Manuse tippte an seine Kamera, um Roofs Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Was gibt es sonst noch?«, fragte er. »Du sagtest, es gäbe ein paar Dinge zu besprechen.«
»Sonst ist nichts«, sagte er schnell. »Lass mich wissen, wenn du Harvey erreichst.«
»Yep.« Manuse beendete die Verbindung. Sein Bildschirm wurde dunkel.
Es klopfte an der Tür. Roof drehte sich um und fand einen dicklichen Befehlsempfänger vor, der die Lücke zwischen der halbgeöffneten Tür und dem Türrahmen mit Leichtigkeit ausfüllte. Seine Augen waren groß und sein eng anliegendes T-Shirt mit Blutflecken übersät. Er zog sich die Hose an den leeren Gürtelschlaufen hoch.
Roof zuckte ungeduldig mit den Schultern. »Was ist los?«
»Jemand hat Captain Skinner ziemlich übel zugerichtet«, sagte der Mann. »Ich weiß nicht, wer es war. Ich dachte, ich sollte …«
Roof hob die Hand, damit der Mund des Soldaten aufhörte, sich zu bewegen. »Wer sind Sie?«
Der Mann senkte den Blick. »Sie nennen mich Porky.«
»Ich habe ihn so fertig gemacht, wie ich nur konnte, Porky«, erklärte Roof. »Wird er es trotzdem überleben?«
Porkys Augen weiteten sich einmal mehr und wurden dann schmal vor Verwirrung. Er hob und senkte den Kopf dann wieder. »Ja. Ich glaube schon. Seine Zunge allerdings …«
»Was ist damit?« Roof ging drohend auf den Mann zu, während er sprach.
»Sie sieht ziemlich mitgenommen aus«, sagte Porky. »Es ist … er kann nicht reden.«
»Holen Sie ihm etwas Eis aus der Kantine«, befahl Roof. »Bis wir morgen losziehen, ist er wieder fit.«
»Sir, General, Sir, ich weiß nicht, ob …«
»Er ist wieder fit«, wiederholte Roof. »Wir brauchen jeden Mann. Er ist bis morgen also besser wieder in der Spur. Wenn nicht …« Roof näherte sich dem Soldaten bis an die Nasenspitze und beugte sich dann nach vorn. »… mache ich Sie dafür verantwortlich.«
25. Oktober 2037, 15:43 Uhr
Jahr fünf nach dem Ausbruch
Palo Duro Canyon, Texas
Felipe Baadal stand vor dem Eingang zu Juliana Paagals Zelt. Er schaute nach oben in die Sonne und bemerkte, dass sie ungefähr um fünfzehn Grad gesunken war, seit er hier wartete. Inzwischen musste also locker eine Stunde vergangen sein. Als er gegangen war, hatte sie über ein Satellitentelefon mit jemandem in Houston gesprochen. Sie hatte ihn dabei höflich gebeten, ihr etwas Privatsphäre zu geben. Es war ein Gespräch auf höchster Ebene , hatte sie gesagt.
In der kühlen, trockenen Oktoberluft war das Warten allerdings gut auszuhalten. Jedenfalls fühlte es sich deutlich besser an als eine Patrouille in der Wüste Mitte Juli. Baadal stemmte die Hände in die Hüften, drehte sich hin und her und streckte dann seinen Rücken. Er fasste mit einer Hand an seinen gegenüberliegenden Ellenbogen und zog daran. Er schnurrte fast vor Behagen und Erleichterung.
»Eine Zerrung?« Paagal trat aus dem Zelt ins Sonnenlicht, während sie mit der Hand den roten Stoff des Zelteingangs hielt.
Baadal hielt mitten in der Bewegung inne und drehte sich mit einem Lächeln um. Ein Wärmestrom durchflutete seinen Körper und seine Wangen röteten sich. »Es ist die Matratze.«
»Ah«, sagte Paagal. »Die Matratze.«
Baadals Augen weiteten sich, als er sich daran erinnerte, wie seine Finger über ihre Arme gestrichen hatten. Seine olivfarbene Haut hatte ihren glatten braunen Teint wundervoll ergänzt. Sein Puls beschleunigte sich, als sich in seinem Kopf die Szenen abspielten, die geschehen waren, bevor er auf der klumpigen Matratze eingeschlafen war. Bevor er das Zelt hatte verlassen müssen, weil Battle mitten in der Nacht mit dringenden Neuigkeiten aufgetaucht war.
»Weißt du«, sagte sie und trat näher, »du bist der erste Mann seit langer Zeit, der …« Sie lächelte. Ihre Augenbrauen kräuselten sich zu einem Bogen und beendeten so den Satz an ihrer Stelle.
