LIMIT FÜR HANDFEUERWAFFEN IN VIRGINIA KAUM NOCH AUFZUHALTEN, heißt es in der Zeitung. Aber erst auf Seite drei. Um dorthin zu gelangen, musste ich etwas über die neue Einkommenssteuererhöhung lesen, die neue Benzinsteuer, die neue Zigarettensteuer, die Erhöhung der Leitzinsen und die neuen Toten drüben in D.C., allein dreizehn in den letzten vierundzwanzig Stunden. Reverend Gideon Parks hat zu einer Gebetswache auf den Stufen des Lincoln Memorials aufgerufen, aber der Bürgermeister will keine Gebete, er will mehr Cops. Ich habe die erste Tasse Kaffee intus und nehme mir die zweite vor, als Fiona hereinspaziert kommt, ein Paar High Heels auf den Boden fallen lässt und hineinsteigt, während sie sich die ganze Zeit über mit einer Bürste durch ihr langes und lockiges Haar fährt.
Hi, Mom, sagt sie, was mich daran erinnert, dass es nicht wirklich normal ist, Gespräche mit einem Foto zu führen.
Und was sieht sie heute Morgen wieder heiß aus. Seidenbluse. Diese Jeans, die ihren Hintern in Form bringt, und sie hat auch wieder diesen Trick mit dem Eyeliner gemacht.
Ihr Name ist Ellen. So nennt sie so gut wie jeder, der sie kennt, obwohl hin und wieder eine ihrer Freundinnen Elfie zu ihr sagt.
Ich nenne sie Fiona. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht mag ich den Namen einfach.
Sie hat erdig-braune Augen und dieses kleine Lächeln, das einem sagt, dass sie dich genau kennt. Und das tut sie. Sie sieht in allem gut aus und nackt noch besser.
Ich habe meine Tage, sagt sie.
Was antwortet man da? Tut mir leid? Glückwunsch? Also trinke ich einfach weiter meinen Kaffee.
Ich sagte–
Hab dich schon gehört, sage ich.
Sie wirft die Bürste weg, schnappt sich ihre Handtasche und die Autoschlüssel von der Resopalplatte, gibt mir einen dicken Schmatz auf die Stirn und erinnert mich daran, den Abwasch zu machen und dass wir kaum noch Milch haben.
Mach's gut, sagt sie dann.
Es ist Donnerstag, die letzte Woche im April. Fiona arbeitet montags, dienstags, donnerstags und freitags im Vachon Hair Salon in Rosslyn, direkt hinter dem Fluss. Sie macht Maniküre und Nageldesigns. Freitags hört sie mittags auf zu arbeiten und ist erst Sonntag wieder zuhause, gerade rechtzeitig für 60 Minutes . Ich hab keine Ahnung, was sie so treibt, wenn sie nicht da ist. Sie hat es mir nie erzählt, und ich hab nie gefragt. So lebt es sich leichter.
Einmal bin ich ihr gefolgt. Ich weiß nicht, was in mich gefahren war. Langeweile wahrscheinlich oder eines dieser Männlichkeitsdinge: Besitzdenken, Revier, meins, meins, meins. Ich lieh mir einen Firmenwagen, einen heruntergekommenen Kombi der noch unauffälliger war als Dreck, und folgte ihrem silbernen CRX und dem JAZZERCISE-Stoßstangenaufkleber den ganzen Weg bis zur Schnellstraße auf die Chain Bridge. An dem Punkt fühlte ich mich wie ein lausiger Idiot und bog an der Tyson Corner auf die Route 123 ab, fuhr zu Bloomingdales und kaufte ihr Parfüm, eine kleine Flasche Cartier Panthére, die über hundert Kröten kostete. Sich von Scham freizukaufen ist nicht ganz billig.
Ich erzähle ihr nichts von meinen Geheimnissen, also wieso sollte sie mir ihre erzählen? So etwas muss in beide Richtungen funktionieren oder es funktioniert gar nicht.
An jenem Sonntagabend, während Morley Safer versuchte, sich vernünftig mit einem Flüchtling aus Afghanistan zu unterhalten, gab ich ihr das Parfüm, und sie sagte, dass das nicht nötig gewesen wäre, aber sie lächelte.
Fiona lächelt viel. Sie ist die fröhlichste Person, die ich kenne. Ihre Stimme ist wie Whiskey, rau und sanft gleichermaßen. Wie ihre Küsse.
Wenn ich nachts aufwache, umarmt sie mich manchmal.
Wenn Sie es noch nicht selber herausgefunden haben, sollten Sie spätestens jetzt wissen, dass ich keiner von den Guten bin.
Mein Name ist Burdon: Burdon Lane. Geboren in St. Louis, Missouri, im Jewish Hospital, auch wenn die Ärzte dort und nicht die Patienten jüdisch waren. Aufgewachsen bin ich woanders – im Süden von Illinois – was meine Kindheit ziemlich gut zusammenfasst: Ich hatte eine, aber die Zeiten sind vorbei. Es waren die Fünfziger, demnach bin ich wie alt? Altundvierzig. Sozialversicherungsnummer? Ja, hab ich. Sogar mehr als eine, um ehrlich zu sein.
