Dann hörten sie plötzlich eine laute Stimme: „Straußenspotter, benimm dich mal ordentlich gegenüber unserem Gast!“
„Na hoffentlich verschwindet der bald wieder!“, murmelte Straußenspotter und setzte einen mürrischen Blick auf. Seine schwarze Maske war dabei gut zu erkennen.
„Wenn der jetzt bei uns bleibt, dann beiß ich mir eine meiner schwarzen Federn aus und ess sie roh! Das wäre doch dann tatsächlich ein Streber zu viel!“
„Straußenspotter!“, ermahnte ihn eine zweite Stimme.
Nun kam Mhous Mutter auf ihn zu. Sie sagte etwas Wütendes zu ihm, das Mhou nicht hören konnte, und bevor sich die Mutter verabschieden konnte, rief Herr Schnurributz alle zum Begrüßungsritual zusammen: „So, alle stellen sich in ihren Gruppen auf. Los, Leute, fünf Vierergruppen, eine Zweiergruppe!“
Die Zweiergruppe waren Charles und Mhou.
„Kommt Kinder, jetzt machen wir alle zusammen das Begrüßungsritual: zwei Füße vor, fünf Füße zurück, zwei Füße vor, fünf Füße zurück!“
„Ich hab doch gar keine fünf Füße“, sagte Mhou erstaunt, „und wenn ich meine beiden Füße nach vorne stelle, dann falle ich ja um!“
Straußenspotter murmelte irgendetwas Finsteres wie: „Wär auch gut so, wenn du dir was brichst!“ Aber da warf ihm Mhous Mutter einen warnenden Blick zu. Als Charles ihm vor allen erklärt hatte, dass die beiden vordersten neben Herrn Schnurributz bei Zwei Füße vor einen ihrer Füße nach vorne stellten und bei Fünf Füße zurück alle anderen einen ihrer Füße nach hinten stellten, sagte Mhou: „Aber das ist ja ganz lustig, Mami! Ich glaube, den EINEN Tag bleibe ich hier. Ich meine, du kannst gehen, Mami.“
„Also gut, mein Kleiner. Tschüss!“
Mhou winkte ihr noch nach.
„Kommt, ihr Lieben“, sagte Herr Schnurributz, „jetzt machen wir mal unsere Brotzeit!“
„Aber es hat doch gerade erst angefangen!“, fiel ihm Mhou ins Wort. „Wie können wir dann gleich Brotzeit essen?“
Doch Herr Schnurributz antwortete nur mit einem leisen Lächeln wie seine Mutter bei der Taufe: „Alte Straußentradition!“
Zusammen saßen sie nun am Tisch und aßen Brotzeit. Währenddessen fragte Charles: „Mhou, wollen wir Freunde werden?“
„Aber natürlich, warum denn nicht?“ Mhou war ganz begeistert. „Ich wollte mich doch gerade eben bei dir bedanken, dass du mir so toll die Gegend gezeigt hast.“ Er warf dabei einen verschwörerischen Blick auf Straußenspotter, der nun gegenübersaß.
„Wie doof, jetzt bleibt der Streber doch hier!“, murmelte dieser. Und dann rief er laut durch den ganzen Kindergarten: „Wisst ihr, was ihr seid? Ihr seid feige! Ihr macht zwei gegen einen – so was von feige!“
„Mit dem ersten hast du recht, Straußenspotter, aber mit dem zweiten … äh …“
Da lachte Straußenspotter spöttisch. Das war zu viel für Charles. Er sprang vom Stuhl direkt auf den Tisch, ging zu Straußenspotter, packte ihn am Hals und würgte ihn so lange, bis dieser keuchte: „Lass mich los, ich krieg keine Luft mehr! Willst du mich umbringen?“
„Also gut“, sagte Charles. Zu Straußenspotters Glück hatte er ja ein gutes Herz, auch wenn das Ganovensträußchen sein Feind war.
„Aber lach nie wieder meinen neuen Freund Mhou aus!“
Später spielten sie bis zum Mittagessen drinnen. Mhou und Charles nahmen sich gemeinsam alle Ecken des Kindergartens vor. Dummerweise war an jeder neuen Ecke immer Straußenspotter. Entweder sie schubsten ihn die Leiter hinunter oder sie drängten ihn zur Tür hinaus oder sie bewarfen ihn mit Lego-Steinchen oder sie nahmen Anlauf, gingen in die Hocke und schubsten ihn von den Beinen aus so, dass er ganz weit bis auf den Stuhl vom Mittagessen flog. Damit sich Straußenspotter aber richtig ärgerte, rief Mhou extra laut, damit alle es hörten: „Straußenspotter hat’s gut. Er hat einen Platz für sich reserviert.“
Straußenspotter blickte wütend hinter seiner Maske hervor: „Na wartet, ihr Streber!“, flüsterte er. „Nach dem Essen mach ich euch den Garaus!“
Und tatsächlich, sie gingen nach dem Mittagessen nach draußen. Charles zeigte seinem neuen Freund die Rutsche, die Schaukel, das Klettergerüst, den Tunnel und den Sandkasten. Doch während sie so spielten, kam ihnen plötzlich Straußenspotter in die Quere.
