Günther Thömmes - Der Bierzauberer

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Im Franken des 13. Jahrhunderts macht sich Niklas von Hahnfurt auf den steinigen Weg, der beste Bierbrauer seiner Zeit zu werden. Als im Kloster St. Gallen mehrere Pilger mit vergiftetem Bier ermordet werden, gerät Niklas ins Visier des fanatischen Inquisitors Bernard von Dauerling. Es beginnt eine Jagd auf Leben und Tod, an deren Ende ein letztes »Bierduell« mit seinem Todfeind unausweichlich ist.

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Günther Thömmes

Der Bierzauberer

Impressum

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© 2015 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75/20 95-0

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlagbild: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung des Bildes von Simone Martini: Fresken in Assisi: Begräbnis des hl. Martin (Detail)

ISBN 978-3-8392-3066-4

Zitat und Widmung

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Hermann Hesse (»Stufen«)

Für Linus, meinen kleinen Sonnenschein

Das zweite Gottesurteil

So saß er an seinem letzten Abend in Köln in seinem beinahe leeren Haus.

An dem kleinen Tisch, den Kopf zwischen den Händen vergraben, dachte er nach, warum alles so gekommen war, wie es gekommen war.

Bei der Tür standen zwei gepackte Kisten, das war alles, was er mit nach Urbrach nehmen wollte.

Es klopfte an der Tür.

»Kommt herein, wer immer Ihr seid! Die Türe ist offen.«

Die Tür schwang auf, ein kalter Luftzug wehte durch die Stube.

Aus den Augenwinkeln sah Niklas das grobe Leinen einer Mönchskutte.

Er drehte sich nicht einmal um.

»Du hast meine Existenz zerstört, Bernard. Alles, was mir lieb und teuer war. Hast du immer noch nicht genug?«

Niklas erhob sich und lachte heiser.

»Willst du auch mein Leben? Das wirst du nicht so leicht bekommen.«

Bernard sagte kein Wort und setzte sich auf einen der beiden verbliebenen Stühle. Erst jetzt sah Niklas, dass Bernard einen Beutel mit sich führte, in dem irgendetwas klapperte.

»Setz dich her!«, herrschte Bernard ihn an. »Wir sind noch nicht am Ende.«

Niklas setzte sich ihm gegenüber.

Bernard verbreitete einen aufdringlichen, käsigen Geruch. Es war lange her, dass er sich zuletzt gewaschen hatte. Seinem Gesicht sah man den Mangel an Schlaf deutlich an. Seine Augen lagen tief in den Höhlen und versprühten eine Aura von Irrsinn.

Er nahm zwei gleich aussehende Krüge aus seinem Beutel und stellte sie auf den Tisch.

»Erinnerst du dich an das Gottesurteil, das dich damals in Urbrach gerettet hat?«

Niklas nickte stumm.

»Lass uns hier und heute mit einem weiteren Gottesurteil unsere Feindschaft ein für alle Male beenden. In einem dieser beiden Krüge ist ein gesundes, frisches Bier, in dem anderen ein Teufelsbier, gewürzt mit Bilsenkraut, Tollkirsche und Fingerhut. Aber beide sind mit deinem geliebten Hopfen gekocht worden, wodurch sie beinahe gleich bitter riechen und schmecken.«

Niklas ahnte bereits, was da kommen sollte. Er war plötzlich bereit, die Auseinandersetzung mit Bernard, obwohl er unschuldig war, bis zu diesem tödlichen Ende mitzuspielen.

Bernard nahm die Krüge.

»Wähle dir einen aus. Dann trinken wir gleichzeitig die Krüge bis zur Neige leer. Und einer von uns beiden geht zum Teufel.«

Niklas nahm den linken der Krüge, die Bernard ihm entgegenhielt, und sah Bernard direkt in die Augen.

In beiden Augenpaaren sah man nichts als Hass.

»Auf Nimmerwiedersehen, du Alptraum meines Lebens! Egal, wie es ausgeht.« Er verzichtete darauf, mit Bernard anzustoßen, setzte den Krug an und trank ihn aus. Er sah noch, dass Bernard nur zögerlich so tat, als tränke er, bevor er zu Boden stürzte.

Sein Gesicht wurde rot, die Augen verdrehten sich und quollen langsam aus den Höhlen, Speichel tropfte aus seinem Mund, ein paar Zuckungen mit beiden Armen und beiden Beinen, dann lag er still am Boden.

Bernard stand auf, hob den Krug und sagte:

»Mögest du in der Hölle schmoren, du ›Reiner Teufelsbrauer‹ Niklas!«

Dann leerte er den Krug.

Die Jagd war vorbei.

