»Erstens kann ab und zu etwas schiefgehen und ...«
»Ich weiß: Shit happens!«
»... und zweitens bin ich nun Rentner.« Immer noch gelassen winkte Stormann ab, dann tastete er die Ausbeulung seiner rechten Manteltasche ab und blickte vielsagend. »Aber es scheint sich heute schon zum zweiten Mal gelohnt zu haben.«
»So?« Brüwer hob die Brauen, während er mit der freien Linken abwedelte. »Das muss es auch! Denn mich schon wieder einfach sitzen zu lassen ...«
»Was ist denn schon groß dabei. Du machst doch beim Biertrinken sowieso nichts anderes.«
»Und ob. Man denkt über das Leben, die Welt und den Rest des Universums nach. Man kann sich an einen unserer Mordfälle erinnern, die ja immer in der Zeitung standen. Zum Beispiel an die große Sache im Angelcenter von Schnelsen, wo du auf sämtlichen Fotos der Pressefritzen käseweiß aussiehst. Ich hatte schon Sorge, dass du einen Magenstrahl auf eine der Kameralinsen schießt. Dabei hatten wir bloß eine nackte Leiche gefunden in der mannsgroßen Metallkiste randvoll mit pappsatten Tauwürmern und ...«
»Hör bloß auf!«
»Ja! Jetzt siehst du genauso aus wie damals!« Brüwer lachte bollernd. »Aber die war ja auch zugerichtet wie ...«
»Hör sofort auf, sonst gehe ich wieder.«
»Ja, ja, schon gut. Nur fällt mir nichts anderes ein, wenn ich mal ein Bierchen trinke.«
»Du brauchst nur zu wollen. Zum Beispiel hättest du gerade eine wunderschöne Reise mit deiner Frau planen können.«
»Hör bloß auf!«
»Ja, ja, jetzt schüttelst du dich.« Stormann lachte leise und blickte gönnerhaft. »Zum Beispiel könntest du mit ihr nächstes Wochenende einen Flug nach ...«
»Hör sofort auf, sonst sage ich Georgios, dass er dir Hausverbot erteilt! Meine Frau geht doch noch jahrelang arbeiten und hat nie Zeit für mich, weil sie mich als Rentner nicht mehr für voll nimmt. Das weißt du ganz genau.«
»Und du weißt ganz genau, wovor ich mich ekle. Also, sind wir jetzt endlich mal quitt?«
»Endlich mal? Ausnahmsweise. Geooorgiooos!« Hinter dem Tresen der Bar hantierte der griechische Inhaber des Restaurants. Als dieser nun erfreut aufblickte, schnippte Brüwer mit den Fingern. »Ein großes kühles Blondes für meinen allerbesten Freund. Und für mich auch noch eines.«
So unauffällig wie möglich zog Stormann ein handtellergroßes Bündel aus der rechten Tasche seines Mantels, legte den in einen weißen Lappen gewickelten Gegenstand sacht auf den Tisch und schob ihn langsam hinüber.
»Hoppla!«, murmelte Brüwer und hob wie elektrisiert die buschigen Brauen. »Was schleppst du denn da an?« Er hob rasch die rechte Hand. »Halt!« Dann senkte er sie und tastete mit allen Fingerspitzen das Leinentuch ab. »Das bekomme ich selber heraus, ich kann‘s mir sogar schon denken.«
»Nur zu.«
»Ein kurzer Lauf, ... ein Griff, ... ein Abzugsbügel. Das kann nur eine Faustfeuerwaffe sein, eine Pistole würde ich sagen, denn ich spüre keine Trommel.«
»Treffer: Eine Walther PePeKa, sehr gut erhalten, obwohl aus dem Zweiten Weltkrieg. Mit dieser Waffe wurde bis vor kurzem sogar noch geschossen.«
»Gesichert? Entladen?« Vorsichtig fasste Brüwer einen Zipfel des Leinentuchs.
