Sie schnallten ihre Rucksäcke auf und schon ging es los. Herr Schnurributz lief voraus, hinter ihm folgten im Gänsemarsch die kleinen Sträußchen. Sie mussten wandern bis zum Zug, und das waren genau 10 Kilometer. Aber schon nach 500 Metern im Schritttempo begann die Klasse zu stöhnen.
„Kommt schon, ihr Schlafmützen!“, scherzte Herr Schnurributz. „Wenn wir jetzt große Schritte, lange Sprünge machen, dann geht es schon etwas schneller.“
„Wir sind aber zu erschöpft“, keuchte Mhou, der erschreckend weit hinten stand und Herrn Schnurributz kaum noch erkennen konnte.
„Aber mit einem haben Sie recht, Herr Schnurributz, wenn wir weiter so machen, dann kommen wir nie an.“
„Also los, etwas schneller“, rief Herr Schnurributz den Sträußchen zu.
Die Kleinen schaffen es zwar nicht mehr bis Tempo 45, aber immerhin hatten sie schon Tempo 20 erreicht. 45 ist nämlich in etwa das höchste Tempo, das Straußenküken erreichen können.
Während sie so trabten, wurden sie immer munterer. Allmählich gefiel ihnen diese kleine Wanderung und schon einen Kilometer später waren sie so fröhlich, dass sie es sich einfach nicht verkneifen konnten, fröhlich miteinander zu plaudern.
Hinter seinem Rücken hörte Herr Schnurributz, dass die 22 kleinen Quasselstrippen gar nicht mehr aufhören wollten und immer wieder entweder von Zuhause oder von ihrem Kindergarten plauderten. Einige verrieten ihren besten Freunden auch die Adressen. Das gehörte sich so bei Freundschaften.
Doch plötzlich rief Straußenspotter mit verstellter Stimme von hinten: „He, Herr Schnurributz! Dummer, blöder Herr Schnurributz! Dummer, blöder Herr Schnurributz!“ Da platzte Herrn Schnurributz der Kragen. Energisch drehte er sich um und schrie so laut, dass sich alle im Umkreis von 10 Metern umdrehten: „Ruhe dahinten! Was fällt euch ein, so über mich zu reden! Haltet endlich mal euren vorlauten Schnabel und lauft weiter! Wir müssen den Zug jetzt nicht wegen euch verpassen!“
Die Sträußchen erschraken, und Mhou flüsterte Charles, der gerade hinter ihm stand, zu: „Der kann aber ganz schön laut schreien, was?“
Doch bevor Charles etwas erwidern konnte, waren sie schon da. Es war blitzschnell gegangen und sie hatten gar nicht bemerkt, dass Herr Schnurributz vor Entrüstung mit Tempo 70 gelaufen war und sein Zugwind die Sträußchen mitgezogen hatte, sodass ihre Sprünge viel größer wurden und sie nunmehr viel schneller als erwartet am Bahnsteig ankamen.
Da rief Straußenspotter noch einmal: „Herr Schnurributz ist ein Doofkopf, Herr Schnurributz ist ein Doofkopf!“
Doch diesmal, da alle anderen Sträußchen aufgehört hatten, zu quasseln, hörte man seine Stimme ganz genau heraus. Herr Schnurributz hievte ihn hoch und schrie ihn an: „Es reicht, Straußenspotter! Kein Wort mehr will ich von dir hören oder du fliegst aus dem Zug!“
Das hatte gewirkt. Straußenspotter hielt seinen Schnabel.
„Kommt, wir gehen in den Innenraum des Bahnhofs. Und wehe, du gibst noch einen deiner Kommentare ab, Straußenspotter, dann lernst du mich mal richtig kennen!“
Endlich waren sie am Bahnsteig.
„Kommt mit in den Zug“, sagte Herr Schnurributz eilig.
Doch in aller Hektik hatte er nicht auf die Zielanzeige gesehen. Da er Straußenspotter noch dreimal ermahnen musste, waren sie ziemlich spät dran.
So kam es, dass Herr Schnurributz in aller Eile den falschen Zug erwischte. Doch das bemerkte er noch nicht. Aber irgendwann dämmerte es ihm: „Das ist aber seltsam, wie wir heute fahren ...“ Er sah sich um, als sie sich gesetzt hatten. „Ich hatte mir auch den Zug anders vorgestellt. Hast du mich schon wieder beschummelt, Straußenspotter?“
„Nein, nein, nein, diesmal ist es hier ernst“, sagte Straußenspotter ängstlich. Er liebte zwar schnellfahrende Züge, aber er hasste es, aus ihnen hinausgeworfen zu werden.
