Ich bin nicht hier, weil ich unbedingt hierher wollte,
ich musste meine Heimat verlassen.
Ich war gezwungen wieder schnell eine wichtige Entscheidung
in meinem Leben zu treffen.
Wie im Mittelfeld beim Fußball.
Zwischen Angriff und Verteidigung.
Mein Name ist Izzadin,
aber man nennt mich Django. Wie der Cowboy.
Ich komme aus Kurdistan und bin
seit anderthalb Jahren in Deutschland.
Ich bin 23 Jahre alt.
Ich möchte Schauspieler werden.
Ich denke, wenn ich Schauspieler bin,
dann kann ich den Menschen zeigen, wie meine Kultur ist,
unser Folklore.
Zum Beispiel wie wir das Neujahr feiern.
Das Fest ist schon 2.600 Jahre alt.
Ein Fest der Wiedergeburt.
Der Winter geht, der Frühling kommt.
Aber auch ein Fest gegen Unterdrückung und Despotismus.
Ein Fest für die Freiheit, für die Liebe.
Apropos Liebe:
Ich habe mich verliebt. Ich war sehr glücklich.
Das war, bevor ich eine kleine Wohnung bekommen habe.
Jetzt habe ich auch ein Fahrrad.
Das heißt, ich habe zwei Schlüssel:
einen für die Wohnungstür, den anderen fürs Fahrrad.
Ich habe hier Menschen gesehen, die viele Schlüssel haben,
zehn oder mehr.
In meiner Heimat hat man normalerweise
nur einen Schlüssel, mehr nicht.
Wie gesagt, ich habe mich verliebt.
Sie hat mich aber leider verlassen.
Sie ist zu einem anderen Mann gegangen.
Er hatte ein Auto. Also mehr Schlüssel als ich.
Ich war sehr traurig, deprimiert.
Ich wusste nicht, was ich tun soll.
Eines Tages habe ich viel getrunken, um zu vergessen.
Es war aber nur ein Tag, mehr nicht.
Es gibt welche, die trinken, um zu vergessen,
bis sie vergessen haben, warum sie trinken.
Das war bei mir nicht der Fall.
Nur an einem Tag.
Aber viel.
Ich war irgendwann endlich betrunken
und wollte mehr trinken.
Das gehört irgendwie zusammen:
betrunken sein und dann mehr trinken zu wollen.
Warum ist das so?
Keine Ahnung. Es ist halt so.
Ich ging auf die Straße und sah einen Laden mit viel Licht.
Da waren auch Flaschen in der Vitrine,
kleine und große Flaschen.
Ich ging hinein und sagte:
„Eine Flasche Whisky bitte, vom Besten!“
Ich dachte dabei:
„Wenn schon, denn schon.“
Der Mann hinter dem Tresen schaute mich komisch an und sagte:
„Wir verkaufen hier keinen Whisky!“
Ich wiederholte – typisch für einen Besoffenen –
„Eine Flasche Whisky, bitte!“
Und nach einer Pause:
„Vom Besten!“
Der Mann sagte:
„Das hier ist eine Apotheke!“
Ich sagte:
„Ach so. Brauchen Sie ein Rezept?“
Eine ziemlich seltsame Frage, weil
in einer Apotheke der Kunde derjenige ist,
der ein Rezept braucht,
und nicht der Apotheker.
Aber, wie schon gesagt,
ich war nicht besonders logisch,
ich war betrunken.
Dann musste ich die Apotheke verlassen.
Ich ging nach Hause zurück.
Die Treppe hoch. Es war sehr dunkel.
Ich holte meine Schlüssel heraus.
Die zwei, die ich habe.
Ich konnte aber die Tür nicht öffnen.
Immer wieder versuchte ich es.
Keine Chance.
Plötzlich ging die Tür auf.
Da stand ein großer Mann vor mir.
Er sagte:
„Was wollen Sie in meiner Wohnung?“
Ich fragte:
„Ihre Wohnung? Wie viele Schlüssel haben Sie?“
„Wie bitte?“, fragte er.
Dann habe ich gemerkt, dass ich eine Etage tiefer war.
Ich entschuldigte mich und ging nach Hause.
Mein Name ist Alem,
ich bin 21 Jahre alt und ich lebe in Lilienthal.
Das ist ein sehr ruhiger Ort.
