Ich kam für diesen Job aber nicht infrage, denn Kartenspielen interessierte mich einfach nicht, es interessierte mich noch weniger als Golfspielen. Ich hatte es letztes Jahr einmal versucht, als der Pfarrer irgendwo ganz dringend eine Messe lesen musste. Aber schon nach zehn Minuten hatte ich gesagt: „Pass mal auf, Willi, so geht das nicht. Ich bin zu jung für diesen Scheiß, ich muss noch etwas anderes erleben als hier mit dir im Gartenmobiliar herumzusitzen und Karten zu spielen. Ich fahre jetzt zu Horst hinaus ins Bad!“
Zwar hatte ich nichts gegen ein gutes Stück Steak am Abend, das auf dem Griller brutzelte, und ich schaute auch gerne mal zu den Sternen hinauf, wo ich diesen Großen Wagen suchte und dabei ein paar Gelsen killte, die ungefragt auf mir Platz nahmen. Aber ich wollte nicht Karten spielen untertags, wenn ich gleichzeitig bei Horst draußen sein und mit ihm zusammen die Frauchens in ihren knappen Bikinis anschauen oder sie vielleicht sogar zu einer Eincremesession nach dem Verzehr eines Eislutschers überreden konnte.
Ich hätte nun also meinen Kumpel Lemmy fragen können, ob er mit Willi und dem verbliebenen elenden Rest da draußen ein paar Runden Karten spielen wollte. Und Lemmy wäre im Prinzip sogar ideal dafür gewesen, da er den ganzen Tag lang nur auf seiner Couch herumsaß. Aber oft genug war er dabei so zugedröhnt, dass er alleine fürs Mischen der Karten drei Tage gebraucht hätte. Wenn er nämlich falsch dosiert war, dann bewegte er sich manchmal stundenlang überhaupt nicht. Und auch wenn Sitzen-bleiben-bis-die-Blase-Reißt beim Kartenspielen oberstes Gebot war, so musste man doch mit den Händen flink sein und im Köpfchen erst recht.
Daher kam Lemmy trotz aller Vorteile einfach nicht infrage.
Also drehte ich mich zu Kubelka, der gerade neben mir aufwachte, und fragte: „Kannst du eigentlich nur Scheiße reden und zuhören? Oder kannst du auch Tarock spielen?“
Er sagte begeistert: „Mit Willi, dem Schwein? Natürlich kann ich Tarock spielen! Es muss mich nur jemand fragen!“
***
„Glaubst du, er wird mich als vollwertiges Mitglied seiner Kartenrunde akzeptieren? Tarock spielen auf Augenhöhe? Von Mann zu Mann?“ Ku schien überglücklich, dass er mit Willi Tarock spielen durfte, war sich aber nicht ganz sicher, ob Willi das auch war. Der hatte nämlich seit jeher seine Vorbehalte gegen ihn, weil er ihm nicht männlich genug war und weil ihn die Weibergeschichten, die er immer erzählte, nicht interessierten.
Mir aber war scheißegal, ob Willi ihn akzeptierte. Mir war nur wichtig, dass er Ku im Geräteschuppen schlafen ließ, wo er vor den Schlägern dieses eifersüchtigen Chirurgen, der seine Lehrerin einengte, sicher sein würde. Das war mein Plan, aber von dem sagte ich den beiden nichts.
Weil sein Hemd seit gestern voll mit Blut war, borgte ich Kubelka eines meiner weißen Unterhemden, damit er oben nicht nackt herumlaufen musste. Und für untenherum borgte ich ihm meine Rapid-Hose Auswärtsdress 1984 in Weiß mit grünen Streifen. Ich schaute ihn an und fragte mich, wie weiß ein Mensch eigentlich sein konnte. Um ein wenig Farbe in sein Leben zu bringen, warf ich ihm ein Hawaiihemd mit roten Einsprengseln über, während ich wieder das grüne mit gelben Einsprengseln anzog, und fertig war der Partnerlook.
Beschwingt hüpften wir hinunter ins Quattro Stazzione, wo ich Lemmy den Fressnapf hinstellte und mir die Brusttaschen meines Hemdes mit Vaya Con Dios vollstopfte, Lemmys Gras, das auch an Regentagen die Sonne scheinen ließ. Dann verabschiedeten wir uns und stiegen in den Datsun.
Schon fuhr ich wieder in Richtung Transdanubia im Norden der Stadt, querte die Brücke und cruiste entlang des Flusses nach Neu-Brasilien, wo ich überall diese Schilder sah, die irgendwelche scheiß Investorenprojekte feierten: drei mal vier Meter große Werbetafeln, auf denen Hauspläne zu sehen waren samt der Telefonnummer, die man anrufen konnte, wenn man ab zehntausend Euronen mit dabei sein wollte. Pro Quadratmeter!
