Konsequenzen hat die Klimaerwärmung aber auch in anderen Regionen. Bis ins Jahr 2050 werden auch der Tourismus und die Lebensmittelproduktion am Mittelmeer leiden; das Klima in Marseille wird jenem von Algier von heute entsprechen. Die Gefahr durch Wirbelstürme und Flutwellen könnte den Wert von Immobilien im US-Staat Florida um 30 Prozent reduzieren. Die Erwärmung der Ozeane wird den Fischfang um rund acht Prozent verringern und die Lebensgrundlage von 650 bis 800 Millionen Bürgern weltweit beeinträchtigen. Und weil ein Viertel der wichtigsten 100 Flughäfen weniger als zehn Meter über dem Meeresspiegel liegen, werden diese ernsthaften Gefahren durch Flut und Sturm ausgesetzt sein, heisst es in der McKinsey-Studie. [12]
Forscher*innen und Wirtschaftsfachleute reden in ihren Untersuchungen und Studien zwar vom worst case , wenn sie davon ausgehen, dass sich kein wirksamer Klimaschutz durchzusetzt. Dabei ist der schlimmste Fall noch viel schlimmer. Und er ist die Realität.
Der worst case ist nicht, dass es beim bisherigen CO 2-Ausstoss bleibt. Der schlimmste Fall ist, dass der CO 2-Ausstoss weiter massiv ansteigt. Die globalen Treibhausgas-Emissionen stiegen in den letzten zehn Jahren um 1,5 Prozent jährlich. Deshalb wurde 2018 ein neuer Höchstwert erreicht. Deshalb wird die Menge Treibhausgase, die reduziert werden muss, immer grösser statt kleiner. Ende November 2019 veröffentlichte das Umweltprogramm der UNO (Unep) den «Emission Gap Reports» . Das kollektive Versagen, das Klima zu schützen, «verlangt nun eine starke Reduktion der Emissionen in den nächsten Jahren», sagte die Unep-Direktorin Inger Andersen. [13]
So alt diese Forderung war, erhört wurde sie nicht. Im Gegenteil, das Wachstum des CO 2-Ausstosses wird vorerst weitergehen. Es gibt keinen weltweiten Plan, den Neubau von Kohlekraftwerken zu verbieten oder die Erschliessung von neuen Öl- oder Erdgas-Feldern innerhalb nützlicher Frist zu stoppen. Dabei ist der Fall klar: Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, dürfte die Menschheit gemäss Weltklimarat insgesamt maximal noch 580 Gigatonnen CO 2produzieren, um spätestens bis zum Jahr 2050 CO 2-neutral zu werden. Doch eine Studie, die im Juli 2019 im Fachmagazin Nature veröffentlicht wurde, zeigte, dass allein die bereits existierenden Verbrennungskraftwerke – Kohle, Öl und Gas – mit 658 Gigatonnen CO 2weit mehr Kohlendioxid ausstossen werden, wenn sie wie geplant weiter betrieben werden. [14]
Und es wird noch viel schlimmer.
Obwohl die Europäische Union Mitte Januar unter Propaganda-Getöse Tausend Milliarden Euro Investitionen in einen « Green Deal » ankündigte, um die EU bis ins Jahr 2050 klimaneutral zu machen [15], stimmte das EU-Parlament einen Monat später für eine von der EU-Kommission vorgelegte Liste mit 32 Gas-Infrastrukturprojekten. Für die Grünen war dieser Entscheid «eine Schande», weil er den Green Deal der EU untergrabe und mithelfe, den Planeten weiter aufzuheizen. Auch das Climate Action Network kritisierte den Entscheid: «Diesen Gasprojekten Priorität und Geld zu geben, bedeutet, Europas Zukunft über die nächsten 40 bis 50 Jahre in Gasabhängigkeiten zu zementieren und bis zu 29 Milliarden Euro an EU-Steuergeldern in unnütze Anlagen zu verschwenden.» [16]
Weltweit sieht es nicht besser aus. Im Oktober 2018 befanden sich über 1300 neue Kohlekraftwerke in Planung. Zudem planten mehr als die Hälfte der 746 Kohlekraftwerksbetreiber weltweit, ihre Anlagen zu erweitern. In rund 60 Staaten trieben Unternehmen und Investoren den Bau von Kohlekraftwerken voran. Über 200 Unternehmen bauten ihren Kohleabbau aus. Das publizierte die Global Coal Exit List , die von einer Gruppe von 28 Nichtregierungs-Organisationen geführt wird. Dabei war nicht der Energiehunger der Industrie oder der Bevölkerung für den Bau der neuen CO 2-Schleudern entscheidend. Nein, es waren grössten Teils die Kohleminenbesitzer selbst, die ihre Kohle verfeuern wollten, um daraus Profit zu schlagen. [17]Und keine Regierung war im Jahr 2020 bereit, ihnen den Riegel zu schieben. Selbst das reiche Deutschland will erst im Jahr 2038 aus der Kohle aussteigen. «Die Inbetriebnahme eines neuen Kohlekraftwerks und das weitere Abbaggern von Dörfern lässt sich weder national noch international erklären», sagte Bundestags-Fraktionschef der Grünen Anton Hofreiter zu Recht. [18]