Eine sensationelle Entdeckung

Dieses Geschehnis steht so in einem Buch aus dem 13. Jahrhundert, in dem die Lebensgeschichte eines Brauers niedergeschrieben ist. Sie werden sich zu Recht fragen, wie ein normaler Mensch wie ich in den Besitz eines solchen Buches kommen kann. Noch dazu eines solch wertvollen, interessanten Buches. Es ist etwa 125 Jahre älter als die Gutenberg-Bibel! Jedes Museum der Welt würde sich glücklich schätzen, einen solchen Schatz besitzen zu dürfen, jeder Historiker würde zu gerne einmal mehr als nur einen Blick hineinwerfen.

Zumal das Buch ja auch noch von Geheimnissen umgeben ist, die mit einigen der berühmtesten Brauereidynastien Deutschlands zu tun haben.

Dies ist aber nicht nur die Geschichte von der Entdeckung eines der unglaublichsten Bücher aller Zeiten, sondern dies ist die lange Geschichte des Buches selbst!

Die Art, wie ich zu dem Buch kam, war eigentlich einerseits zu banal für ein solches Fundstück, andererseits, wo sollte man ein wirklich antikes Buch über Bier finden, wenn nicht im Umfeld seiner Produktion?

Im Rahmen meiner Ausbildung zum Brauer und Mälzer verbrachte ich im Sommer des Jahres 1985 einige Wochen in einer Mälzerei in Andernach am Rhein. Die Mälzerei war in der Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet worden und stellte ein Konglomerat aus alten Gebäuden dar, die nach und nach errichtet worden waren, sodass sie sich über die Jahrzehnte in ein regelrechtes Labyrinth verwandelt hatten.

Es gab ungezählte Gänge, Treppenhäuser, Getreideaufzüge und -förderbänder, die die diversen Keimkästen, Darren, Silos, Büros und Arbeitsräume miteinander verbanden. Viele waren staubig und verdreckt und offensichtlich schon seit Längerem nicht mehr benutzt worden.

Es dauerte eine Weile, bis wir, die neuen Auszubildenden, uns halbwegs zurechtfanden. Ich streifte gerne alleine durch die Gemäuer und hoffte immer, etwas Neues zu entdecken. Am besten ging es, wenn ich zum Silofegen abbestellt wurde.

Eigentlich war das todlangweilig, aber man konnte sich schnell und ungesehen im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Staub machen. Deshalb war dies, neben dem Entladen der Getreideschiffe auf dem Rhein am frühen Morgen, meine Lieblingstätigkeit.

Und eines Tages gab es sogar die ideale Arbeitseinteilung: Fünf Uhr morgens Schiffe entladen, wenn ich gegen elf Uhr mit dem großen Absaugschlauch fertig sein würde, sollte ich noch etwa zwei Stunden auf dem Siloboden fegen und saubermachen, dann wäre Feierabend.

Das Entladen ging schneller als erwartet, um zehn Uhr fand ich mich bereits auf dem Dach wieder, das die hohen Getreidesilos bedeckte und das nebenbei auch eine traumhafte Aussicht über den Rhein bot. Nach der harten Arbeit beim Entladen hatte ich verständlicherweise keine Lust mehr auf öde Fegerei.

Ich hatte mir schon ein abgelegenes Treppenhaus mit einigen Seitentüren ausgesucht, in dem ich mich einmal etwas genauer umsehen wollte. Umso größer war meine Enttäuschung, als ich alle Türen verschlossen fand. Ich wollte gerade zurück zu den Silos gehen, um meine Sachen zu packen und ins Wochenende zu fahren, als ich noch eine kleine Seitentür erblickte.

Ich ging hin, sie war nicht verschlossen! Die Tür klemmte ein wenig, mit einem kräftigen Stoß konnte ich sie öffnen. Schnell ging ich hinein und machte die Tür hinter mir zu.

Es war stockdunkel und die Luft roch abgestanden und leicht modrig. Nach einer Weile hatte ich einen Lichtschalter gefunden. Ich stand in einem kleinen Raum, der wohl einmal als Büro gedient haben mochte. Ein kleiner, alter Schreibtisch aus dunklem Holz, dazu ein passender Stuhl, alles voller Staub und Spinnweben. Ein Kalender an der Wand deutete mir an, dass dieses Büro zuletzt im Jahr 1928 benutzt worden war.

Ich konnte meine Neugierde kaum zurückhalten!

Besonders faszinierte mich von Anfang an das dritte Möbelstück im Raum, ein kleiner, hölzerner Bücherschrank mit einer Glastür. Der Schlüssel steckte, und ich sah eine Reihe Bücher, fast genauso verstaubt, aber ansonsten in gutem Zustand.

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