Mhou und Charles saßen natürlich nebeneinander. Sie waren so unzertrennlich, dass sie sich immer zusammensetzten, immer und überall. Sie gingen zusammen durch dick und dünn. Obwohl Mhou Charles erst letzte Woche kennengelernt hatte, war er ihm schon richtig ans Herz gewachsen.
Charles war ja auch vor zwei Wochen erst gekommen. Er hatte noch keinen neuen Freund gefunden, weil sich die anderen zuerst nicht für ihn interessiert hatten, aber als dann Mhou kam, war er nicht mehr so allein. Den anderen machte es auch nichts aus, dass Charles jetzt einen neuen Freund hatte. Im Gegenteil: Sie hatten ja gewusst, dass Charles damals noch keinen Freund hatte, und freuten sich mit ihm, dass Mhou gekommen war. Charles hatte sich ja auch gleich so freundlich um ihn gekümmert, dass sie gar nicht anders konnten, als Freunde zu werden. Am ersten Tag war das Thema der gemeinsame Erzfeind Straußenspotter. Aber heute saßen sie friedlich gemeinsam im Zug und bewunderten die schöne Landschaft.
„Mir tut Straußenspotter leid. Erstens darf er nicht am Fenster sitzen, und zweitens muss er neben Herrn Schnurributz hocken, und wenn er auch nur EINMAL jemanden beleidigt, dann kriegt er eins auf die Rübe“, sagte Mhou.
Charles war auch deshalb froh, dass er und Mhou Freunde geworden waren, weil er alleine unmöglich gegen Straußenspotter hätte ankommen können. Aber zu zweit zu sein, das hatte sein Gutes. So nahm der Ausflug seinen Lauf.
*
Was Mhou in Straußterreich erlebt
„Tuuut – tuuut, Straußach, Straußach, Straußach in Straußterreich!“
„Wie bitte?“ Mhou sah sich um. Er hatte dort erwartet, dass sie nicht nach Straußach, sondern an die Grenze Straußland-Straußterreich fuhren, und das war doch tatsächlich ein Stückchen zu viel.
„Herr Schnurributz, wo haben Sie uns jetzt hingelotst?“ Charles war empört. Er konnte es nicht leiden, wenn er sich nicht mehr auskannte.
Als sich Herr Schnurributz umsah, sah er lauter wütende kleine Sträußchen, die ihn mit bösen Blicken anstarrten.
„Ach, ist ja auch egal. Kommt, aussteigen!“, übernahm er das Kommando.
Doch sie hatten nicht mit der Passkontrolle gerechnet.
„Wo ist Ihr Ausweis?“ Zwei Polizisten kamen auf Herrn Schnurributz zu. „Zeigen Sie sofort Ihren Ausweis!“
„Aber ich habe keinen Ausweis!“, erklärte Herr Schnurributz.
„Aha, wieso sind Sie dann mit einer Gruppe Kindergartenkinder hierhergekommen, ohne Ausweis? Sagen Sie es uns!“
„Äh, äh, äh, ich wollte eigentlich gar nicht nach Straußach, sondern an die Grenze Straußland-Straußterreich, doch ich habe wohl Gleis 10 mit Gleis 9 verwechselt.“
„Ach, sind Sie aus Versehen das falsche Gleis gefahren? Das kann ja mal passieren. Doch müssen Sie aber bei uns trotzdem Ihren Ausweis zeigen!“
„Aber ich habe doch gar keinen – mhou, mhou, mhouuuuuu!“
„Jetzt mhouen Sie gefälligst nicht so“, schimpfte der erste Polizist. „Kommen Sie lieber mit auf unser Revier!“
„Ja genau“, rief Straußenspotter keck. „Sperren Sie den bösen Herrn Schnurributz ein! Er hat mich die ganze Fahrt über angeschrien und wollte mich auch noch aus dem Zug werfen!“
„Aber das ist doch gar nicht wahr!“, rief Herr Schnurributz empört.
„Stimmt das, was der Junge sagt?“, fragte der andere Polizist ernst. „Kommen Sie mit!“
„Aber was wird denn aus den kleinen Sträußchen und aus meiner Frau?“
„Ach, Sie haben eine Frau? Das haben wir noch gar nicht gewusst. Wieso ist sie nicht mitgekommen?“
„Sie ist zu Hause geblieben. Sie wollte den Kindergarten für morgen vorbereiten.“
„Aber sie hätte doch genauso gut als Aufsichtsperson mitkommen können, oder nicht?“
„Trödelt jetzt nicht so lahm herum, ihr faulen Polizisten“, rief Straußenspotter lachend, „sperrt den Doofmann endlich ein!“
„Ja, wie redest du denn mit uns? Wie heißt du überhaupt?“, entgegnete der Polizist mit donnernder Stimme und blickte irritiert auf das Sträußchen mit der Ganovenmaske herab.
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