Viviana Uriona - Sie senden den Wandel

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Altbekannt ist, welch wichtige Rolle Medien bei der Konsolidierung oder aber auch bei der Transformation einer Gesellschaft spielen. Was aber geschieht, wenn Medien von unten aus agieren und dies in großer Zahl geschieht, unter Einbindung vieler gesellschaftlicher Akteure sowie gegenüber einem umfassenden Publikum?
In Argentinien hat sich eine faszinierende Radiolandschaft gebildet, die kollektiv, partizipativ und progressiv arbeitet: Die Community-Radios.
Viviana Uriona nimmt uns mit auf eine ethnografische Reise durch die Geschichte dieser Radios, analysiert ihre Arbeitsweise und sucht nach den Gründen ihres Erfolges. Am Ende der Lektüre bleibt eine Frage nicht mehr offen: Könnte hierzulande in gleicher Weise gelingen, was dort geschah?

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ibidem-Verlag, Stuttgart

Für alle, die den Mut haben zu träumen.

Vorwort

Mein erstes Buch, das ich im ibidem-Verlag veröffentlichen konnte, war meine Diplomarbeit zu „Freien Radios“: „Freie Radios als Ort der ‚Jugend-Medien-Arbeit‘“. Der Band ist immer noch erhältlich und meine Leidenschaft für einen Hörfunk, in dem Menschen zu Wort kommen, deren Stimmen sonst nicht gehört werden, ist geblieben. Auch die Vision eines Rundfunks, der kein Sprachrohr der „herrschenden“ Eliten und Parteien ist, sondern ein Medium für Menschen, die sich eine emanzipatorische Gesellschaftsordnung wünschen und dafür eintreten, ist geblieben. Diese Vision teile ich mit der Filmemacherin Viviana Uriona, der Autorin dieser Arbeit.

Ich freue mich deshalb sehr, ein Buch zu „nichtkommerziellem Rundfunk“, zu Bürgermedien, den sog. „Community-Radios“, in Argentinien herausgeben zu dürfen.

Die Autorin nimmt uns in ihrer Dissertation auf eine Reise mit nach Südamerika. Sie gibt einen Einblick in die „Community-Radios“, die sich in Argentinien als Medien für eine Transformation, die den Kapitalismus von unten überwinden möchte, begreifen. Sie sind im Vergleich zu den deutschsprachigen „Freien Radios“ offenbar sehr viel stärker in der lokalen Bevölkerung verankert, stehen mit dieser in einem ständigen funktionalem Austausch, der die Grenze zwischen der Produktion und Konsumtion von Medieninhalten verwischen lässt und verstehen sich – neben selbstverwalteten Fabriken und Landkommunen – als Akteure gesellschaftsverändernder Praxis.

Das deckt Viviana Uriona eindrucksvoll mithilfe von ethnografischen Methoden auf. Wie in einer wissenschaftlichen Arbeit üblich, stellt die Autorin die Methodik, die ihrer Untersuchung zugrunde liegt, ausführlich vor, um sie im wissenschaftlichen Diskurs nachvollziehbar zu machen. Für manchen Praktiker, manche Praktiker*in, der oder die lieber gleich zur Sache kommen möchte, mag der wichtigste Teil dieses Buch erst mit dem zweiten Kapitel, „Motivation“, beginnen. Ausgehend von der Geschichte der Radios der Minenarbeiter in Bolivien, welche Vorbildcharakter für die Community-Radios in Lateinamerika hatten, werden auch andere Formate wie „Bildungsradios“ und Bürgerradios skizziert, um danach das basisdemokratische Konzept der „Poder Popular“ (Populäre Macht) im Kontext einer emanzipatorischen Radiobewegung zu erläutern. In Anlehnung an das Hegemoniekonzept von Antonio Gramsci wird beschrieben, wie die „Community-Radios“ sich einen Platz in der argentinischen Medienlandschaft erkämpften. Dieser Kampf fand einen vorläufigen Höhepunkt, als während der Regierungszeit von Kirchner und Fernandez (2003 bis 2015) die selbstorganisierten sozialen Bewegungen ein neues Mediengesetz erstritten und mitgestaltet hatten.

Die vielen Statements aus den Interviews mit den Radioaktivist*innen, die die Autorin authentisch zu Wort kommen lässt, sind für mich als Herausgeber zweifelsohne das Herz dieser Arbeit und sie machen sichtbar, wie Menschen sich das Medium Radio aneignen und emanzipatorische Prozesse ausgelöst werden können.