Um Willi herum wurde verkauft und gekauft, dass die Notare in der Stadt nicht mehr nachkamen mit dem Schreiben der Verträge. Das gute alte Wien hatte sich ganz schön verändert, und das Geld rückte langsam sogar an Willis Kugelgrill heran. Wo früher kleine Häuschen standen, da standen jetzt fette Einfamilienhäuser. Und wenn früher nur die Armseligsten hier am Wasser wohnten (die sich keinen Urlaub leisten konnten – und zwar ein Leben lang keinen leisten konnten!), so wollten das jetzt die Scheißreichen auch, obwohl die sich sowieso jeden Urlaub leisten konnten. Anders als Guttmann musste ich mir zum Thema „die Scheißreichen“ erst noch eine endgültige Meinung bilden, jedoch neigte ich mittlerweile dazu, ihm in der Sache recht zu geben: Dieses Dreckspack konnte einem ganz schön die Laune vermiesen. Wenn man also den Typen, der in Guttmanns Gegend mit dem Luftdrucknagler auf tonnenschwere SUVs und Pick-ups schoss, mal hierherlocken könnte, dann wäre das gewiss ein feine Sache. Peng! Peng! Peng!
Weil die enge Straße auch vor Willis Datscha mit diesen Monstern, neben denen mein Datsun aussah wie eine japanische Geisha neben einem japanischen Sumoringer, zugeparkt war, musste ich ihn schließlich ein paar Hundert Meter entfernt in Alt-Brasilien abstellen. Von dort aus latschten wir die Strecke zurück – einmal nach links, dann nach rechts, dann geradeaus, noch mal links, noch mal geradeaus, noch mal rechts, geradeaus, links, und da waren wir. (Note to myself: Wenn du deinen Wagen wiederfinden willst, dann musst du nur alles in umgekehrter Reihenfolge zurückgehen!)
Als wir endlich vor Willis Grundstück standen, versperrte uns auch dort eines dieser Straßenschiffe beinahe den Eingang: ein roter VW Amarok mit einem „Baby an Bord“-Kleber hinten auf der Scheibe, einem Babysitz am Echtlederrücksitz und jeder Menge Energydrinkdosen auf der Beifahrerseite. Ich trat gegen den hinteren dicken Reifen, sodass ich mir fast die Zehen brach und Kubelka mich fragte: „Fühlst du dich etwa unterlegen?“ Und ich ihm sagen musste: „Leck mich am Arsch mit unterlegen , okay? Wie soll ich mich denn einem Scheißautoreifen unterlegen fühlen? Ich meine … Es ist ein Autoreifen!“
Kaum öffnete ich die Türe zu Willis Grundstück, spürte ich schon die Gelsen, die jedes Jahr hier ihren Kongress abhielten, und Willi kam uns auf seinen O-Beinen und mit den Badelatschen unten dran entgegen. Gerne hätte ich ihm gesagt, dass seine rote Badehose ein wenig locker saß um den Sack herum, sodass die stark behaarten Eier immer wieder mal heraushingen, während er ging. Aber wer lässt sich schon etwas sagen, wenn es Sommer war und man auf seinem eigenen Grundstück tun und lassen konnte, was man wollte?
Als Kubelka ihn aber so halbnackt sah, fragte er mich: „Wer bitte ist der denn?“ Und das, obwohl er Willi natürlich seit Jahren gut kannte, weil ja auch er Stammgast bei ihm im Pornhouse war. Dort war Willi aber auch immer vorschriftsmäßig in rosa oder gelbe Sakkos gehüllt, und wenn ihm dort die Eier bis zu den Knien hingen, dann taten sie das unter notdürftig gebügelten Hosen.
Ich sagte also: „Das ist Willi, du Idiot!“
Und als Willi Kubelka mit seinem zerstörten Gesicht und in einem meiner Hawaiihemden sah, fragte er mich das Gleiche: „Wer bitte ist der?“
Ich sagte: „Der vierte Mann.“
Wie befürchtet, war er skeptisch, ob dieser geprügelte Hund neben mir seine Kartenrunde komplettieren konnte, denn jede Veränderung in seinem Leben war ihm eigentlich eine zu viel. Andererseits häuften sich in seinem Alter Veränderungen nun mal, und nicht selten waren es endgültige.
Ich versuchte ihm Ku schmackhaft zu machen, ihn in seinem Ansehen zu heben, indem ich Willi die Lage erklärte, in die er durch die Schläge im Auftrag des eifersüchtigen Hassan geraten war – „Same old Eifersuchtsstory“!
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