Am schönsten jedoch war es später in Berghütte unter dem Gipfel. Hier gab es Nudeln, Schweinswürstel, Rösti, Wein für die Mutter, Bier für den Vater und Säfte oder sogar Cola für die Kinder. Andor hatte gute Laune und spendierte hinterher für alle Eisbecher. So gestärkt konnte es weitergehen – nun bergab.
„Bergab ist schwerer als bergauf“, hatten Miturlauber behauptet. Andor fand, das sei nicht wahr. Je näher sie jedoch ihrem Ziel im Tal kamen, desto häufiger richteten sie ihren Blick gen Himmel. Es zog sich etwas zusammen, und in irgendeiner Ferne konnte man das Grummeln eines Gewitters vernehmen. Gerade, als die Stolps ihre Unterkunft betraten, begann es zu schütten. Später in der Heimat aber versicherten die Urlauber: „Wir hatten herrliches Wetter!“
Am Meer hatten die vier einmal einen Ausflug zur Insel „Helgoland“ gemacht. Die lag einsam etwa achtzig Seemeilen entfernt und hatte eine eigene Geschichte hinter sich: Eine fremde Macht – ihre Nachfahren wurden später „Freunde“, dann aber wieder nicht mehr – hatte diese Insel, die eigentlich ein Felsen im Meer war – okkupiert und als Abschussort für Fliegerbomben genutzt. Dann war die kriegerische Konjunktur vorbei, und das Eiland kehrte zurück in den Schoß des alten Heimatlandes. Es wurde hergerichtet mit Wegen, Auen, schönen Aussichten und entwickelte sich zum Magnet für Tagesausflügler, die mal nicht als halbnackte Touristen am Strand liegen mochten. Um neun Uhr fuhr das Schiff, vollbesetzt, mit „Kurs Helgoland“ los und dümpelte bald vor der Insel. Dann kamen kleinere Boote. Die Passagiere mussten umsteigen, bevor sie das Land betreten konnten, denn richtige Hafenanlagen hatte die Insel nicht. Nun kam der Gang „rund um die Insel“ und alle kehrten schließlich in einem Fischrestaurant ein, wo es „Scholle Finkenwerder Art“ oder „fangfrischen Seelachs“ gab. Dazu wurde entweder ein Glas Bier, ein Schoppen sauren Weins oder ein Glas Wasser angeboten. Nach diesem frugalen Mahl wanderten die Schiffsreisenden wieder zu den Booten, setzten über aufs größere Schiff über und gingen um sechszehn Uhr wieder von Bord. In der Heimat später hieß es: „Das war ein tolles Abenteuer!“
So war der Urlaub. Und er war viel zu schnell vorbei.
Wieder packten die Stolps ihr Auto voll. Wieder saßen die Eltern vorne und die Kinder im Fonds. Die drängelten allerdings nicht mehr, denn sie wussten nun: Solche Reisen dauern Stunden. Dafür beschäftigten sie sich mit den Spielsachen, die sie im Urlaub geschenkt bekommen hatten. Der Junge blätterte in einem Bilderbuch ihrer Urlaubsregion, das Mädchen spielte mit einer Stoffpuppe im Trachtenkleid.
Zu Hause dann schrieb Silke einen Brief an die „netten“ Leute aus Hessen, die sie im Urlaub kennengelernt hatte und mit denen sich die Stolps angefreundet hatten. Sie sollten doch einmal in ihre Stadt kommen und könnten auch bei ihnen übernachten.
Andor gab drei Filme zum Entwickeln im Fotogeschäft ab und bestellte die Bilder als Dias. Alle waren sehr gespannt, ob und wie sie „werden“ würden. Eine Woche später holte Andor die entwickelten Aufnahmen ab, und die ganze Familie fand, die Fotos seien großartig geworden. Sie waren in Farbe und zeigten Landschaften, Landschaften und Urlauber, Urlauber.
Der „Diaabend“ konnte stattfinden.
Schwestern, Brüder, Freundinnen und Freunde kamen mit ihren Angetrauten. Als erstes bekamen sie zur Einstimmung ein nachgekochtes, aber typisches Regionalgericht aus der Urlaubsregion vorgesetzt. Danach ging es in den Vorführraum, wo ein Projektor und eine Leinwand aufgebaut waren. Andor schaltete den Projektor an, legte den ersten Diakasten ein, jeder Gast wurde mit einem Getränk nach Wahl versehen, suchte sich ein Plätzchen und dann schaltete der Vorführer das Licht aus. Im Vorführraum war es schummrig wie im Kino. Auf der Leinwand erschien ein Fotobild des Schulhauses mit einem Baum davor. „Das ist das alte Schulhaus. Da haben wir gewohnt. War ganz praktisch.“, erklärte Silke.
