„Weihwasser klebt nicht, mein Sohn“, antwortete die Mutter, „und außerdem haben wir festgestellt, dass du nur leicht wellige Haare bekommen wirst und keine richtigen Locken.“
„Aber woher erfahre ich dann endlich meinen Namen?“, fragte er.
„Den sagt der Pfarrer.“
In der Nacht schlief das Sträußchen zwar unruhig, weil es so gespannt war auf seinen Namen, aber es hatte auch weiterhin Angst um seine Stirnlocken. Als es dann am nächsten Morgen früh aufstehen musste, wollte es sich am liebsten mit dem Hals im Kopfkissen verankern.
„Wieso muss ich schon so früh aufstehen?“, protestierte es verschlafen.
„Wach auf, Kleines, deine Taufe! Wenn du sie verschläfst, dann erfährst du deinen eigenen Namen nicht!“
Die Taufe, die Taufe! Mit einem Mal war der kleine Strauß hellwach. Ohne Widerworte ließ er sich von seiner Mutter in ein weißes Taufkleid stecken. Dabei flüsterte er: „Iiih, warum muss ich denn ein Kleid anziehen?“
„Das ist bei allen Straußen so, auch bei den Jungs.“
Der Straußenknabe starrte genervt Löcher in die Luft. „Hoffentlich halten die mich nicht noch für ein Mädchen! Wenn mein Name doch nur einigermaßen ein Jungenname ist!“
Doch schließlich war es soweit! Die Mutter trug ihn herein. Obwohl er sich bemühte, still da zu sitzen, konnte er es nicht lassen, mit den Armen zu rudern und mit den Füßen zu strampeln.
„Wieso vibrierst du denn so?“, flüsterte die Mutter. „Pass jetzt mal auf, die Taufe fängt gleich an!“
Die Taufe! Bei dem Wort war er wieder ganz angespannt! Gleich würde er seinen richtigen Namen erfahren, der ihn ein Leben lang begleiten sollte!
Die Mutter überreichte das Sträußchen feierlich dem Vater. Dieser setzte es wiederum auf den kleinen Tisch im Raum.
Tatsächlich: Es sah zwar eher wie ein Nachtkästchen aus, aber es war ein kleiner Tisch mit Polsterung.
„Und nun mein lieber Junge“, hallte nach endlos scheinenden Liedern und Segenssprüchen die Stimme des Straußenpfarrers zu ihm. „Ich taufe dich auf den Namen ...“
Jetzt waren alle gespannt, nur die Mutter zwinkerte ihrem Mann leise zu: „Wenn die wüssten! Die halten jetzt ja schon die Luft an!“
„Ich taufe dich auf den Namen ...“
Endloses Warten, endloses Schweigen.
„... MHOU!“
Mhou?
Was soll das heißen? Mhou – wer nannte denn schon sein Küken Mhou?
Einige kicherten, einige flüsterten, doch der frischgetaufte Mhou schrie begeistert durch den ganzen Saal: „MHOUUUUUUUU, MHOU MHOUUUUUUUU!“
Da waren alle der Meinung, dass dieser Name am besten zu dem Kleinen passte.
*
Mhou kommt in den Straußenkindergarten
„Mami, was machen wir heute? Wieso packst du mir einen Rucksack mit Broten? Gehen wir etwa heute schon in diesen komischen Kindergarten?“, fragte der kleine Mhou traurig. „Ich will nicht weg von dir! Du bist da doch gar nicht dabei! Was ist, wenn die Kinder ganz böse zu mir sind?“
„Aber nein, das sind sie nicht.“
Mhous Mutter Stella war eine sehr gute Mutter. Sie erfüllte ihm jeden Wunsch. Aber da es um den Kindergarten ging, konnte sie ihn nicht daheim lassen. Es war nämlich festgelegt, dass er angemeldet war, und junge Sträußchen mussten ja bis zu ihrem Jugendalter in den Kindergarten gehen. Natürlich kamen sie auch wieder zu ihren Eltern zurück, aber Mhou hatte seine Bedenken. Der Kindergarten fing nämlich schon um 8 Uhr an und hörte erst um 15 Uhr wieder auf. Also musste er sieben Stunden lang an diesem Ort sein.
Es war ganz einfach: Er würde alles so blöd wie möglich finden, sodass die Eltern sicher der Meinung wären, dass er die nächsten Jahre nicht noch dort hingehen sollte.
„Aber da findest du doch neue Freunde! Andere Sträußchen sind ja auch ganz nett“, versuchte Stella, ihn zu beruhigen.