Der Klimawandel ist unterdessen so weit fortgeschritten, dass er nicht mehr bloss in Langzeitvergleichen, sondern gar im täglichen Wetter nachweisbar ist. «Seit April 2012 hatten wir weltweit betrachtet keinen einzigen Tag mit ‹normalem› Wetter», sagte Sebastian Sippel im Januar 2020. Der Forscher am Institut für Atmosphären- und Klimaforschung der ETH Zürich war Hauptautor einer Studie, die kurz zuvor im Fachmagazin «Nature Climate Change» veröffentlicht wurde. Neue Daten öffneten eine neue Perspektive in der öffentlichen Wahrnehmung des Klimawandels. Denn der Mensch orientiert sich an einzelnen und aktuellen Wetterereignissen, wie Mitautor und ETH-Forscher Reto Knutti sagte. Die Studie zeigte, dass nicht nur die Häufung von Extremereignissen Zeichen für den Klimawandel sind, sondern dass sich die Erderwärmung global gesehen sogar an jedem einzelnen Tag bemerkbar macht. [19]
Ein anderes Beispiel, wie stark die Klimakrise bereits eingesetzt hat, sind die zunehmenden Feuersbrünste. Sie haben Stephen Pyne dazu veranlasst, vom Pyrozän, dem Zeitalter des Feuers, zu sprechen, das nun angebrochen sei. Der Forscher der Arizona State University gilt als Pionier der Feuerökologie. Seine These des Pyorzäns belegt er unter anderem dadurch, dass es im Frühsommer 2019 in Alaska und Sibirien so intensiv brannte wie noch nie. Die Forscher im des Copernicus-Programm s beobachteten im gleichen Jahr mehr als hundert Brandherde, für sie eine klare Folge der heissen und trockenen Bedingungen. In Indonesien brannten Torflandschaften, im Amazonasgebiet in Brasilien und Bolivien der Regenwald und die Brände in Australien waren verheerend wie selten zuvor. In den Bundesstaaten New South Wales und Queensland brannte es gar so stark wie noch nie, seit die Brände mit Satelliten erfasst werden. [20]
Der Klimanotstand war aber allerdings schon vorher soweit anerkannt, dass sich sogar die Menschenrechtsorganisation Amnesty International damit auseinandersetzte. «Millionen von Menschen leiden bereits jetzt unter den Folgen extremer Katastrophen, die durch den Klimawandel verschärft wurden: von anhaltender Dürre in Subsahara-Afrika bis hin zu tropischen Stürmen über Südostasien, der Karibik und dem Pazifik. Da der Klimawandel nicht nur für die Natur, sondern auch für die Menschheit verheerende Folgen hat, ist er eines der drängendsten Menschenrechtsthemen unserer Zeit», heisst es auf der Webseite von Amnesty International . Und weil der Klimawandel die bestehenden Ungleichheiten vergrössert, werden Menschenrechte «durch die globale Erwärmung direkt bedroht: das Recht auf Leben, Wasser, Nahrung, Zugang zu Sanitätseinrichtungen und auf eine angemessene Unterkunft.»
Die immer extremeren Folgen der Klimaerwärmung gefährden heutige und zukünftige Generationen unmittelbar. «Beim Engagement für den Klimaschutz geht es deshalb ums Überleben,» konstatiert Amnesty International . Doch nicht nur diese Gefahren machen der Menschenrechtsorganisation zu schaffen, sondern auch dass «in verschiedenen Weltregionen Umweltaktivist*innen bedroht, manche sogar ermordet» werden. Laut Global Witness wurden allein im Jahr 2017 über 200 Umweltschützer*innen getötet, weil sie ihr Land und dessen natürlichen Ressourcen verteidigten. [21]
Carola Rackete zitiert dazu in ihrem Buch «Handeln statt Hoffen» den UNO-Bericht Climate Change and Poverty aus dem Jahr 2019, der ebenfalls darauf hinwies, dass der Klimawandel «für Menschen, die unter Armut leben, verheerende Folgen haben» wird. Selbst im besten Fall werden Hunderte Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit, erzwungener Migration, Krankheit und Tod bedroht sein. «Der Klimawandel bedroht die Zukunft der Menschenrechte und birgt das Risiko, dass die Fortschritte der letzten 50 Jahre in den Bereichen Entwicklung, globale Gesundheit und Armut zunichte gemacht werden.» [22]
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