterher. Wer das Balancieren schon beherrscht, kann sich an diesen Sprungübungen aus dem Stand versuchen.
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