Eines Tages kam ein Ruf aus Wien. Nicht der, den ich mir unbewußt gewünscht hatte, aber immerhin ein Ruf aus Wien. Ein alter weißhaariger Freund, den ich, ich weiß nicht wie, gewonnen hatte – ich habe ja in meinem Leben immer wieder unverhofft ohne Werbung und vielleicht auch ohne Verdienst Freunde gefunden, die mir gerade dann die Hand reichten, wenn ich es am wenigsten erwartete –, der Schriftsteller Gustav Schönaich, bot mir eine Stellung an. Ein junger Kunstliebhaber hatte eine Halbmonatsschrift gegründet, die Wiener Rundschau . Er selber war von einer etwas hochmütigen Sterilität. Er wollte alle zwei, drei Monate ein formglattes Gedicht veröffentlichen, und die Zeitschrift sollte dieses Produkt würdig umrahmen. Zum Redakteur hatte er sich meinen greisen Freund Gustav Schönaich ausgesucht, weiß Gott warum. Schönaich war einer der liebenswürdigsten Bonvivants, denen ich in meinem Leben begegnet bin. Er war ein begeisterter Esser und ein bedeutender kulinarischer Sachverständiger, den man sich bei Gründung einer hervorragenden Küche unbedingt hätte engagieren müssen. Der dicke, schmunzelnde, übrigens auch sehr kunstverständige Mann, verwandt mit Richard Wagner, an den ihn kostbare Jugenderinnerungen knüpften, war ein Lebensgenießer, wie man ihn selbst im damaligen Wien selten finden konnte. Es war ihm gelungen, sein Leben lang eigentlich fast nichts zu tun, als gut zu essen und ausgezeichnet Klavier zu spielen. Warum er eine moderne Zeitschrift leiten sollte, das wußte er selbst nicht ganz genau. Vielleicht deshalb, weil sein Bruder ein berühmter General und später österreichischer Kriegsminister gewesen ist. Sicher machte der dicke, weißhaarige Herr gute Figur. Nun handelte es sich für ihn darum, jemand zu finden, der die Arbeit für ihn besorgte, und in dieser Situation bewog er den Herausgeber, mich nach Wien zu rufen. Ich flog nach Hause.
Die Redaktion der Wiener Rundschau war in der Spiegelgasse, ganz nahe dem Stephansturm, wo Grillparzer, der arme Spielmann, gelebt hatte. Ich war bereit und fähig, dem reichen Herrn eine literarische Tafel herzurichten, wie er sie sich nicht erträumt hatte. In der Wiener Rundschau sind fast die ersten, jedenfalls die bedeutendsten Jugendgedichte Hofmannsthals erschienen, hier begann Karl Kraus die Wiener Literatur zu demolieren, vor allem: von hier aus hat Peter Altenberg seinen Weg genommen. Daneben setzte ich den Wienern die besten Primeurs der französischen Literatur vor, und mitten in diesem schönen Salat servierte dann der Herausgeber F. R. seinen kleinen Kaktus. Zum erstenmal in meinem Leben empfing ich ein auskömmliches Monatsgehalt. Die Redaktionskonferenzen mit dem guten, schönen Schönaich wurden im »Grünen Anker«, einem gemütlichen italienischen Restaurant, und dann und wann sogar bei Sacher abgehalten. Unser Chef war so zufrieden mit uns, daß er sich zuweilen entschloß, uns ein oder das andere seiner Gedichte vorzulesen. Meistens geschah das nach der Redaktionskonferenz im »Grünen Anker«. Mein guter, dikker Freund war nach dem Essen immer sehr müde, der Kopf sank ihm auf seinen Falstaffbauch, und er schloß die Augen. Ich zitterte, daß mitten während der Sonette, die unser Chef mit leise vibrierender Stimme vorlas, plötzlich ein grunzendes Schnarchen Schönaichs laut werden könnte. Ich mußte den schläfrigen Freund schon ordentlich in die Seite zwicken, um ihn wach zu halten. Mit einem Ruck setzte er sich dann mühsam wieder in Positur und konnte, ohne daß er eine Zeile gehört hatte, mit einer Liebenswürdigkeit, die nur ein Wiener Falstaff aufbringen konnte, ein exquisites Kompliment für den armen Narren von Autor drechseln. Wäre nur Schönaich allein mein Partner gewesen, mit diesem liebenswürdigen Zyniker hätte ich jahrelang verbunden bleiben können. Aber unser Verhältnis zu dem dekadenten Chef wurde doch immer eisiger, je mehr er uns in sein Schaffen einzuweihen versuchte. Schönaich hatte eine verblüffende Schamlosigkeit, ihm Komplimente ins Gesicht zu sagen, von denen er nicht eine halbe Silbe glaubte. Aber dann und wann konnte der Alte sich nicht enthalten und brach, nachdem er ein düsteres Sonett mit ungeheurer Anstrengung und todernstem Gesicht angehört hatte, unvermittelt in ein so unbändiges Gelächter aus, daß der mißtrauische Dichter mehr als erstaunt aufblickte. Noch wollte er die Situation nicht verstehen. Mit allem Zynismus des guten Schönaich war die Situation nach einem Jahr doch unhaltbar geworden. Schönaich konnte, obwohl er für blankes Geld manches zu tun entschlossen war, die düsteren Sonette unseres Chefs doch nicht mehr ohne plötzliches Kichern anhören, und ich war noch nicht alt genug, um so zynisch zu sein, wie die Situation es erforderte. Das Nichtsals-nur-Ästhetische war mir unerträglich langweilig geworden, ich mußte aus dieser Affenkomödie ausspringen. Schließlich war ich nicht nach Wien gekommen, die faden Terzinen eines dilettierenden Millionärssohnes anzuhören.
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