„Na, ihr beiden Streber“, sagte er schon von Weitem.
„Mach dir nichts draus“, sagte Charles und wandte seinen Kopf zu Mhou. Doch dieser pickte gerade ein paar Steinchen aus dem Sandkasten und schluckte sie hinunter. Man konnte direkt sehen, wie sie durch den Hals liefen.
„Ha, ha, ha, ha, der Streber muss operiert werden. Jetzt dreht er total durch.“
„Verschwinde oder wir bespucken dich mit Steinchen“, rief Mhou und versuchte zum Schein, die Steinstücke aus seinem langen Hals wieder hervor zu käuen.
Aber Straußenspotter war nicht so leicht hereinzulegen: „Ihr macht nur Quatsch, das sag ich euch, ihr Streber!“
„He, Herr Schnurributz, gerade hat der Oberstreber einen Stein verschluckt. Er muss in die Krankenstation! Rufen Sie sofort die Sanitäter, aber dalli!“
„Ja, wie redest denn du mit mir?“, rief Herr Schnurributz empört. „Zur Strafe musst du den ganzen Tag im Haus bleiben und den Staub vom Teppich saugen und die uralten Vorhänge erneuern.“
„Nanana, so schlimm hat er’s nicht gemeint. Er hat nur Scherze gemacht!“, nahm ihn Mhou in Schutz. „Und er wusste doch sicher nicht, dass Strauße Steinchen schlucken, das ist wie die Beilage zum Salat.“
In diesem Moment strahlte die Sonne über Straußenspotter.
„Iiiiih, die Sonne blendet, ich will rein!“
„Tja, jetzt macht er wohl die Hausarbeit von ganz allein, nicht wahr, Mhou?!“, kicherte Charles und zwinkerte seinem Freund zu.
Als Mhou an diesem Abend abgeholt wurde, sagte die Mutter zu ihm: „Und wie war dein erster Tag im Kindergarten?“
„Wundervoll“, antwortete Mhou.
„Ach übrigens, mein Sohn, ich habe dir noch zu sagen, dass du den Weg zum Kindergarten und zurück bald alleine gehen darfst, wenn du ihn kennst.“ „Danke, Mami. Ich habe übrigens einen neuen Freund gefunden. Er heißt Charles und er ist echt hilfsbereit.“
*
Seit einer Woche schon ging Mhou in den Straußenkindergarten. Er verbrachte jede freie Minute mit seinem besten Freund Charles, und sie stritten sich nie. Aber heute war etwas ganz Besonderes angesagt: Sie machten einen Ausflug. Sie sollten mit dem Zug erst einmal weiter nach Norden direkt durch Straußland fahren, wo sie lebten, und dann würden sie an der Grenze Straußland-Straußterreich ankommen, dort zwei Stunden Pause machen und mit dem Schnellzug wieder zum Kindergarten zurückfahren, wo ihre Eltern sie anschließend abholen sollten.
„Kommt Kinder, wir gehen jetzt zum Zug“, sagte Herr Schnurributz, als sich alle versammelt hatten.
„Aber hoffentlich ist noch Zeit für das Begrüßungsritual!“, warf Mhou ein.
„Aber mein lieber Mhou, wo denkst du denn hin? Wir werden das Begrüßungsritual natürlich noch schaffen. Außerdem dürft ihr noch ein paar Brote einpacken. Ihr könnt sie bei meiner Frau abholen.“
Ein Jubeln ging durch den ganzen Straußenkindergarten und schon stürmten 22 Straußenkinder in die Küche, um bei Frau Schnurributz die Brote abzuholen. Jeder durfte sich höchstens sechs Semmeln für die Abfahrt holen. Es gab Semmeln mit Salat und Essiggurken, mit Wurst und Käse und mit Salami und Butter. Mhou schnappte sich drei Semmeln mit Salat und Essiggurken, zwei Semmeln mit Wurst und Käse und eine Semmel mit Salami und Butter.
Charles tat dasselbe, nur umgekehrt, weil er Essiggurken nicht so gern mochte wie Mhou, aber das machte ihm nichts aus.
Als sie die Brote und Brotzeitboxen in ihre Rucksäcke verstaut hatten, versammelten sie sich in einem Kreis für das Begrüßungsritual: zwei Füße vor, fünf Füße zurück, zwei Füße vor, fünf Füße zurück.
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