»Was war das jetzt?« Malin starrte erstaunt auf die Tür, die sich hinter ihm geschlossen hatte.
Wolfgang Herzog wohnte in einem der aufwendig restaurierten Jugendstilhäuser am Hofweg in unmittelbarer Nähe zum Uhlenhorster Kanal. Am Eingang des Mehrfamilienaltbaus wies ein goldfarbenes Schild auf seine Anwaltskanzlei im Erdgeschoss hin.
»Praktisch.« Malin drückte die Klingel zu Herzogs Privatwohnung im fünften Stock. »Wohnen und arbeiten im gleichen Haus.«
»Wer’s sich leisten kann«, brummte Fricke und folgte seiner Mitarbeiterin in ein repräsentatives Treppenhaus mit Stuckverzierungen und marmorierten Wänden zu einem Jugendstilaufzug. Skeptisch beäugte er die schmiedeeisernen Gitter. »Der sieht so alt aus wie das Gebäude. Vielleicht sollten wir lieber die Treppe nehmen.«
Malin stieg in den Lift. »Mensch, Chef, du bist jetzt wie lange bei der Polizei? Seit dreißig Jahren?«
»Zweiunddreißig«, knurrte Fricke.
»Und da lässt du dich von einem alten Fahrstuhl aus der Ruhe bringen?«
Das saß. Mit grimmigem Blick trat Fricke neben Malin und drückte den Knopf in den fünften Stock.
Herzogs Wohnung erstreckte sich über die gesamte Fläche der obersten Etage. Eine gertenschlanke, hochgewachsene Frau öffnete ihnen die Tür. Sie war eine dieser alterslosen Schönheiten, die als Ende vierzig durchgingen, in Wirklichkeit aber bereits über sechzig waren.
Fricke zückte seinen Dienstausweis. »Fricke, LKA.« Er wies auf Malin. »Meine Kollegin Brodersen.«
»Verena Herzog. Was kann ich für Sie tun?« Ihre Stimme klang kraftvoll und selbstbewusst. Malin spürte sofort, dass sie es mit einer Frau zu tun hatten, die es gewohnt war, herumzukommandieren.
»Wir möchten mit Wolfgang Herzog sprechen«, erwiderte Fricke. »Ist er da?«
Für einen Moment erschien ein spöttischer Ausdruck in Verena Herzogs Augen. Dann trat sie beiseite, um die beiden Kriminalbeamten eintreten zu lassen. »Mein Mann ist in seinem Arbeitszimmer.«
Die lichtdurchflutete Wohnung besaß alle Elemente eines klassischen Jugendstil-Altbaus: hohe Decken mit prächtigem Stuck, alte, aufgearbeitete Kassettentüren und glänzendes Fischgrätparkett.
»Hier entlang.« Verena Herzog führte sie durch ein großzügig geschnittenes Wohnzimmer, mit hellen Möbeln und einem offenen Kamin, zu einer geöffneten Flügeltür. »Wolfgang, du hast Besuch. Polizei.«
Malin bemerkte überrascht die Kälte, die sich in Verena Herzogs Stimme geschlichen hatte.
Der Anwalt war um die siebzig, hatte silbergraues Haar und trug eine klassisch elegante Kombination aus weißem Hemd und dunkelblauer Anzughose. Er wirkte äußerst gepflegt, doch im Gegensatz zu seiner Frau war ihm das Alter deutlich anzusehen. Der Ansatz eines Doppelkinns, Tränensäcke und tiefe Falten hatten sich in sein Gesicht gegraben. Beim Anblick der beiden Kriminalbeamten erhob er sich hinter seinem Schreibtisch. »Polizei?«
Fricke nickte und stellte sich und Malin kurz vor.
Wolfgang Herzog wies auf eine kleine Sitzgruppe neben der Flügeltür und wartete, bis die Beamten Platz genommen hatten, ehe er sich dazusetzte. Eine steile Falte erschien auf seiner Stirn. »Ich nehme an, Sie kommen wegen Kurt Wenninger.«
»Ach«, sagte Fricke überrascht. »Man hat Sie bereits informiert? Seit wann wissen Sie Bescheid?«
»Ein Bekannter aus dem Pfeifenclub hat mich angerufen.« Herzog schlug die Beine übereinander. »Eine schreckliche Sache. Weiß man schon, wer es war?«
»Ich kann Ihnen leider keine Auskunft zu einer laufenden Ermittlung geben«, entgegnete Fricke. »Aber als Anwalt wissen Sie das vermutlich. Seit wann kannten Sie Herrn Wenninger?«
Herzog dachte nach. »Das kann ich Ihnen gar nicht so genau sagen, bestimmt schon über zwanzig Jahre. Wir frönen der gleichen Leidenschaft.« Er wies auf eine hölzerne Pfeifenkassette auf seinem Schreibtisch.
