»Das Zack-Varieté in der Innenstadt kennen Sie ja?« Pedro Möller formulierte den Satz als Frage.
»Selbstverständlich kenne ich das!« Ben war zehn, fünfzehn Jahre zuvor oft dort gewesen, um sich Zaubererkollegen anzusehen, die bereits das geschafft hatten, was er anstrebte. Als irgendwann abzusehen gewesen war, dass er diese Höhen mit seiner Kunst eher nicht erklimmen würde, waren die Besuche weniger geworden, bis sie schließlich ganz eingeschlafen waren. Heute kannte er das Varieté hauptsächlich wegen seines Parkplatzes, auf dem er unberechtigterweise, dafür kostenlos, parkte, wenn er etwas in der Innenstadt zu erledigen hatte.
»Gut! Wir sind das einzige noch inhabergeführte Varieté in einem Umkreis von knapp 150 Kilometern, und das, obwohl wir hier mitten im Ruhrgebiet sitzen. Seit einigen Wochen haben wir immer wieder mit Sabotageakten zu kämpfen, die uns das Leben schwer machen. Vor einer Woche musste die Show komplett ausfallen. Jemand hat die Toilettenanlage derart unter Wasser gesetzt, dass nichts mehr ging. Eine Sauerei war das! Sicher haben Sie davon in der Zeitung gelesen?«
»Natürlich!« Ben hatte außer den geklauten Sonntagsblättern seit Ewigkeiten keine Zeitung mehr in der Hand gehabt, aber sollte mehr Fachwissen aus dem Tagesblättchen von ihm verlangt werden, konnte er ja behaupten, die Details nicht mehr präsent zu haben.
»Ich hab natürlich versucht, das so wenig hochkochen zu lassen wie möglich. In der Zeitung stand nur, dass wegen eines technischen Defektes die Show ausfallen musste.« Pedro Möller wirkte aufgebracht und kratze fortwährend mit dem Daumen seine Nase. »Schaden von knapp 15.000 Euro. Der Teppich in der Eingangshalle musste komplett erneuert werden. Und die Versicherung stellt sich quer, weil klar ist, dass da einer was manipuliert hat.«
»Haben Sie die Polizei verständigt?«
»Klar, die kamen sofort und haben alle Mitarbeiter befragt. Weiter gemacht haben die aber nichts. Keine Spuren genommen oder so was. Unglaublich!« Er schaute Ben empört an, der sein Verständnis zeigte, indem er einfach denselben Gesichtsausdruck annahm.
»Was wurde denn an der Wasserversorgung manipuliert? Technische Ermüdungserscheinungen scheiden definitiv aus?« Ben freute sich, dass ihm dieses tolle Wort eingefallen war. Das machte was her.
»Ganz ohne Zweifel. Jemand muss irgendwann in der Nacht eingedrungen sein und hat jeden Wasserhahn in den Gästetoiletten aufgedreht und die Abflüsse verstopft. Damen- und Herrentoilette zusammengenommen sind das zehn Wasserhähne, die stundenlang aufgedreht waren.«
»Wer hat alles einen Schlüssel für das Varieté? Ich denke, es gab keine Einbruchspuren, richtig?«
»Stimmt. Der Täter muss einen Schlüssel gehabt haben. Davon gibt es natürlich einige. Ich, meine Sekretärin, zwei der Techniker, das ganze Ensemble, der Choreograf, der Regisseur, die drei Putzfrauen, und wer weiß, wer sonst noch alles.«
»Könnten Sie mir eine Liste davon zukommen lassen?« Wow, Ben fühlte, wie er in Fahrt kam. Zumindest hier, gemütlich im gepolsterten Bürostuhl, fing die Sache an, ihm Spaß zu machen.
»Natürlich. Ich lasse das meine Sekretärin gleich morgen früh erledigen.« Er deutete zuerst auf Ben, dann auf sich. »Wenn wir uns einig werden. Ich hätte ja zumindest gedacht, dass die Polizei so eine Liste auch fordert, aber nichts. Als ich nachfragte, sagte der Kripotyp, dass es da zu viele Möglichkeiten gäbe, und sie sich deshalb nicht drum kümmern könnten.«
»Wie hieß der denn?«
»Das war ein Herr Schnieders. Kriminalinspektion 4.«
»Ach klar, der Schnieders …« Ben zog die Stirn kraus und lächelte wissend. Er fand, es könne nicht schaden, Pedro Möller das Gefühl zu vermitteln, er würde den Herrn Schnieders von der Polizei kennen, was selbstverständlich nicht der Fall war.
»Ach, Sie kennen den? … Ja, klar … Flitzpiepe!« Pedro Möller stieß ein krächzendes, kurzes Lachen aus. Er wirkte beeindruckt.
