»Auch wenig wird weit reichen, wenn man sparsam damit umgeht. Sie muß sich eben so gut wie möglich nach der Decke strecken. Die Miete soll sie nichts kosten. – Ihr zieht am nächsten Samstag aus?«
»Sie sagten doch, daß wir es tun sollten, Onkel.«
»Ganz recht. – Also, ich habe gegenwärtig ein leeres Haus zur Verfügung, wo ich euch unterbringen kann, bis es vermietet ist; und dann steht mir eventuell noch ein anderes zu Gebote, wenn sich die Umstände ändern sollten. – Ihr müßt vorderhand dort hinziehen.«
»Ist es weit von hier, Onkel?« fragte Kate.
»Ja, ziemlich weit. In einem andern Stadtteile – im Ostend. Aber ich werde euch Samstag abends meinen Schreiber schicken. Der soll euch hinführen. Adieu jetzt. – Du weißt doch den Weg? – Nur immer geradeaus!«
Damit verließ Ralph seine Nichte am Eingang in die Regent Street mit einem kalten Händedruck und bog, fortwährend auf Gelderwerb sinnend, in eine Nebengasse ein, während Kate traurig in ihre Wohnung zurückkehrte.
11. Kapitel: Mr. Newman Noggs führt Mrs. und Miss Nickleby in ihre neue Behausung in der City
Mit düsteren Ahnungen blickte Kate Nickleby in die Zukunft, während sie so dahinschritt. Das Benehmen ihres Onkels war ebensowenig geeignet, die Zweifel und Bedenken, die sich ihr bereits von Anfang an aufgedrängt, zu zerstreuen, wie der Blick, den sie in Madame Mantalinis Etablissement geworfen hatte.
Wären Worte des Trostes imstande gewesen, ihr Gemüt ein wenig aufzuhellen, so hätte dies notwendigerweise geschehen müssen, da es ihre Mutter an solchen durchaus nicht fehlen ließ. Die gute Dame hatte sich während der Abwesenheit ihrer Tochter auf zwei authentische Fälle von Putzmacherinnen besonnen, die es zu einem beträchtlichen Vermögen gebracht, wenn Mrs. Nickleby auch nicht mit Bestimmtheit anzugeben wußte, ob sie es lediglich durch ihr Geschäft erworben hatten. Miss La Creevy, die zum Familienrate zugezogen wurde, wagte zwar einige Bedenken zu äußern, ob es wahrscheinlich sei, daß Miss Nickleby in den Grenzen einer gewöhnlichen Lebensdauer ein so glückliches Ziel zu erreichen imstande sei, aber die gute Witwe widerlegte diese Frage dadurch, daß sie erklärte, sie habe ein ausgezeichnetes Ahnungsvermögen, eine Art zweiten Gesichtes. Damit hatte sie schon den seligen Mr. Nickleby immer zu Paaren zu treiben gewußt und ihn in zehn Fällen neun und dreiviertelmal zu einem verkehrten Schritt zu verleiten verstanden.
»Ich fürchte nur, daß diese Art Beschäftigung nachteilig auf die Gesundheit einwirkt«, meinte die Malerin. »Ich erinnere mich, daß mir zu Anfang meiner Künstlerlaufbahn drei junge Putzmacherinnen saßen, die alle sehr blaß und kränklich aussahen.«
»Oh, das kann doch nicht als allgemeine Regel gelten«, wendete Mrs. Nickleby ein, »ich erinnere mich noch so gut, als wäre es erst gestern geschehen, daß mir zur Zeit, als die Scharlachmäntel Mode waren und ich mir einen solchen machen ließ, eine Putzmacherin empfohlen wurde, die ein sehr rotes Gesicht jawohl – ein sehr rotes Gesicht hatte.«
»Vielleicht trank sie?« meinte Miss La Creevy.
»Ich weiß nicht, wie sie es damit hielt«, versetzte Mrs. Nickleby, »aber ich weiß, daß sie ein sehr rotes Gesicht hatte. Und damit sind Sie widerlegt, Miss La Creevy.«
Mit ähnlich schlagenden Beweisen entkräftete die würdige Matrone alle Einwürfe. Ein Projekt brauchte eben nur neu zu sein, um sich ihr in den glänzendsten Farben darzustellen.
Als diese Frage also glücklich erledigt war, teilte Kate ihrer Mutter das Verlangen Onkel Ralphs, die gegenwärtige Wohnung zu verlassen, mit, und Mrs. Nickleby ging sofort darauf ein und malte sich umständlich aus, wie entzückend es sein werde, wenn sie Kate an den schönen Abenden aus dem Westend abholen würde. Sie vergaß charakteristischerweise, daß es in London auch regnerische Abende und schlechtes Wetter gibt.
»Es tut mir wirklich sehr, sehr leid, Sie verlieren zu müssen, meine liebe, gute Freundin«, sagte Kate, auf die die wohlwollende freundliche Miniaturmalerin einen tiefen Eindruck gemacht hatte.