Die Menschen dort sind nett und freundlich,
die Straßen sind sauber.
Man sieht keinen Müll auf der Straße.
Und wenn es Abfall gibt,
dann heißt das nicht Müll, sondern „Sperrmüll“.
Sperrmüll ist eigentlich kein Müll.
Es sind Sachen, die man nicht mehr braucht.
Sie werden dann nach draußen gestellt
und andere können sie mitnehmen.
Man findet dann Stühle, Tische, Regale, Betten,
Matratzen, Lampen, Spielzeuge etc.
Wenn ich diesen Sperrmüll
in meiner Heimat gehabt hätte,
dann wäre ich heute ein reicher Mann.
Ich komme aus einer sehr armen Familie,
wo die Kinder keine Zeit hatten, zu spielen.
Wir mussten ganz früh arbeiten,
damit die Familie überleben konnte.
Wir sind sieben Geschwister.
Ich bin in Afghanistan geboren, aber nach einem Jahr
ist meine Familie in den Iran geflüchtet.
Krieg und Hunger haben uns dahin vertrieben.
Dort bin ich aufgewachsen,
trotzdem fühle ich mich als Afghane.
Im Iran begann ich mit sieben Jahren zu arbeiten.
Mit meinen Brüdern sammelte ich
Müll von der Straße;
Flaschen, Dosen, Papier, Plastik, Gummi, Leder etc.
Ich hatte eine Schubkarre,
da habe ich den Müll reingetan
und nach Hause transportiert, wo wir das Ganze sortiert haben,
um es später zu verkaufen.
Diese Arbeit habe ich gemacht,
bis ich 14 Jahre alt war.
Natürlich war das Schwarzarbeit,
wir durften in Iran nicht arbeiten.
Mein Vater hat als Schuster gearbeitet.
Er lebte leider nicht lange und ist mit 38 verstorben.
Es kann sein, dass er deswegen gestorben ist,
weil er bei einem Streit mit einem Onkel von mir
am Bauch schwer verletzt worden ist.
Nachdem ich mit dem Müll aufgehört hatte,
arbeitete ich auf dem Land bei der Wassermelonenernte.
Später habe ich als Maurer gearbeitet.
Zur Schule bin ich nie gegangen,
deshalb konnte ich weder lesen noch schreiben lernen.
Das ist das Ergebnis von Krieg
und der Herrschaft der Taliban, die alles verbieten.
Nachdem mir eines Tages die iranische Polizei
meine Papiere wegnahm,
wurde für mich alles noch komplizierter.
Ich musste zurück nach Afghanistan.
Zwei Mal habe ich versucht in den Iran wieder einzureisen.
Beide Male wurde ich abgeschoben.
Aber im Iran war die Situation auch nicht besser
als in meiner Heimat,
deshalb entschied die Familie, nach Afghanistan
zurückzukehren, wo wir wieder in eine
aussichtslose Situation geraten sind.
Deshalb sind wir alle, die ganze Familie,
meine Mutter, meine Schwestern und Brüder,
meine Tanten und Onkel, Cousinen und Cousins,
Schwager und Schwägerinnen, nach Europa geflüchtet.
Insgesamt waren wir fünfzig Personen unterwegs.
Drei Monate sind wir gelaufen, gefahren, gerannt.
Mit dem Boot, mit dem Auto, mit dem Bus, zu Fuß.
Durch Wälder, über die Berge, am Wasser, im Regen,
in der Kälte, in der Hitze, durch Täler,
an Autobahnen entlang, am Tag und in der Nacht.
Durch Pakistan, den Iran, die Türkei, Griechenland,
Mazedonien, Serbien, Ungarn, Österreich …
bis wir in Deutschland waren.
Nun bin ich in Lilienthal.
Das ist ein sehr ruhiger Ort.
Die Menschen sind ruhig,
nett und freundlich.
Die Straßen sind sauber, man sieht keinen Müll.
Wie gesagt, nur Sperrmüll.
Ich müsste eigentlich glücklich sein.
Aber ich finde immer noch keinen Frieden.
Mein Asylantrag wurde abgelehnt.
Ich weiß nicht, was aus mir wird.
Wenn sie mich in die Heimat zurückschicken,
dann weiß ich nicht weiter.
Dort habe ich nichts.
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