Fricke nahm den Faden auf. »Seit wann gibt es die Schmauchfreunde?«
»Der Club wurde in den Achtzigern gegründet. Von Ernst Westphal, doch der ist bereits seit etlichen Jahren tot. Wenninger war schon Mitglied, bevor ich dazugestoßen bin.«
Malin ließ ihren Blick durch das exklusiv ausgestattete Arbeitszimmer des Anwalts schweifen, bevor sie aussprach, was ihr seit Betreten der Wohnung auf der Zunge lag. »Sagen Sie, Herr Herzog, wie kommt es, dass sich die Schmauchfreunde ausgerechnet in einer Gaststätte wie dem Admiral treffen?«
Wolfgang Herzog lachte amüsiert auf. »Das haben Sie aber höflich formuliert, Frau Brodersen. Im Grunde interessiert es Sie doch eher, warum ein offenbar wohlhabender Mann wie ich es nötig hat, sich in einer solchen Kaschemme aufzuhalten?«
Malin spürte, wie sie errötete. »Genau das würde ich gerne von Ihnen wissen.«
Herzog lehnte sich zurück. »Ich lege keinen Wert auf eine exklusive Umgebung oder irgendwelche Statussymbole. Ich bin kein Snob, Frau Brodersen, auch wenn Ihnen das vermutlich schwerfällt zu glauben. Was Sie hier sehen …« Er machte eine weit ausholende Handbewegung durch den Raum. »Das alles gehört meiner Frau. Nicht nur diese Wohnung und die Kanzleiräume, sondern das gesamte Haus, auch der Stuhl, auf dem Sie gerade sitzen.« Er hielt einen Moment inne, bevor er weitersprach. »Bei den Schmauchfreunden spielen Herkunft und gesellschaftliches Ansehen keinerlei Rolle, und genau das gefällt mir. Wir reden, diskutieren, spielen Karten, trinken unser Bier oder unseren Wein und hin und wieder rauchen wir gemeinsam eine Pfeife.« Ein Lächeln huschte über seine Lippen. »Und was das Admiral als Treffpunkt betrifft, so hat das rein praktische Gründe. Einige unsere Mitglieder wohnen im Hamburger Umland, und Langenhorn hat eine gute Anbindung zur Autobahn. So einfach ist das.«
Fricke beugte sich vor. »Und bei einem dieser Treffen, die Sie uns hier gerade als gemütliches Pfeifenkränzchen verkaufen, kracht es dann so gewaltig, dass eines Ihrer Mitglieder sturzbetrunken nach Hause fährt und anschließend dort ermordet wird.«
Herzog wurde stocksteif. »Ich weiß nicht, worauf Sie anspielen, Herr Fricke.«
»Bei einem Ihrer Treffen, um genau zu sein am Dienstag, dem fünften August, ist es zu einem Streit gekommen. Dabei soll es mehr als laut zugegangen sein. Dafür gibt es Zeugen.« Frickes Stimme war eine Spur schärfer geworden. »Also?«
»Das muss ein Missverständnis sein.« Herzog hob abwehrend beide Hände. »Ich war an dem Abend selbst dabei. Möglicherweise haben wir etwas lauter diskutiert und Kurt hat ein Glas zu viel getrunken. Aber mehr war da nicht. Wenn Kurt zu einem späteren Zeitpunkt aufgebracht war, muss es dafür andere Gründe geben.«
»Und worüber haben Sie diskutiert?«, hakte Fricke nach.
»Das kann ich Ihnen gar nicht mehr so genau sagen. Vermutlich ging es um Politik. Kurt konnte sich furchtbar über die Regierung und deren Änderungspläne in Bezug auf die Rentenbeiträge aufregen.«
»Wer könnte Ihrer Meinung nach einen Grund gehabt haben, Kurt Wenninger zu ermorden?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.« Herzog entfernte von seinem linken Hosenbein einen imaginären Fussel. »Das Ganze ist für mich absolut unbegreiflich.«
Fricke lehnte sich mit ausdrucksloser Miene wieder zurück. Malin ergriff das Wort. »Was können Sie uns sonst noch über Herrn Wenninger erzählen?«
»Er war ein anständiger Kerl.« Herzog legte bedächtig seine Fingerspitzen aneinander. »Mit einer besonderen Vorliebe fürs Botanische.«
»Waren Sie mal bei ihm zu Hause?«
»Nein. Die Schmauchfreunde treffen sich ausschließlich an den Clubabenden. Darüber hinaus gibt es keinen privaten Kontakt. Deshalb kann ich Ihnen leider auch gar nicht allzu viel über Kurt erzählen. Bis auf die politischen Diskussionen, die ihn manches Mal in Rage brachten, war er eher der verhaltene Typ.«
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