»Gewiss.«
»Na, dann wollen wir doch mal nachsehen.« Obwohl in dieser Ecke kaum jemand sie beobachten und abhören konnte, reckte Brüwer seinen Hals und vergewisserte sich mit einem unauffälligen Blick rundum, dass wirklich keiner der anderen Gäste etwas mitbekam; dann packte er aus. »Alles blank poliert, wie neu. Nur der Griff ist schon ganz schön abgenutzt, also wurde mit der Waffe viel hantiert.«
»Ertappt«, flüsterte Georgios und grinste dermaßen, dass sein pechschwarzer Vollbart rechtwinklig von den dicken Backen abstand. Er hatte es genossen, sich gelegentlich anzuschleichen und die beiden Kommissare während ihrer zumeist konspirativen Sitzungen ein wenig zu erschrecken. »Dabei dachte ich, ihr seid pensioniert.«
»Sind wir auch.« Nachdem Brüwer sich von seinem Schrecken erholt hatte, nickte er mit Nachdruck und zeigte mit dem rechten Zeigefinger anklagend auf Stormann. »Der da ist schuld.« Danach wies er auf den Wohlstandsbauch des Griechen. »Wie immer hast du weder etwas gesehen noch gehört! Du weißt, du bist und bleibst unser einziger Mitwisser, Vertrauter und Freund in Hamburg, im Norden, in Deutschland, in Europa und dem Rest der Welt.«
Diese ins globale ausufernde Schmeichelei ging Georgios runter wie Öl aus frisch gepressten Oliven, geerntet von den Hängen des Olymp. Selig lächelnd stellte er die beiden mit hohem Schaum gekrönten gläsernen Krüge mit einem Doppelknall auf der marmornen Tischplatte ab. Als er sich neugierig vorbeugte, rann ein Schweißtropfen über seine feuchte Stirn, entlang einer verklebten schwarzen Haarsträhne. »Ist jemand damit ermordet worden?« Der Tropfen löste sich und platschte auf den metallenen Griff der Pistole.
»Kann sein, mein Guter, kann auch nicht sein. Im Augenblick weiß ich nicht mehr als du«. Kopfschüttelnd blickte Brüwer auf, tupfte mit der Spitze des Lappens die geriffelte Oberfläche trocken und sah Stormann an. »Also, was hat es mit dieser Pistole nun auf sich?«
»Dem Opa von dem jungen Mann, von dem ich dir erzählt habe, gehörte diese Waffe zuerst, dann erhielt sie der Vater, und der Sohn nahm sein Erbe vorweg, um sie zu ...«
»Also vom Vater geklaut, ähm, gestohlen.« Brüwer drohte mit dem Finger. »Und du hast sie gekauft, also bist du ein Hehler.«
»Ach was. Ich mache doch kein Geschäft damit, sondern sichere ein mögliches Beweisstück, präventiv handelnd«, murmelte Stormann und hob beschwichtigend beide Hände. »Nachdem ich also bei seinem Vater gewesen war, ließ mir diese Geschichte nämlich keine Ruhe, sondern ...«
»Ähm, Georgios.« Brüwer blickte auf. »Mein Lieber, du kannst deine anderen Gäste nicht länger im Stich lassen.«
»Ach was, die kommen schon ein Weilchen ohne mich klar«, protestierte der vom steten Abschmecken rundlich gewordene Gastronom, welchem die Neugier im fülligen Gesicht geschrieben stand. Er beugte sich hinab zum rechten Ohr von Brüwer. »Ich gebe auch einen aus«, säuselte er in einer Tonlage, welche selbst die schöne Helena hätte betören können.
»Nein, nein, mein Allerbester, es tut mir wirklich leid. Auch wenn du uns damals bei der Sache mit dem Angelcenter den entscheidenden Tipp gegeben hast, du kannst nicht einfach mithören.« Brüwer wedelte mit dem rechten Zeigefinger. »Und bestechen lassen wir uns schon gar nicht.«
Den Herrn im Himmel anflehend legte Georgios den Kopf in den Nacken, verdrehte die Pupillen und breitete seine kräftigen Arme aus zur allumfassenden Frage, womit er das verdient habe. Weil ihm keine Antwort der höheren Mächte zuteil wurde, ergab er sich in sein Schicksal und schlurfte mit hängenden Schultern zur Theke zurück.
»Nun schieß endlich los.«
»Bevor ich das Märchenbuch kaufte, entdeckte ich unter diesem Lappen diese Waffe. Jügesen junior, durchaus ein Luftikus, wie sein Vater meint, wollte sie verscherbeln, aber ich habe ihn zurechtgestutzt. Wegen diesem merkwürdigen Aufsatz von ihm aus dem Märchenbuch und dazu noch diese abstruse Geschichte um den Urgroßvater jedoch ...«
»Die musst du mir noch erzählen. Und von dem Treffen mit dem alten Jügesen berichten.«
»Von Jügesen senior. Da legt er Wert darauf, im Gegensatz zu seinem Sohn.« Stormann grinste belustigt. »Wenn du deren Familiengeschichte hörst, haut‘s dich vom Hocker.«
»Dann trifft es sich gut, dass ich mit dieser Sitzbank fast verwachsen bin.« Brüwer pochte mit den Fingerknöcheln gleichzeitig links und rechts aufs Holz. »Los, weiter.«
»Also bin ich vom Stammhaus gleich wieder zum Fischmarkt marschiert, um für alle Fälle die Pistole an mich zu bringen, bevor er sie doch gegen jede Vernunft an irgendjemanden auf Nimmerwiedersehen verhökern konnte. Ich kam rechtzeitig an, denn er hockte immer noch dort, obwohl rund um ihn herum schon alle fort waren oder gerade am Abbauen.«
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