Die Welt der Cocktails befindet sich seither in einem steten Progress. Durch Barmessen und das Internet werden Trends, Ideen, Entdeckungen, alte und neue Rezepturen viel schneller als dereinst kommuniziert, wodurch sich eine neoklassische Barkultur entwickelt hat. Der Gin hat von diesem jähen Aufschwung in grandioser Manier profitiert, und in seinem Fahrwasser segelt auch zunehmend der Genever wieder mit. Dem Bartender und dem Cocktail-Connaisseur gleichermaßen bieten sich jetzt noch nie da gewesene Kombinations- und Auswahlmöglichkeiten bei der Zusammenstellung von Cocktails und Longdrinks, wobei die heutigen Gins, Old Toms und Genever auch pur ein Genuss sein können. Die Geschichte des Gins ist hier aber nicht zu Ende, sondern geht weiter, und wir können uns glücklich schätzen, Zeitzeugen einer neuen Gin-Ära zu sein.
Gin – wie schon im vorangegangenen Kapitel beschrieben, handelt es sich hierbei um eine Spirituose, die mit Wacholderbeeren und einer Auswahl verschiedenster Kräuter, Gewürze und Zitrusfrüchte, zusammengenommen «Botanicals» genannt, aromatisiert ist.
Der Grundstock
In den Anfängen der Gin-Herstellung diente Getreide als Ausgangsbasis. Um 1920 regelte man in England per Gesetz die Herstellung des Gins dahingehend, dass neben Getreide seitdem auch Rohstoffe wie Wein, Rüben, Kartoffeln, Zuckerrohr und Obst für die Alkoholgewinnung zum Einsatz kommen dürfen. Diese Regelung hat noch heute Bestand, obwohl primär Getreidealkohole verwendet werden.
Durch das mehrfache Destillieren vergorener Maische oder Melasse aus den oben aufgeführten Rohstoffen werden Neutralalkohole von bis zu 96% Vol Alkohol ausrektifiziert, um sie geschmacklich zu neutralisieren; daher auch die Bezeichnung «Neutralalkohol». Nur wenige Gin-Hersteller produzieren ihren Neutralalkohol noch selbst. Stattdessen wird dieser von Firmen zugekauft, die sich darauf spezialisiert haben.
Dieses rektifizierte Destillat wird für den weiteren Verarbeitungsprozess heruntergewässert (verschnitten). Wieso? Derart hochprozentiger Neutralalkohol würde sich als zu aggressiv erweisen, um ein schonendes Extrahieren der Geschmacksstoffe aus den Botanicals zu ermöglichen.
Gin entsteht
Wie kommen nun die Aromen der Botanicals in den Neutralalkohol? Die gängigsten Vorgehensweisen sind die Mazeration und die Dampfinfusion.
Mazeration: Hier werden die ausgesuchten Botanicals für eine bestimmte Zeit in den Neutralalkohol eingelegt, um dadurch die Aromastoffe zu extrahieren. Dieser Vorgang kann über Nacht erfolgen oder ein paar Tage oder auch länger dauern. Die Botanicals werden üblicherweise in Beutel gefüllt und zum Mazerieren eingelegt.
Eine Nebenform ist die Digeration, in der für die Mazeration erwärmter Alkohol verwendet wird. Da jedes Botanical seine Aromastoffe unterschiedlich schnell abgibt, ist die separate Mazeration einzelner Botanicals (oder Botanical-Gruppen) eine zwar aufwendigere, aber zusehends immer populärer werdende Methode.
Nach der Mazeration erfolgt eine abschließende Destillation, an deren Ende ein wichtiger Arbeitsschritt steht: die Abtrennung von Vorlauf* und Nachlauf*. Hier kommt die ganze Erfahrung des Brennmeisters zum Tragen, denn er muss den Mittellauf, der das Herzstück bildet, genau abtrennen.
* siehe www.gin-buch.de
Destillierapparat Bluecoat Destille, USA
Dampfinfusion: Hierfür werden die Botanicals auf Körben im Steigrohr eines Brennapparats platziert. Sobald der Neutralalkohol im Kessel des Brennapparats erwärmt wird, steigen dessen Dämpfe auf und nehmen dabei die Aromen der Botanicals auf. Auch hier werden Vorlauf und Nachlauf vom Brennmeister abgetrennt.
Es gibt mehrere Destillationsverfahren und -apparate, die sich auf unterschiedlichste Art miteinander kombinieren lassen. Wir möchten auf dieses eigenständige und sehr weitläufige Gebiet hier nicht näher eingehen, da dies vom eigentlichen Thema wegsteuert. Die Destilliermöglichkeiten sind jedenfalls sehr komplex und vielseitig, was den Herstellern viel Raum für Individualität bis hin zur Extravaganz bietet.