»Sie sollen mich dessenungeachtet nicht so leicht loswerden«, versicherte Miss La Creevy mit aller Lebhaftigkeit, die ihr zu Gebote stand. »Ich werde Sie sehr oft besuchen, um zu sehen, wie es Ihnen geht. Und wenn es in ganz London und noch obendrein in der ganzen Welt wirklich kein Herz geben sollte, das an Ihrem Wohle aufrichtigen Anteil nimmt, so sollen Sie doch eines in dem Busen eines kleinen alleinstehenden, weiblichen Wesens finden, das jeden Tag und jede Nacht seine Gebete für Sie zum Himmel schickt.«
Dabei schnitt die gute Seele, die ein Herz, groß genug für Gog, den Schutzgeist von London, und für Magog obendrein, besaß, eine Menge wundersamer Gesichter, die ihr, wenn sie sie auf der Leinwand würde haben festhalten können, ein großes Vermögen gesichert hätten. Und dann setzte sie sich in eine Ecke, um ihren Gefühlen in Tränen freien Lauf zu lassen.
Aber weder Tränen, noch Worte, noch Hoffen, noch Furcht konnten den gefürchteten Samstagabend hinausschieben. Gerade in dem Augenblick, als die Kirchturmuhren der Nachbarschaft fünf schlugen, hinkte Newman Noggs heran und hauchte seinen von Branntwein geschwängerten Atem durch das Schlüsselloch der Haustüre. Mit dem letzten Glockenschlag klopfte er.
»Von Mr. Ralph Nickleby«, kündigte er sich, als er die Stiege heraufgekommen, mit lakonischer Kürze an.
»Wir werden im Augenblick bereit sein«, sagte Kate. »Wir haben zwar nicht viel mitzunehmen, aber ich fürchte doch, daß wir eine Droschke dazu brauchen werden.«
»Ich will eine holen«, erbot sich Newman.
»O nein, nein, Sie dürfen sich nicht bemühen«, lehnte Mrs. Nickleby dankend ab.
»Aber ich will«, beharrte Newman auf seinem Vorhaben.
»Ich hätte bereits eine mitgebracht, nur wußte ich nicht, ob Sie schon bereit sind.«
»Oh, vielen Dank, Mr. Noggs«, sagte Mrs. Nickleby. »Was macht Ihr Prinzipal?«
Newman warf einen vielsagenden Blick auf Kate und erwiderte langsam, Mr. Ralph Nickleby befände sich immer wohl und lasse im übrigen herzlich grüßen.
»Wir sind ihm wirklich sehr zu Dank verpflichtet«, bemerkte Mrs. Nickleby
»Hm«, meinte Newman. »Werde es ausrichten.«
Es war nicht leicht, Newman Noggs zu vergessen, wenn man ihn einmal gesehen hatte, und als ihn jetzt Kate, veranlaßt durch sein seltsames Benehmen, das übrigens ungeachtet seiner abgebrochenen Redeweise etwas Ehrerbietiges, ja sogar Zartes hatte, genauer betrachtete, erinnerte sie sich, seine sonderbare Gestalt schon früher flüchtig gesehen zu haben.
»Entschuldigen Sie meine Neugierde, aber habe ich Sie nicht schon an dem Morgen, als mein Bruder nach Yorkshire abreiste, im Posthof gesehen?« fragte sie.
Newman warf einen unsicheren Blick auf Mrs. Nickleby und erwiderte rundheraus: »Nein.«
»Nicht? Und doch hätte ich mir getraut, es auf das bestimmteste zu behaupten.«
»Dann würden Sie etwas Unrichtiges behauptet haben«, erwiderte Newman. »Ich gehe heute seit drei Wochen das erstemal wieder aus. Ich hatte einen Gichtanfall.«
Newman hatte nun nichts weniger als das Aussehen eines mit der Gicht Behafteten, und auch Kate konnte sich dieses Gedankens nicht erwehren. Alle weiteren Erörterungen wurden aber von Mrs. Nickleby abgeschnitten, die darauf bestand, daß die Türe geschlossen werden müsse, um Mr. Noggs keiner Erkältung auszusetzen, worauf sie das Dienstmädchen nach einer Droschke fortzuschicken beschloß, um ihm einen allenfallsigen Rückfall seiner Krankheit zu ersparen. Newman mußte nachgeben. Der Wagen ließ nicht lange auf sich warten, und nach tränenreichem Lebewohl und vielem geschäftigem Hinundherrennen Miss La Creevys, wobei ihr gelber Turban wiederholt in gewaltsame Berührung mit den Köpfen der Anwesenden kam, fuhr er, nämlich nicht der Turban, sondern der Wagen, mit den beiden Damen und ihrem Gepäck ab. Newman hatte seinen Sitz auf dem Bock bei dem Kutscher eingenommen, ohne sich durch die Versicherung Mrs. Nicklebys, daß es sein Tod sein könne, beirren zu lassen.
Читать дальше