Volltreffer!
»Sie haben erwähnt, Herr Möller, dass es vorher schon Fälle von Sabotage gab. Was war das?« Ben verspürte den ungeheuren Drang, seine Beine auf die Tischplatte zu legen und sich eine Zigarre anzuzünden, doch er beherrschte sich – außerdem hatte er keine Zigarre im Haus.
»Genau. Zwei weitere Vorfälle gab es, die aber weitaus weniger ins Gewicht fielen. Die haben wir mehr oder weniger abgehakt. Einmal waren alle Kabel aus unseren drei Kassencomputern verschwunden. Monitorkabel, Netzkabel alle weg. Da konnten wir uns relativ schnell helfen, weil wir die Praktikantin nach nebenan in den Elektroladen zum Einkaufen geschickt haben. Eine Woche später waren dann die Schlösser der Eingangstüren mit Sekundenkleber verklebt. Das hat unser Techniker auch schnell wieder im Griff gehabt.«
»Mmmmh, mmmmh«, murmelte Ben nachdenklich, nickte und stellte fest, dass er die Augen zu schmalen Schlitzen geschlossen hatte. »Können Sie sich vorstellen, was für ein Motiv hinter der ganzen Sache steckt?«
Pedro Möller runzelte die Stirn und dachte nach: »Tja, da will wohl ein Mitarbeiter dem Varieté was Schlechtes.«
»Haben Sie da jemand bestimmtes im Blick?«
»Absolut nicht. Ich bin mir nur sicher, dass es keiner von den Künstlern und aus der Technik ist. Wir kennen uns seit Jahren.«
»Also eher jemand aus dem Service?«
»Kommt mir eher schlüssig vor. In dem Bereich gibt es auch eine höhere Fluktuation«, antwortete Pedro Möller mit einem Schulterzucken.
»Vielleicht wurde der von einem Mitbewerber angeheuert?«
»Unwahrscheinlich. Hier in der Stadt gibt es noch ein Varieté, das einer Kette angeschlossen ist und nicht privat betrieben wird. Bei denen fallen die Kosten viel geringer aus, weil die ihre Künstler für zwei Jahre buchen und in die verschiedenen Städte schicken. Außerdem sitzen wir in einer so großen Stadt, die problemlos zwei Varietés verträgt.«
»Dann eher was gegen Sie als Arbeitgeber?«
»Das habe ich mir auch schon überlegt. Klar, man macht sich nicht immer nur Freunde bei den Mitarbeitern. Allerdings kenne ich niemanden, der mir da feindlich gesinnt sein würde und dem ich so dermaßen auf die Füße getreten hätte, dass er so weit geht.«
»Okay.« Das gute alte, flaue Gefühl kehrte in Bens Magen zurück, und er überlegte, ob er die Sache nicht doch an dieser Stelle abbrechen sollte. Sein Blick fiel auf den Kalender, auf dem der 18. August rot eingerahmt war, und er erinnerte sich an seine Mietschulden. Dann sagte er: »Wie stellen Sie sich meinen Einsatz vor? Wenn jemand aus Ihrem Umfeld dahintersteckt, dann wird er vorsichtig werden, sobald ein Detektiv die Bühne betritt.« Er musste selbst über sein kleines Wortspiel lachen, doch Pedro Möller, der keine Miene verzog, schien den Witz nicht zu bemerken. Ben räusperte sich und fuhr fort: »Sie könnten mich als Zauberkünstler engagieren, der vor der Show die Gäste im Foyer unterhält.«
Pedro Möller wiegte den Kopf hin und her und verzog skeptisch den Mund. »Halte ich mitten in der Spielzeit für keine gute Idee. Mit welcher Begründung sollte ich das den Kollegen erklären? Wir sind jeden Tag ausverkauft, trotzdem bleibt von den Einnahmen nicht sonderlich viel übrig. Außerdem müssten Sie ja immer nur kurz vor den Shows vor Ort sein.« Dann setzte er ein breites Lächeln auf. »Aber ich hab da schon eine andere Idee für Sie.«
»Als Masseur?«, fragte Ben entgeistert und hoffte inständig, sich verhört zu haben. Vielleicht hatte Pedro Möller ja doch Regisseur gesagt, oder wenigstens Chauffeur ? Hautsache irgendein anderes Wort mit eur am Ende.
»Genau! Dann wären Sie immer mittendrin im Spektakel. Wir hatten vor zwei, drei Jahren einen Choreographen im Team, der gleichzeitig Physiotherapeut war. Der hat sich gut um die Wehwehchen der Künstler gekümmert. Irgendwas haben die ja immer, bei zwei Shows am Tag.«
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