Baadal wollte sie am liebsten sofort zurück ins Zelt schieben, aber er wusste, dass das warten musste. Es gab schließlich etwas zu erledigen.
»Und du bist die erste Frau in ich weiß nicht wie langer Zeit.«
Sie berührte seine Brust mit ihrer flachen Hand. Ihre Augen verrieten ihm, dass sie genauso begierig darauf war wie er, sich im anderen zu verlieren.
Das Lächeln verschwand aus Baadals Gesicht. »Ich muss dich daran erinnern«, sagte er ernst, »dass ich kein guter Mann bin.«
Juliana Paagal nahm ihre Hand von seiner Brust und berührte Baadals glatte Wange. »Und ich bin keine gute Frau«, gab sie zurück. »Aber wir sind beide Überlebende. Das ist der Punkt, von dem aus wir neu anfangen können. Ich wünschte, ich hätte dich schon früher besser kennengelernt.«
Ihre Augen wandten sich von seinen ab und sie blickte über seine Schulter. Baadal drehte sich um und sah, was ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.
»Ich muss leider schon wieder stören«, sagte Marcus Battle mit Lola und Sawyer im Schlepptau. »Es tut mir leid. Ich will kein Spielverderber sein.«
Paagal ließ die Hand sinken und schüttelte den Kopf. »Ist schon okay.«
»Ist es offenbar nicht«, sagte Battle. »Sie haben nämlich Ihren Kopf geschüttelt, als Sie gesagt haben, es sei okay. Unterbewusst wäre es Ihnen also lieber, wenn ich Sie nicht gestört hätte.«
Paagal verzog den Mund zu einem Schmunzeln. »Sie verabreichen mir gerade sozusagen eine Dosis meiner eigenen Medizin?«
Battle zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Doch ich glaube, Sie werden hören wollen, was wir zu sagen haben.«
Lola stellte sich neben Battle. Sie nahm Sawyers Hand und hielt sie fest. Ihre Finger und die ihres Sohnes griffen ineinander. Paagal verschränkte die Arme vor der Brust.
»Was ist los?«, fragte Baadal, als niemand etwas sagte. Er spürte, dass Battle, Lola und Sawyer ihnen etwas Wichtiges und Dringendes mitzuteilen hatten. Er konnte es an ihren Gesichtern ablesen.
Battle, so hatte er festgestellt, trug einen wirklich treffenden Namen. Das lag nicht nur an seinen Überlebensfähigkeiten oder seinem Kampfeswillen, es lag auch daran, dass der Mann immer so aussah, als hätte er Schmerzen und als würden große Konflikte in ihm brodeln. Marcus Battle wirkte auf ihn wie ein Vulkan, der bis zum Bersten unter Spannung stand und stets bereit war, unter den richtigen – oder falschen – Bedingungen auszubrechen.
Was Lola anbetraf … obwohl Baadal sie erst kurze Zeit kannte, war er zu dem Schluss gekommen, dass ihre Emotionen wie ein offenes Buch waren … und zwar ein Buch mit großer, fett gedruckter Schrift. Was sie empfand, breitete sich unmittelbar auf ihrem Gesicht aus und spiegelte sich in ihren Bewegungen ebenso wie im Tonfall ihrer Stimme wider.
Lola drückte die Hand ihres Sohnes und räusperte sich. »Battle hat uns erzählt, dass Sie gegen das Kartell in den Krieg ziehen. Sie planen das schon lange, hat er gesagt.«
Paagal nickte. Ihre Augen wanderten zwischen Lola und Battle hin und her. »Ja, das ist richtig.«
»Er sagte, Sie würden uns helfen, den Wall zu überwinden, wenn wir jetzt erst einmal hierbleiben und mit ihnen kämpfen«, sagte Lola.
»Ja, auch das ist richtig.«
»Sind Sie wirklich in der Lage, uns auf die andere Seite zu bringen?«
»So ist es.«
Lola machte zusammen mit Sawyer, einen Schritt auf Paagal zu, und hielt der Anführerin der Dweller ihre freie Hand hin. Paagal nahm das Angebot an und schüttelte fest Lolas Hand.
»Wir werden kämpfen«, sagte Lola entschlossen. »Was auch immer wir tun müssen, um sie zu besiegen, wir werden es tun.«
Paagal ließ Lolas Hand wieder los und nickte. »Gut«, sagte sie. »Wir werden heute Abend zusammenkommen, um zu besprechen, wie wir vorgehen werden. Der Plan selbst ist bereits in vollem Gange.«
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