Und so lautet meine Kontaktanzeige: Mann, weiß, Single, Mitte vierzig, geschieden, keine Kinder, sucht Waffen. Große Waffen, kleine Waffen. Handfeuerwaffen, Schrotflinten, Gewehre, Maschinengewehre, und ja, okay, hier und da auch Granatwerfer und Panzerabwehrwaffen. Und das wiederum ist meine Visitenkarte: Burdon Lane, Executive Vice President. UniArms, Incorporated.
Ich bin ein Geschäftsmann, und gut verstaut in der Brustinnentasche meiner Anzugsjacke, dem grauen Drei-Knopf-Anzug aus Leinen von der Stange, befindet sich der Grund, warum ich mich letzte Nacht mit Renny Two Hand getroffen habe: Ein Schlüssel, die Art von Schlüssel, die man an so gut wie jedermanns Schlüsselbund findet, die Art von Schlüssel, die zu einer Haustür passt oder einer Bürotür oder dem Briefkasten an der Wohnung.
Dieser spezielle Schlüssel gehört zu einem Vorhängeschloss. Das Vorhängeschloss hängt an der Tür einer mietbaren Lagereinheit im dritten Stock von Moving Vault auf der Eisenhower Avenue in Alexandria. Im Inneren der Lagereinheit befinden sich übereinandergestapelt ein paar Kisten, deren Inhalt, zumindest bei den meisten der Kisten, mit blauem Textmarker geschrieben auf der Außenseite zu lesen ist. In der dritten Kiste von unten mit der Aufschrift LUFTENTFEUCHTER/BABYKLEIDUNG/ROLLKOFFER befinden sich Luftentfeuchter, Babykleidung und … ein grauer Samsonite-Rollkoffer.
Am Dienstag werde ich den Lagerraum aufsuchen und einen grauen Samsonite-Rollkoffer dabeihaben. Ich werde den dritten Pappkarton öffnen. Ich werde meinen Rollkoffer, der leer sein wird, in dem Karton lassen und mit dem Rollkoffer aus dem Karton wieder gehen. Ich werde zur Huntington Metro Station fahren und auf dem Außenparkplatz parken. Ich werde in die Metro steigen, die Yellow Line bis zum Gallery Place nehmen, wo ich in die Red Line umsteige und bis zur Union Station fahre. Dort werde ich den Amtrak 120 nehmen, einen Metroliner, der um 16 Uhr abfährt, und ich werde mir eine Tasse Kaffee gönnen und ein paar Stunden in meinem Buch lesen bis ich die 30 thStreet Station in Philadelphia erreiche. Dort werde ich den Zug verlassen und ein Taxi zu einem Fischrestaurant namens Bookbinders nehmen, einem sehr belebten, hektischen Ort auf der Walnut, wo ich, während ich immer noch meine Sonnenbrille trage, der Dame an der Garderobe meinen Regenmantel und meinen Rollkoffer gebe und dafür einen Plastikanhänger bekomme, rund, mit einem Loch für den Haken und einer goldgeprägten Identifikationsnummer. Ich werde eine alte Freundin an der Bar treffen, die Leiterin des Anzeigenteils des Philadelphia Inquirer namens Lauren Auster, und wir werden ein paar Drinks zusammen nehmen und uns Geschichten erzählen, ein paar alte und ein paar neue, und wir werden lachen und nach einer gewissen Zeit werden wir uns an einen Tisch setzen und Shrimps-Cocktails und CaesarSalad und jungen Kabeljau bestellen, meinen rauchgeschwärzt und ihren gegrillt mit leichter Butter und Dill, und um 7:15 Uhr abends werde ich mir mit meiner Serviette die Lippen abtupfen und verlauten lassen, dass ich die Herrentoilette aufsuchen muss. Dort werde ich die zweite Kabine betreten, warten, ob ich vielleicht muss, und ich werde die Hosen runterlassen und mich hinsetzen und mein Geschäft verrichten. Ich werde eine Packung Wrigleys Juicy Fruit Kaugummis aufreißen und solange auf einem Streifen herumkauen, bis der Geschmack weg ist. Ich werde den Plastikanhänger aus meiner Tasche holen und ich werde den Kaugummi aus dem Mund nehmen, und dann werde ich den Kaugummi gegen den Anhänger pressen und ihn an die Wand hinter der Toilette kleben. Ich werde etwas Klopapier abrollen, mir die Hände abtrocknen, die Toilettenspülung betätigen und mich vom Acker machen. Ich werde zu meinem Tisch zurückkehren, den Kabeljau aufessen, mir einen Martell Cordon Bleu bestellen, eine Tasse Kaffee trinken, und wenn die Rechnung kommt, werde ich bar bezahlen, ein angemessenes Trinkgeld geben, und noch vor acht werde ich mit Lauren im Arm das Restaurant verlassen, und sie wird mir noch von ihrem aktuellen Freund erzählen. Und dann tauschen wir Küsschen und eine Umarmung aus und gehen getrennte Wege. Was bedeutet, dass ich ein Taxi zurück zur 30 thStreet Station nehme, um den Amtrak 127 zu erwischen, den letzten Metroliner des Tages zurück nach Süden, der um 8:14 Uhr abends abfährt.
Читать дальше