„Ja schon, aber die sind doch alle fremd!“, jammerte er, als sie hingingen. „Und was ist, wenn mich vielleicht jemand verletzt oder so etwas Ähnliches passiert? Da sind ja noch ältere Sträußchen.“
„Aber nein, der Kindergarten hat erst dieses Jahr aufgemacht. Und außerdem ist immer eine Klasse in einem Kindergarten, also bleibt es auch so! Und keine Älteren und Jüngeren kommen hinzu!“
„Ach, deswegen sind gleich 16 Kindergärten in diesem Ort und im Nachbarort sogar fast 20! Da soll es ja nur so wimmeln vor lauter kleinen Sträußchen, nicht wahr, Mami?“
Endlich waren sie da. Ein junger Straußenherr mit einem großen Schopf und freundlichem Blick kam auf ihn zu.
„Hallo, du bist bestimmt Mhou! Ich weiß, es gibt hier viele Kindergärten, aber ich bin froh, dass du dir diesen Kindergarten ausgesucht hast. Wir sind ja ganz neu! In den anderen Kindergärten sind über 40 Straußenküken und bei uns sind es nur 21! Du hast also noch viel Platz bei uns. Ich bin übrigens Herr Schnurributz, ich bin der Erzieher der kleinen Sträußchen. Ich passe auf, dass es euch gut geht und meine Frau kocht euch leckeres Essen. Komm gleich mit hinein!“
Herr Schnurributz führte Mhou einen Gang entlang bis zu einer Tür. Dort hatte Mhou vorher viele lärmende kleine Sträußchen gesehen. Jetzt saßen sie alle still da und sahen ihn mit ihren großen erstaunten Augen an.
„Guckt mich nicht so an!“, wollte er gerade sagen. Doch da erklärte schon Herr Schnurributz mit lauter Stimme: „Hallo Leute, das ist Mhou. Er wird ab heute in unseren Kindergarten kommen. Sorgt dafür, dass er hier froh ist, und helft ihm, sich einzufügen in unser schwieriges Leben.“
„Das ist eigentlich gar nicht so schwierig!“, hörte Mhou ein paar andere gleichzeitig rufen.
Dann rief Herr Schnurributz aufmunternd: „Los, Mhou, jetzt geh mal zu den anderen Sträußchen hin!“
Aber Mhou musste nicht zu den anderen gehen. Im Gegenteil: Sie kamen zu ihm! Ja, sie stürmten sogar zu ihm und riefen: „Hallo Mhou, sei herzlich willkommen!“
Ein kleiner Strauß, der ungefähr einen Monat jünger war als er, gab ihm seinen Flügel und holte ihn zu den anderen. Er sah eigentlich ganz nett aus. „Hallo Mhou, ich heiße Charles. Komm mit, ich zeige dir unseren Kindergarten.“
Als Mhou noch einen sehnsüchtigen Blick zur Tür warf, sah er, dass dort nicht nur Herr Schnurributz, sondern auch seine Mutter stand. Noch bevor er etwas zu ihr sagen konnte, rief Charles: „Guck mal, das hier ist die Kuschelecke. Wir benutzen sie auch gerne beim Spielen als Schlafzimmer, damit du das schon einmal weißt.“
„Ihr kuschelt euch doch sicher in die Kissen, oder Charles? Und manchmal gibt es bestimmt eine Kissenschlacht, nicht?“
„Genau, Mhou!“, antwortete Charles und zwinkerte ihm zu.
Dann zeigte Charles ihm noch die Spielecke, die Lego-Ecke, die Küchen-Ecke, den Brotzeittisch und den Lunchtisch.
„Nun, Mhou, sag mal, gehen wir noch etwas herum? Da draußen ist unser Garten. In den werden wir später gehen. Dann zeig ich dir alles, was es da gibt. Zum Beispiel den …“
Doch bevor er weitersprechen konnte, eilte ein Straußenjunge vorbei, der es anscheinend etwas eilig hatte. Er hatte einen strengen Blick aufgesetzt, trug schwarze Federhosen und noch eine schwarze Maske um die Augen, mit der er aussah wie ein Ganove.
Und so benahm er sich auch. Blitzschnell ging er an Mhou vorbei und schubste ihn auf den Boden.
„Mach Platz, du Streber!“, zischte er und ging weiter.
„Aua“, sagte Mhou.
„Dieser Blödmann!“, wollte er gerade schimpfen, doch da fiel ihm ein, dass der Knabe ja auch einer von Charles’ Freunden sein könnte.
„Komm, ich helfe dir auf“, sagte Charles. „Übrigens: Das ist Straußenspotter, der Griesgram unserer Klasse! Keiner hat ihn bis jetzt gemocht und er mag auch keinen, weil er sich immer für den Tollsten hält. Und er nennt mich auch immer Streber, weil ich ihm immer seine bösen Pläne durchkreuze. Aber diesmal hast DU ihm wohl den Weg durchkreuzt.“ Mhou kicherte.
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