Mit großer Freude lege ich dem geneigten Leser heute einen Neudruck des Büchleins „Meister Pippin“ von Franz Eugen Schlachter mit den besten Segenswünschen vor.
Dieses Werk von Schlachter habe ich fast genauso verzweifelt gesucht, wie den „Resli“, der ja zwischenzeitlich ebenfalls als Neudruck vorliegt.
Wie beim „Resli“ handelt es sich um eine biographische Skizze eines Lebens und zwar diesmal eines Schumachergesellen aus dem Schwarzwald. Schlachter erzählt in seiner unnachahmlichen Art die Geschichte dieses Wanderburschen und seinen geistlichen Werdegang, bis er schließlich – nachdem er – zum Glauben gefunden hatte, im 80. Lebensjahr selig in der Anstalt Beuggen heimgehen durfte.
Eigentlich hieß „Meister Pippin“ Anton Hippin. Hansuli Heiniger berichtet in Schlachters Büchlein „Was Vater Heiniger uns erzählt...“ wie er 1852 bei ihm in Bern in der Junkerngasse übernachtete. Er hatte ihn auf dessen Kolportagereisen kennengelernt.
Die Geschichte mit der Krankenheilung in den Cevennen ist natürlich die Geschichte von Cyprien Vignes aus Vialas, die Schlachter in seinen „Brosamen“ bzw. der Broschüre „Frohe Botschaft für die Kranken“ veröffentlicht hat.
Manche Teile mögen uns heute seltsam anmuten – z.B. auch die Begebenheit mit Dorothea Trudel aus Männedorf usw. – aber der Leser möchte doch beachten, dass er es mit einer Zeit zu tun hat, die von der Heiligungsbewegung geprägt war, bzw. die mit manchen – heute kritisch gesehenen –. geistlichen Dingen noch eher unvoreingenommen umging. Ein einfältiger Glaube ohne Hintergedanken herrschte vor.
Danken möchte ich allen, die mitgeholfen haben, damit wir auch diese Broschüre von Franz Eugen Schlachter wieder auflegen konnten. Zuerst Torsten Geiger, der mit das Material in der Schweiz aufgefunden und besorgt hat, aber auch meinem Sohn Peter–Michael, der wieder das Ganze abgetippt und teilweise mit Fußnoten versehen hat und nicht zuletzt Pfarrer i.R. Franz Baumann, dem Enkel von Franz Eugen Schlachter, der mir wiederum die Berndeutschen Ausdrücke „übersetzt“ hat.
Ich wünsche dem Leser Gottes Segen.
Karl-Hermann Kauffmann
Im Lichte der goldenen Abendsonne wanderten zwei Handwerksburschen, mit schweren Felleisen 1bepackt, auf der staubigen Landstraße dem Rhein entlang. Die Beiden hatten ein schönes Stück Weges hinter sich. Waren sie doch heute Morgen nach der Frühmesse, der sie als getreue Söhne ihrer Kirche beigewohnt hatten, von St. Blasiens Münster tief im Herzen des Schwarzwaldes drin aufgebrochen, eben als die ersten Strahlen der Juni–Sonne das blinkende Kuppeldach der alten Klosterkirche in Gold verwandelten. Aus Gold bestand freilich die Kuppel nicht, sonst wäre sie wohl noch eher in die badische Münze 2nach Karlsruhe gewandert; aber auch das Kupferblech, das bis vor Kurzem die Kathedrale geschmückt hatte, war für die Armut der damaligen Zeit wertvoll genug gewesen, dass man es vom Kirchendach herunter in die Taschen der Leute fließen ließ. Wenn die Schweden im dreißigjährigen Kriege die protestantische Kirche mit Kugeln verteidigten, die sie aus dem Blei der Kirchenfenster gossen, warum sollte der Großherzog von Baden seinen durch Napoleons Brandschatzungen erschöpften Staatsschatz nicht mit Kreuzern füllen, die man aus dem Kupferdach St. Blasiens schlug? – Statt des wertvolleren Kupfers konnte man ja der Kirche eine minderwertige Blechkappe aufsetzen – denn ist nicht für die Kirche alles gut genug? – und eben weil dies erst kürzlich geschehen war, so glänzte auch die Kuppel im Morgenrot des Tages, an dem unsere beiden Handwerksburschen die letzte Frühmesse in ihrem lieben Schwarzwald feierten.
