Valeria Kardos - Aldarúun

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Die junge Anja führt mit ihrer alleinerziehenden Mutter Liliana ein bescheidenes, aber friedvolles Leben auf dem Land. Das ändert sich schlagartig, als sie eines Nachts mitten in der Kölner Innenstadt von vier schaurigen Bestien, die eindeutig nicht von dieser Welt stammen, angegriffen wird. Nur durch das beherzte Einschreiten eines geheimnisvollen Mannes mit auffallend spitzen Ohren überlebt sie schwerverletzt.
Anfangs glaubt Anja noch an einen bösen Zufall, aber Liliana scheint mehr zu wissen, als sie zugibt. Es erfolgt ein weiterer brutaler Angriff, doch dieses Mal, werden die beiden Frauen von ein paar sehr besonderen Leibwächtern gerettet.
Anja stellt ihre Mutter zur Rede und erfährt Ungeheuerliches! Sie ist die letzte Nachfahrin eines mysteriösen Adelsgeschlechts und offensichtlich in größter Gefahr.
Eine abenteuerliche und magische Reise beginnt …

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Valeria Kardos

Aldaruun

Das verschollene Königskind

Prolog

Die Sonne verschwindet hinter den Häusern und taucht sie in tiefe Orange- und Rottöne. Eine friedliche Ruhe hat sich über Budapest ausgebreitet, und langsam gehen überall in der Stadt die Lichter an. Es ist erst Mitte Februar, aber die Temperaturen klettern tagsüber bereits auf über zehn Grad.

Alvar blickt zu der Frau an der Brüstung, die ihm den Rücken zuwendet. Ihr graues Haar ist mit einer kostbaren Spange hochgesteckt. Sie trägt ein bodenlanges dunkelblaues Samtkleid, das mit einem weißen Spitzenkragen versehen ist. Wie elegant Sophia noch ist, denkt Alvar. Und so diszipliniert. Ihre Haltung wirkt geradezu majestätisch. Mit schlanken Fingern streicht sie über das Messinggeländer, das im Abendlicht glänzt. Dann dreht sie sich abrupt um. Ihr Blick verrät große Sorge und ihre Gedanken scheinen weltenentrückt zu sein.

„Das Wettrennen hat also begonnen“, sagt sie und seufzt. „Wir werden sehen, wer das Kind als Erstes findet: unsere Spione oder die Bestien.“ Sie schließt verzweifelt ihre Augen. „Wenn die Bestien das Kind vor uns finden, werden sie es töten – und damit jede Hoffnung.“

„Ich weiß“, sagt Alvar und zieht an seiner Pfeife. Er steht mühsam auf; langsam spürt er die Bürde seines hohen Alters. Dann streicht er seinen Brokatgehrock glatt, tritt aus dem Schatten ins Licht auf Sophia zu und legt seine linke Hand auf ihre Schulter. „Ich habe die Prüfung der Rekruten abgeschlossen und eine, wie ich meine, gelungene Wahl getroffen. Sie sind bereit, ihre Pflichten zu übernehmen.“

Sophia strafft ihren Körper. „Nach welchen Attributen hast du sie ausgesucht, Alvar?“

Er zieht eine Augenbraue hoch und lächelt. Sie wird seinem Urteil vertrauen, das tut sie schon seit vielen Jahrzehnten. Er lässt seine Pfeife sinken und beobachtet ihr Gesicht, während er nachdenklich seinen langen Bart krault. Seine Worte wählt er mit Bedacht.

„Nach den Attributen, die das höchste Maß an Sicherheit versprechen: Tapferkeit, Loyalität und Liebe.“

„Liebe?“, schnaubt sie verächtlich. „Was soll Liebe für ein Attribut sein? Eloni-Krieger müssen starke Kämpfer sein. Demut, Tapferkeit und bedingungsloser Gehorsam sind Attribute, nach denen sie ausgewählt werden müssen. Das hat sich in der Vergangenheit stets bewährt!“

Sie ist noch vom alten Schlag, denkt Alvar düster. Sie zu neuen Pfaden zu führen, könnte schwierig werden.

„Du weißt“, sagt er, „dass das Verhältnis zwischen den Eloni und den Menschen in den letzten Jahrhunderten sehr gelitten hat und brüchig geworden ist. Wenn wir auf den alten Bündnissen aufbauen wollen, müssen wir auf ursprüngliche Werte wie Toleranz und Vertrauen zurückgreifen. Uns stehen dunkle Zeiten bevor! Der Krieg, der sich auf Aldarúun anbahnt, kann uns vernichten! Das Wohl und die Sicherheit des Kindes müssen unter allen Umständen gewährleistet sein. Das ist nur möglich, wenn es von seiner Leibgarde nicht nur mit Verstand und Kraft, sondern auch mit dem Herzen beschützt wird.“

Sophia verschränkt ihre Arme und blickt wieder über die Stadt hinweg. „Meine Spione haben berichtet, dass der Dunkle Orden den letzten Nachfahren in Deutschland vermutet und bereits die ersten Bestien zum Portal entsandt hat. Wir werden die Eloni-Krieger blind losschicken und uns auf ihre angeborenen Instinkte verlassen müssen.“ Sie seufzt, bevor sie leise weiterspricht. „Ich hoffe sehr, du weißt, was du tust, Alvar! Das Kind ist unsere letzte Hoffnung. Wenn wir nur einen Fehler machen, könnte das unseren Untergang bedeuten!“ Stirnrunzelnd dreht sie sich zu Alvar um. „Warum Liebe? Das musst du mir erklären.“