„Und so sah‘s am Strand aus.“ – „Wir beim Aufstieg.“ – „Bootsfahrt nach ‚Helgoland‘.“ – „Unsere Sennerin, die war lustig.“ ( Es folgte die Geschichte vom Besamer .) – „Wir mit Babbels zu Hause beim Brettspiel“ : Jedes Foto wurde kommentiert, derweil die Zuschauer nach und nach einschlummerten.
„Das war’s!“ , kamen schließlich die erlösenden Worte. Manche Gäste baten um ein weiteres Gläschen, und endlich sagte eine Tante: „Das muss ein schöner Urlaub gewesen sein!“ „Ja.“, erwiderte Silke und fügte hinzu: „Wir hatten aber auch herrliches Wetter!“
(1960 und 1980)
IV. In den Hauptstrom
1. Spitze Buben am Vesuv
Nun zog es sie dorthin, wo so viele schon lange Urlaub machten: Nach Italien. Sie reisten per PKW und mit noch gleich drei befreundeten Ehepaaren nebst deren Nachwuchs. Die Reisegesellschaft verabredete ein allgemeines Treffen in Hall in Tirol, bevor es über den sagenumwobenen „Brenner“ in das Land, „wo die Zitronen blüh’n“, gehen sollte. Im Hotel sagte die Wirtin, aus Italien sei noch nie jemand zurückgekommen, ohne bestohlen worden zu sein. Ein Ehepaar unserer Reisegesellschaft war mit einem „Porsche“ angereist und hatte nun eine Heidenangst, dass etwas von ihrem Auto oder gleich das ganze Gefährt abhandenkommen könnte. Sie sicherten das Auto ab: Ein Knopfdruck genügte, und der Motor hatte kein Benzin mehr. – Auf der Autobahn im Sonnenland geschah es: Die Frau drückte vor Langeweile auf den Knopf, und das Edelgefährt blockierte sich und die Straße. Rufe plötzlich behinderter Italiener dahinter erklangen gar nicht so südländisch-charmant. Dann fuhr der Wagen wieder los, und alles war vorbei. Sonst geschah dem „Porsche“ auf der ganzen Reise nichts.
Vorher hatten sie den „Brenner“ passiert: Welche Befreiung! – Doch da näherte sich schon ein italienisches Polizeiauto und stoppte das Auto der Stolps. Andors Ausweis-Foto wurde wieder und wieder überprüft –sehr ernsthaft und stumm! Andor musste wohl ähnlich ausgesehen haben wie ein südlicher Gangster, doch die Polizisten schwiegen, setzten sich in ihren „Fiat“ und fuhren davon.
„Salute, bella Italia!“
In der ersten Tankstelle auf italienischem Boden war es voll. Jede Familie füllte ihren Tank mit „italienischem“ Sprit und stellte hinterher fest, dass der Tankwart keiner Familie korrekt Geld herausgegeben hatte. Alle bekamen etwas weniger als ihnen zustand. Keine Familie bekam mehr Geld zurück. Die Sache mit den vielen Lira war ja auch kompliziert für „DM-Menschen“ aus dem Norden!
Dann kamen alle nach „San Gimignano“. Welche eine Stadt! Auf einem Berg standen „Geschlechtertürme“, hohe Häuser, mit denen einst reiche Familien ihren Mitmenschen imponieren wollten. Die Reisenden fragten sich, ob mittlerweile die Banken die Stellung der alten Familien eingenommen hatten. Nach „San Gimignano“ in Italien wuchs nun „Frankfurt“ am Main in Deutschland in die Höhe. Aber die Schönheit war auf der Strecke geblieben.
San Gimignano
Dann ging es nach „Rom“. Es gibt große Aufregung wegen der Autos, denn das Hotel dort hatte keinen Parkplatz. Alle vier Autos mussten durch halb „Rom“ kutschieren und kamen zu einer Garage, in der die Autos Stoßstange an Stoßstange standen. Die Schlüssel blieben in den Autos. Bedenken wegen eines möglichen Diebstahls baute der Garagenwärter ab: „Die Autos hier sind so sicher, dass ich sogar das Auto meiner Mama abstellen würde.“ Alle waren überzeugt.
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