1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 »Wann bist du denn nach Hause gekommen?«, rief er ihr von seinem Sessel aus hinterher. Seine Worte folgten ihr durch den kurzen Flur bis in die Küche. »Antworte mir.«
Ana tat so, als hätte sie seine Frage gar nicht gehört, und öffnete den Kühlschrank. Die Luft in Inneren hatte schon beinahe Raumtemperatur erreicht. »Was hast du gesagt?«, rief sie. »Ich habe dich nicht verstanden.«
»Wann bist du nach Hause gekommen?«
Ana drehte ein Kochfeld auf und entzündete das ausströmende Gas mit einem Feuerzeug. Die blaue Flamme schoss nach oben und sie drehte das Gas rasch herunter. »Ist schon eine Weile her«, sagte sie. »Vielleicht um elf.«
Er erschien nun in der Tür zur Küche. »Wo warst du denn?« Er nahm sich einen Apfel aus der Obstschale, die auf der Granitplatte stand, und gönnte sich einen großen Bissen. Er kaute laut schmatzend und wischte sich mit dem Ärmel den herunterlaufenden Saft vom Kinn.
»Downtown«, sagte sie. Ana konnte ihn nicht anlügen, denn sie wusste genau, dass er sie soweit wie möglich überwachen ließ. Sie wusste, dass die Nanny, die eigentlich eine Bardame war, ihm genau sagen würde, wann sie gegangen und wann sie zurückgekommen war.
»Wozu?«, fragte er zwischen zwei Bissen Red Delicious.
»Ich wollte frisches Obst kaufen«, sagte sie und rührte die Suppe um. »Aber der Markt war zu.«
»Heute ist ja auch Sonntag«, sagte er und riss einen weiteren großen Bissen aus der Frucht. »Der Markt ist sonntags immer zu.«
»Ich hatte gedacht, heute wäre Sonnabend«, sagte sie. »Normalerweise bist du sonntags nämlich nicht unterwegs. Als ich heute Morgen aufgewacht bin und du weg warst, dachte ich, es sei Sonnabend.«
»Hm.« Er warf das Kerngehäuse quer durch die Küche in den Mülleimer und drehte sich um. »Wie lange dauert es denn noch?«, rief er im Gehen. »Ich habe Hunger.«
»Nur noch ein paar Minuten«, rief sie zurück und spähte den Flur hinunter. Er war zu seinem Sessel im Wohnzimmer zurückgekehrt. Sie konnte seine Stiefel auf dem Hocker sehen.
Ana schöpfte für sich eine Kelle Suppe in eine Schüssel und öffnete dann den Gefrierschrank. Hinter einigen leeren Eiswürfelformen hatte sie das besondere Geschenk versteckt, das Sidney Reilly ihr am Ende ihres Treffens gegeben hatte.
Sie öffnete die Flasche und sofort traf sie der Geruch von bitteren Mandeln. Sie hielt die Flasche auf Armeslänge von ihrem Gesicht weg und schüttete den Inhalt in den Suppentopf. Die weißen Kristalle, die wie Zucker aussahen, lösten sich sofort in der Flüssigkeit auf.
Sie rührte die Suppe mit einem Holzlöffel um, bis die Flüssigkeit wie von selbst im Topf umherwirbelte, dann verschloss sie die leere Flasche und versteckte sie wieder im Gefrierschrank.
»Ein halbes Gramm Kaliumcyanid wird ihn innerhalb weniger Tage töten«, hatte Sid ihr erklärt. »Hier sind zwei Gramm. Gib ihm alles.«
Um den sauren Geschmack des Giftes zu überdecken, fügte Ana der Suppe eine ordentliche Dosis Chilipulver hinzu und wartete, bis das Gebräu köchelte. Sie wusch sich in der Spüle die Hände, bis das kalte Wasser ihre Finger steif werden ließ, dann trocknete sie ihre Hände mit dem Geschirrtuch ab, das auf der Arbeitsplatte lag. Sie passte auf, dass sie den Dampf nicht einatmete, der aus dem Topf emporstieg. Sidney hatte ihr nämlich erklärt, dass beim Erhitzen des Cyanids ein gefährliches Gas entstehen würde.
»Das Essen ist fast fertig!«, rief sie laut. »Möchtest du auch ein Bier?«
»Das wäre grandios«, kam es aus dem Wohnzimmer zurück. »Etwas Bier, ein wenig Suppe und dann eine ganze Menge dich.«
Ana schluckte die aufstoßende Galle herunter. Die Vorstellung, sich ihm wieder hingeben zu müssen, war ekelerregend. Ein saurer Geschmack blieb in ihrem Mund zurück. Für eine Weile war es ihr gelungen, sich ihm zu entziehen. Aber als das Baby dann da war, der Plan sich verdichtete und der Aufstand näher rückte, war es immer schwieriger geworden, mitzuspielen. Sie hatte schon befürchtet, er hätte etwas bemerkt. Um jeglichen Verdacht im Keim zu ersticken, hatte sie ihren Einsatz auf eine Weise erhöht, die alles andere als ein Genuss für sie gewesen war.