Er lächelt und zieht an seiner Pfeife. „Sophia, die EloniKrieger sollen ihr Leben für das Kind, sollte es erforderlich sein, aufs Spiel setzen. Dazu gehört mehr als Treue zur Krone und Pflichtbewusstsein.“

„Aber es ist ihre Pflicht, dem Hause Gollnir zu dienen! Das ist ihre Aufgabe, Alvar, schon seit vielen Jahrhunderten. Woher dieser plötzliche Sinneswandel?“

Nachdenklich krault er seinen Bart. „Die Zeiten haben sich gewandelt. Sie sind dunkel und unbestimmt. Wir müssen lernen, in neuen Maßstäben zu denken und die Ketten unserer eingefahrenen Regeln zu sprengen. Dazu gehört auch, der Garde einen gewissen Freiraum zu lassen. Sie dürfen nicht in das höfische Regelwerk eingezwängt werden – nur dann können sie und werden sie über sich hinauswachsen. Ich habe es in meinen Visionen gesehen.“

Sie schließt für einen Moment ihre Augen und atmet tief durch. Alvar weiß, wie traditionsbewusst Sophia ist und dass er in diesem Augenblick viel von ihr verlangt.

Resigniert zieht sie die Schultern hoch. „Nun gut, alter Freund, ich vertraue deinem Urteil. Wann kann ich sie sehen?“

„Sie sind hier und warten unten in der großen Halle auf uns.“

„Sie sind hier?“, fragt sie erstaunt.

„Du sagtest selbst, der Dunkle Orden hat bereits seine Bestien entsandt. Wir sollten auf gar keinen Fall unnötig Zeit verlieren. Komm mit, ich bringe dich zu ihnen.“

Alvar bietet ihr seinen Arm an, und sie legt ihre linke Hand in seine Armbeuge. Mit der rechten Hand spielt sie an ihrer Perlenkette – das einzige Anzeichen, dass es unter dieser perfekten Fassade brodelt. Alvar führt sie von der Dachterrasse durch ein doppeltüriges Glasportal. Sie durchqueren das große Wohnzimmer und betreten den offenen Gang einer Galerie. Ein Kronleuchter von drei Metern Durchmesser erleuchtet das Stockwerk darunter, das die Eingangshalle der Villa bildet. Der Boden des unteren Stockwerks ist mit italienischem Marmor gefliest. Weiße Säulen zieren die Halle. In der Mitte steht ein großer Springbrunnen, der seine Fontäne bis ins nächste Stockwerk schießt.

An diesem Brunnen warten drei kräftig gebaute Männer, die sich schüchtern und etwas hilflos umschauen.

„Sie sind jung – sehr jung – zu jung“, sagt Sophia entsetzt.

„Sie sind die Tapfersten“, bemerkt Alvar ruhig.

„Junge Elonis sind zu unbeherrscht, zu wild! Sie lassen sich viel zu schwer kontrollieren“, zischt sie wütend.

„Sie sind unbefangen und voller Neugierde auf die Welt und sind bereit, auch neue Wege zu gehen“, erwidert er sanft.

„Unsere Gegner sind übermächtig und stark. Den dreien dort unten fehlt jegliche Erfahrung, Alvar. Besonnenheit, nicht jugendlicher Übermut sollte sie leiten.“

Sie blickt wieder hinunter zu den drei jungen Männern und schüttelt verhalten ihren Kopf.

„Ihre Unerfahrenheit werden sie kompensieren durch Hingabe, Mut und Einfallsreichtum“, sagt Alvar und macht eine kurze Pause, bevor er etwas leiser weiterspricht, „und natürlich durch die Liebe, die sie für das Kind empfinden werden.“

„Du sprichst, als ob du dir sicher wärst. Woher nimmst du nur diese Gewissheit?“, fragt Sophia erstaunt und dreht sich wieder zu ihm.

„Ich habe in ihre Seelen geblickt, Sophia. Sie sind reinen Herzens, Falschheit ist ihnen fremd. Sie werden ihre Pflichten unkonventionell erfüllen und uns alle überraschen.“

„Was hast du nur in deiner Vision gesehen?“, fragt sie ungläubig, als sie das Aufblitzen in seinen Augen sieht. Lächelnd legt er wieder ihre Hand in seine Armbeuge und führt sie die breite Treppe hinunter.

„Hoffnung, Sophia, Hoffnung!“

Veränderungen

1

Die Tür knallt hinter Irma zu, als sie mit hochrotem Kopf aus Herrn Meinels Büro stolpert. Ihre Hände zittern, während sie sich mit ihren Unterlagen wieder auf ihren Platz setzt. Ich erkenne, wie ihre Augen langsam feucht werden und sie mit ihrem kleinen Finger verstohlen eine Träne wegwischt. Die jähzornigen Ausbrüche unseres Chefs bringen sie selbst nach vielen Jahren noch immer aus der Fassung.

„Der Kerl hat wieder eine Laune, dass die Milch sauer wird“, schnaubt sie wütend und putzt sich die Nase.

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