Berlin, im Sommer 2020

Harald Hahn

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Hintergrund und Rahmenbedingungen

2. Angewandte Methode (Grounded Theory)

2.1. Die Wahl der Methode

2.1.1 Komparative Analyse

2.1.2 Kodieren nach der Methode des permanenten Vergleichs

2.1.3 Interviewführung und Wahl der Interviewpartner*innen

2.1.4 Gütekriterien und kritische Haltung zur Methode

2.2 Hinterfragung der gewählten Methode (Warum nicht Aktionsforschung?)

2.2.1 Darstellung der Aktionsforschung

3. Theoretische Rahmung

3.1 Begriff von Theorien und Theorie der Begriffe

4. Kritische Begrifflichkeiten: Kommunikation, Öffentlichkeit und »Kommunikation als Menschenrecht«

4.1 Zum Begriff der Kommunikation

4.2 Zum Begriff der Öffentlichkeit

4.3 Zum Begriff »Kommunikation als Menschenrecht«

2. Motivation

2.1 (Community)-Radios – ein kurzer Überblick über eine realexistierende Gegenhegemonie

3. Methodologie (Genese)

3.1 Methodologische Herangehensweisen

3.1.1 Eigene Verortung und äußere Rahmenbedingungen

3.1.2 Nördlicher ruraler Raum (Dokumentarfilm Sachamanta)

3.2 Quellen und der Umgang mit ihnen

3.2.1 Interview / Quellen

3.2.2 Vorgehensweise bei der Analyse der Interviews

3.2.3 Auswertungsverfahren (interpretativ)

4. Quellenanalyse und Theoriebildung

4.1 Radio – ein Begriff und viele Begriffsinhalte

*Radios Mineras

*Radios Educadoras

*Radios Propaladoras

*Radios Truchas

*Radios Populares

*Radios Ciudadanas

*Radios Alternativas (Alternative Radios)

*Radios Comunitarias (Community-Radios)

*Freie Radios (eine Abgrenzung)

4.2 Partizipation und ihre Räume

4.2.1 Radio als Teil des Ganzen

4.2.2 Radio als offener Raum

4.2.3 Identität (entlang der Praxis) gemeinsam (neu) finden

4.2.4 Das Radio als Werkzeug(kasten)

4.2.5 Entmystifizierung der Technologien als Empowerment-Mechanismus

4.3 Populare Macht (Poder Popular) als Produktionsstätte radikaler Alterität

4.4. Hegemonie und Gegenhegemonie

4.5 Objektive Berichterstattung

4.6 Öffentlichkeit ohne Raum – Raum der Öffentlichkeit

* (Alternative) Gegenöffentlichkeit gestalten

* Alternative Öffentlichkeit schaffen

*Authentische Öffentlichkeit herstellen

4.7 Recht auf Kommunikation

4.7.1 Kommunikationsbegriff

4.7.2 Kommunikation als (Menschen)Recht

5. Sozialer und politischer Druck von »unten« (Soziale Bewegungen)

5.1 Argentinien

5.1.1 »Sie sollen alle abhauen!« – die Emanzipation der Massen

5.1.2 Das Erstarken der gewerkschaftlichen Arbeiter*innenbewegung

5.1.3 Volksversammlungen

5.1.4 (Kleines) Fazit

5.2 Kontinentaler Kontext

6. Das argentinische Medienrecht im (rechts)historischen Kontext

6.1 Antidemokratischer Ursprung

6.2 Verlorene Jahre

6.3 Die Demaskierung der Hegemonie

7. Ein Gesetz für alle Stimmen

8. Ausblick

9. K[l]eine Kommentierung zum LSCA

1. Gliederung und Besonderheit

2. Erster Teil

3. Zweiter Teil

4. Dritter Teil

5. Vierter Teil

6. Fünfter Teil

7. Sechster Teil

8. Siebter Teil

9. Anmerkungen zu verbleibenden Teilen

Abkürzungsverzeichnis

Anhang

I. Inhaltsverzeichnis des LSCA

II. Codesbuch

Literaturverzeichnis

Einleitung

1. Hintergrund und Rahmenbedingungen

Auf dem lateinamerikanischen Kontinent im Allgemeinen – und im Besonderen in Argentinien – existiert eine nach europäischen Maßstäben schier unfassbare Anzahl an Radiostationen. Mehr als 25 000 Sender sind es in ganz Lateinamerika (Ballesteros, T.: https://radialistas.net/mapa-de-radios/ 1). Unter ihnen gibt es staatliche Sender, dezidiert öffentlich-rechtliche Sender und private Sender. In 2012 gab es nach Ballesteros allein in Argentinien ca. 8000 Sender. (Ballesteros, T. 2012: 35)

Diese hohe Anzahl an Radiostationen erklärt sich nicht allein durch ein anderes Medienkonsumverhalten oder kulturelle Besonderheiten. Es gibt auch deshalb so viele Radiosender in Lateinamerika, weil es einen Typ Radiosender gibt, der in Europa in dieser Form kaum existiert, in Lateinamerika aber eine enorme soziale und politische Bedeutung hat: das Community-Radio.Schätzungen zufolge werden allein in Argentinien zwischen 3000 und 6000 Community-Radios 2 betrieben . (Ballesteros, T. 2012: 35) Der bürgerlichen Rechtsform nach handelt es sich bei diesem Radiotyp um eine private Station, also eine Station, die weder im Eigentum des Staates steht noch von diesem in Funktion gesetzt und unterhalten wird. Dennoch bestehen fundamentale Unterschiede zu den europäischen »Privatsendern« einerseits und zu den europäischen »Freien Radios« andererseits.

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