Sie waren echte Wäldersöhne, die beiden jungen Leute, Kinder jenes kuppenreichen Granitgebirges, das einen großen Teil unseres badischen Nachbarlandes bedeckt und seinen Namen dem düstern Tannenwald verdankt, der seine Höhen krönt. Zwar an ihrem Äußern hätte man die beiden Wanderer nicht als Wälder erkannt; denn für ihre Reise in die Fremde hatten sie sich in städtische Kleidung gehüllt; aber die feuerrote Weste – das charakteristische Unikum der Schwarzwäldertracht – blickte doch verstohlen aus dem Felleisen heraus. Der Wälder besitzt nämlich eine wunderschöne Tracht. Noch heute trifft man hie und da auf den Märkten von Freiburg im Breisgau und sogar in Basel die reckenhafte Hünengestalt eines Holzbauern ab dem Wald, oder sieht ihn den Rhein hinunterfahren auf seinem Floß, die Füße mit silberbeschnallten Schuhen bekleidet, darüber die Waden in weiße Strümpfe gesteckt, die von den schwarzen Kniehosen aus Samt festgehalten werden. Dazu bildet die scharlachrote Weste, wie gesagt, den unveräußerlichen Bestandteil der Tracht, so sehr, dass ein Wälderknabe, der zur Beerdigung seines Großvaters einmal partout seine rote Weste anziehen wollte, zum Vater sagte, wenn er die nicht tragen dürfe, so freue ihn die ganze „Leicht 3“ nicht mehr. Zur Vervollständigung seines Anzugs trägt dann der Wälder noch eine schwarze Jacke, aber er ist eitel genug, dass er seine weißen Hemdsärmel nur halb damit bedeckt, indem er – es müsste denn grimmig kalt sein – dieselbe nur leicht und gefällig über die linke Schulter wirft.
Hatten aber auch die beiden jungen Wanderer für ihre Reise in die weite Welt eine gangbarere Tracht gewählt, so trug doch jeder von ihnen etwas bei sich, woran man den Wälder weit und breit erkennt. Seppli, so hieß der eine von ihnen, hatte eine große Schwarzwälderuhr über den Rücken heruntergehängt, offenbar weil seine Westentasche zu klein war für das respektable „Zyt 4“. Im Schwarzwald werden nämlich keine Taschenuhren, sondern eben Wälderuhren fabriziert. Daran ist alles, so viel wie möglich, aus Holz geschnitzt – natürlich das Schlagwerk und die Kette nicht. Aber das Zifferblatt mitsamt den Zahlen, die Zeiger und sogar der Kuckuck, der bei jedem Stundenschlag aus dem oberen Stübchen herausspringt und das heitere Knarren der Kette mit seiner hellen Stimme begleitet, sind bei der echten Wälderuhr aus urwüchsigem Material geschnitzt, an dem das waldige Gebirge noch niemals Mangel gelitten hat.
Die Wälderuhren sind darum auch, Dank ihrer unverdorbenen Originalität und Dauerhaftigkeit, in der ganzen Welt bei Jung und Alt beliebt, wenigstens so weit die deutsche Zunge klingt und der Kuckuck schreit. Und zu der Zeit, von der wir reden, als noch kein Dampfross die Erzeugnisse ländlichen Gewerbefleißes zentnerweise ins Ausland beförderte, trug nicht selten der breite Rücken des Sohnes der Berge, der sich während des Winters über der Schnitzelbank gekrümmt, im Sommer den gesuchten Artikel hinab in die Städte der Niederung. Aber nicht nur die Uhren waren gesucht, sondern auch die Künstler, welche sie verfertigten und sich auf deren Reparatur verstanden, und darum verließen nicht selten die Söhne solcher Uhrmacherfamilien auf kürzere oder längere Zeit den heimatlichen Herd, um in der Fremde ein schönes Stück Geld zu verdienen, das ihnen bei der Rückkehr die Gründung eines eigenen Hausstandes ermöglichte.
In dieser Absicht hatte auch Seppli sein Bündel geschnürt und wanderte heute mit Toni, seinem Vetter, der nächstgelegenen Grenzstadt zu. Toni war freilich kein Uhrmacher seines Zeichens, sondern die hübschen, strohgeflochtenen Körbchen, die er auf dem Rücken neben dem Felleisen trug, verrieten, dass in seiner Familie eine andere Schwarzwälderindustrie, die Strohflechterei, zu Hause sei. Auf dem Walde gedeihen nämlich nicht nur schwarze, grobe Tannen, sondern auch feines, gelbes Stroh. Es ist eben dort auch, wie gar oft in der Welt, dass das Feinste sich neben dem Gröbsten findet, da, wo man´s am wenigsten vermutet hätte, und gewiss hat der Schöpfer in Seiner Weisheit nicht umsonst es so gefügt, dass oft
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