Sie fand ein Tablett in der großzügigen Speisekammer und platzierte darauf seine Suppe, eine Flasche Bier mit Raumtemperatur, einen Löffel und einen Flaschenöffner. Ana holte tief Luft, hielt das Tablett auf Armeslänge von sich und trug sein Mittagessen ins Wohnzimmer.
General Harvey Logan rieb sich die Hände und setzte sich aufrecht hin, als er sie kommen sah. Er strich sich über den kahlen Kopf und leckte sich die Lippen.
»Lass es dir schmecken«, sagte Ana so überzeugend, wie sie konnte. Sie reichte ihm das Tablett, das er auf den Hocker stellte. »Es ist ein bisschen scharf«, fügte sie hinzu. »Wenn du noch ein Bier dazu willst, hole ich dir eins.«
Er sah sie misstrauisch an. »Isst du nichts? Ich mag es, wenn du mit mir zusammen isst.«
Ana nickte und machte auf dem Absatz kehrt, um wieder die Küche anzusteuern. »Natürlich«, sagte sie. »Ich habe mir auch eine Kelle genommen. Ich hole mein Essen, bin gleich wieder da.«
»Ich warte«, sagte er und ließ den Kronkorken von seiner Bierflasche ploppen. Er zeigte mit der Flasche auf sie und machte eine unwirsche Bewegung. »Beeil dich.«
Anas Herz pochte. Sie spürte kalte Feuchtigkeit unter den Armen und unter den Nackenhaaren. Sie nahm ihre Schüssel und einen Löffel. Mit zitternden Händen trug sie beides ins Wohnzimmer und nahm auf dem Sofa Platz.
Er nahm einen Schluck Bier und rülpste. »Du zitterst«, sagte er.
»Mir ist auch kalt.«
»Iss einen Löffel heiße Suppe«, befahl er. »Ich warte auf dich. Ich bin schließlich ein Gentleman.« Er zwinkerte ihr zu und leerte die Flasche in einem Zug.
Ana nahm den Löffel an die Lippen und nippte an der warmen, salzigen Suppe. Sie nahm einen weiteren Schluck und dann noch einen. »Das tut gut«, sagte sie und sah auf seine Schüssel.
General Logan stellte die leere Flasche vor sich auf das Tablett und umfasste seine Schüssel mit beiden Händen. Er hob sie an die Lippen, kippte die Schüssel und trank sie in einem Zug aus. Die heiße Flüssigkeit lief ihm zu beiden Seiten über das Gesicht.
»Ahhh«, sagte er schließlich. Er ließ die leere Schüssel auf das Tablett knallen und leckte sich über die Lippen. »Puh«, sagte er. »Das Zeug gibt einem aber einen ordentlichen Kick, nicht wahr?« Er schüttelte den Kopf wie ein nasser Hund und atmete laut aus, wobei er seine Lippen flattern ließ.
Ana aß einen weiteren Löffel. »Zu viel Chilipulver?«
»Puh«, sagte er noch einmal und schlug sich mit der Faust gegen die Brust. »Ich denke schon. Wie viel hast du denn da reingeschüttet?« Auf seinem kahlen Kopf standen die Schweißperlen und der Schmerz zwang ihn aus seinem Sessel.
Ana nahm noch einen Löffel Suppe. »Nicht mehr als sonst auch«, sagte sie gleichmütig, scheinbar ohne zu bemerken, mit welcher Geschwindigkeit es mit dem Vater ihres Kindes zu Ende ging. »Möchtest du noch ein Bier?«
Harvey Logan, einer von den drei Generälen des Kartells, stolperte vorwärts. Seine Augen weiteten sich und er schnappte nach Luft. Er fiel nach vorn und prallte gegen den Holztisch, der seinen Stuhl vom Sofa trennte. Ana kreischte auf und ließ ihre Suppe fallen, die sich daraufhin über ihren Schoß ergoss. Sie zog ihre Beine an und kroch so weit nach hinten auf dem Sofa wie nur möglich.
General Logan fiel auf die Seite und starrte nach oben zu Ana. Er fasste sich an die Kehle, sein ganzer Körper zuckte. Seine Arme und Beine verkrampften sich. Er knurrte etwas und weißer Schaum quoll aus seinem offenen Mund.
Das Gift in Logans Körper blockierte die Fähigkeit, Sauerstoff aufzunehmen. Sein Zentralnervensystem, sein Herz, seine Blutgefäße und seine Lunge verweigerten den Dienst, als hätte jemand den Schalter des elektrischen Generators umgelegt, der sie antrieb. Eine Zelle nach der anderen erstarb und er erstickte von innen nach außen.
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