Destillierapparat Greylock Destille, USA
Das Wasser
«Das Prinzip aller Dinge ist Wasser; aus Wasser ist alles, und ins Wasser kehrt alles zurück.» Thales von Milet (ca. 624 – 546 v. Chr.)
Dem Wasser und seiner Qualität kommt bei der Gin-Herstellung entscheidende Bedeutung zu. Ob destilliertes Wasser, Schmelzwasser, frisches Quellwasser oder einfach das aus dem Wasserhahn, wird meist von der geografischen Lage der Destille bestimmt, zuweilen aber auch von der Firmenphilosophie. Wichtig und entscheidend sind die Werte des Wassers, die den Normen der Trinkwasserverordnungen entsprechen müssen.
Durch die Zugabe des Wassers wird der Gin auf die gewünschte Trinkstärke eingestellt, die mindestens 37,5% Vol betragen muss, oftmals um die 43% Vol liegt, aber durchaus auch über 50% Vol hinausgehen kann.
Dieses Verschneiden kann nach dem Destillationsprozess vorgenommen werden oder davor, wenn der Hersteller das Mischungsverhältnis von Neutralalkohol und Wasser so einstellt, dass das fertige Destillat in gewünschter Trinkstärke aus dem Hahn des Destillierapparats tropft.
Resümee
Da es sich um eine klare Spirituose handelt, die keine Reifezeit benötigt, sind längere Lagerzeiten nicht zwingend erforderlich. Dennoch kann der Gin zur weitestgehenden Egalisierung (Gleichverteilung) für gewisse Zeit in Edelstahltanks, Steingutgefäßen oder in seltenen Fällen in Holzfässern gelagert werden.
Die verwendeten Rohstoffe für den Neutralalkohol sowie die Wahl der Botanicals, des Wassers und der angewandten Herstellungsverfahren liegen ganz im Ermessen der Hersteller und bilden gleichzeitig das sprichwörtliche Betriebsgeheimnis.
Rechtliche Grundlagen
Zum Abschluss sei noch der Gesetzestext angefügt, der dem Gin je nach Herstellungsverfahren eine entsprechende Bezeichnung zuordnet, Mindest- und Maximalwerte des Alkoholgehalts vorgibt, Zutatenmengen regelt und Qualitätsmerkmale festlegt. Das Amtsblatt der Europäischen Union hatte im Februar 2008 Richtlinien zum Gin geschaffen und im Februar 2014 Erweiterungen erlassen, die für Gin und destillierten Gin durch die Festlegung von Höchstmengen für den Zusatz von Zucker bzw. anderen süßenden Inhaltsstoffen die bislang eher willkürlich verwendete Namensergänzung «dry» einschränken.
Gin (20)
a) Gin ist eine Spirituose mit Wacholdergeschmack, die durch Aromatisieren von Ethylalkohol landwirtschaftlichen Ursprungs, der entsprechende sensorische Eigenschaften aufweist, mit Wacholderbeeren (Juniperus communis L.) gewonnen wird.
b) Der Mindestalkoholgehalt von Gin beträgt 37,5% Vol.
c) Bei der Herstellung von Gin dürfen nur natürliche und/oder naturidentische Aromastoffe gemäß Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe b Ziffern i und ii der Richtlinie 88/388/EWG und/oder Aromaextrakte gemäß Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe c der genannten Richtlinie verwendet werden, wobei der Wacholdergeschmack vorherrschend bleiben muss.
d) Die Bezeichnung «Gin» kann durch den Begriff «dry» ergänzt werden, wenn der Gehalt der Spirituose an zugesetzten süßenden Erzeugnissen nicht mehr als 0,1 g Zucker je Liter des Fertigerzeugnisses beträgt.
Destillierter Gin (21)
a) Destillierter Gin ist
i) eine Spirituose mit Wacholdergeschmack, die ausschließlich durch erneute Destillation von Ethylalkohol landwirtschaftlichen Ursprungs von angemessener Qualität und mit entsprechenden sensorischen Eigenschaften und einem ursprünglichen Alkoholgehalt von mindestens 96% Vol in Destillierapparaten, die herkömmlicherweise für Gin verwendet werden, unter Zusatz von Wacholderbeeren (Juniperus communis L.) und anderen pflanzlichen Stoffen hergestellt wird, wobei der Wacholdergeschmack vorherrschend bleiben muss, oder
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