Das Wort Putzmacherin hatte in Mrs. Nickleby zunächst Erinnerungen an gewisse geflochtene, mit Wachstaffet ausgelegte Weidenkörbe erweckt, die sie zuweilen in den Straßen hatte hin- und hertragen sehen, aber als Ralph fortfuhr, verschwand dieser Eindruck rasch und machte desto glänzenderen Bildern von großen Häusern im Westend, feinen Equipagen und Leibrenten Platz. Sie nickte daher freudig und gab, augenscheinlich sehr zufrieden, ihre Zustimmung zu erkennen.
»Was dein Onkel gesagt hat, ist vollkommen richtig, Kate«, erklärte sie ihrer Tochter. »Als ich kaum verheiratet war und mit deinem armen Vater nach London kam, erinnere ich mich noch recht gut, daß mir eine junge Dame einen Basthut mit weiß und grünem Besatz und grünem Seidenfutter in ihrem eigenen Wagen, der in vollem Galopp vorfuhr, ins Haus brachte. Ich weiß zwar nicht ganz bestimmt, ob es ihr eigener Wagen oder eine Droschke war, aber ich erinnere mich noch recht gut, daß das Pferd beim Umwenden tot niederfiel und daß dein armer Vater noch meinte, es hätte vierzehn Tage keinen Hafer zu fressen bekommen.«
So grell diese Reminiszenz die glänzende Lage der Londoner Putzmacherinnen beleuchtete, so schien sie doch keinen besonderen Anklang zu finden, denn Kate ließ den Kopf sinken, und Ralph legte unverkennbare Zeichen äußerster Ungeduld an den Tag.
»Die in Rede stehende Dame«, fiel er hastig ein, »heißt Mantalini. Madame Mantalini. Ich kenne sie. Sie wohnt unweit Cavendish Square. Wenn Ihre Tochter also geneigt ist, sich um die Stelle zu bewerben, so kann ich sie gleich hinführen.«
»Und du, hast du deinem Onkel nichts zu sagen, mein Kind?« fragte Mrs. Nickleby.
»Sogar sehr vieles«, versetzte Kate, »aber bitte, nicht jetzt; ich möchte lieber unter vier Augen mit ihm sprechen. Es wird ihm Zeit sparen, wenn ich ihm meinen Dank und das, was ich ihm zu eröffnen habe, auf dem Wege sage.«
Damit eilte sie, um die hervorbrechenden Tränen zu verbergen, mit der Entschuldigung hinaus, sie wolle sich zum Ausgehen ankleiden, während ihre Mutter Mr. Nickleby unter großer Gemütsbewegung mit der umständlichen Beschreibung eines Klaviers aus Rosenholz und einer Garnitur Sesseln mit gedrechselten Beinen und grünen Sitzpolstern unterhielt, die sie in den Tagen ihrer Wohlhabenheit besessen, wobei sie hervorhob, daß von letzteren jedes Stück zwei Pfund fünfzehn Schillinge gekostet habe und nichtsdestoweniger bei der Versteigerung fast um nichts weggegangen sei.
Diese Reminiszenzen wurden endlich durch Kates Rückkehr abgeschnitten, und Ralph, der während der ganzen Zeit ihrer Abwesenheit ärgerlich dagesessen hatte, verlor nun keinen Augenblick mehr und verließ mit ihr ohne viel Zeremonie das Haus.
»So, jetzt lauf, so schnell du kannst«, sagte er und reichte ihr den Arm, »du wirst dir damit den Schritt angewöhnen, den du von jetzt an jeden Morgen nötig haben wirst.«
Mit diesen Worten eilte er mit Kate nach Cavendish Square.
»Ich bin Ihnen für Ihre Güte wirklich sehr verbunden«, begann das junge Mädchen, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinanderher gegangen waren.
»Freut mich«, brummte Ralph, »ich hoffe, du wirst deine Pflicht gewissenhaft erfüllen.«
»Ich will mir alle Mühe geben, Onkel«, versicherte Kate, »wirklich, ich –«
»Fang nur nicht gleich wieder zu weinen an. Ich kann das ewige Geplärre nicht ausstehen.«
»Ich weiß, es ist töricht, lieber Onkel«, stotterte die arme Kate. »Ja, das ist es«, fiel ihr Ralph ins Wort, »und sehr affektiert obendrein. Verschone mich mit derartigen Komödien.«
Das war bestimmt nicht die rechte Art und Weise, die Tränen eines jungen und empfindsamen Mädchens zu trocknen, das im Begriff stand, eine ihm ganz neue Laufbahn unter kaltherzigen und teilnahmslosen Fremden zu betreten, aber der Zweck wurde dessenungeachtet erreicht. Kates Gesicht wurde blutrot, und ihre Brust arbeitete einige Minuten heftig. Dann aber schritt sie mit festerem und entschlossenerem Schritt weiter.
Es lag ein seltsamer Kontrast in dem Benehmen der beiden. Das furchtsame Landmädchen schlüpfte schüchtern durch das Gedränge und hielt sich fest an ihren Führer, fürchtend, ihn in den Volksmassen zu verlieren, während der ernste, eherne Geschäftsmann mürrisch seines Weges schritt, sich mit den Ellenbogen Bahn brach und hie und da den Gruß eines Vorübergehenden verdrossen erwiderte, der sich sichtlich überrascht nach seiner schönen Begleiterin umsah und sich über das so schlecht zusammenpassende Paar wunderte. Der Gegensatz wäre noch weit auffallender gewesen, hätte man in den Herzen, die so nahe beieinander schlugen, lesen und die reine Unschuld des einen mit der bodenlosen Niedertracht des andern vergleichen können.
»Onkel«, fing Kate, als sie sich dem Ort ihrer Bestimmung nahe glaubte, furchtsam wieder an. »Ich möchte eine Frage an Sie richten. Werde ich zu Hause wohnen?«
»Zu Hause?« versetzte Ralph. »Wo ist das?«
«Ich meine – bei meiner Mutter.«
»Dein eigentlicher Aufenthalt wird in Madame Mantalinis Hause sein, denn du wirst bei ihr essen und von Morgen bis Abend, hie und da vielleicht auch bis früh, dort bleiben.«
»Aber ich meine des Nachts?« sagte Kate. »Ich kann die Mutter doch nicht verlassen, Onkel! Ich muß ein Plätzchen haben, das ich Heimat nennen kann, und das ist da, wo sie ist – wie armselig es auch immer sein mag.«
»Sein mag?« wiederholte Ralph ungeduldig und beschleunigte seine Schritte noch mehr. »Sein muß, willst du wohl sagen. Von einem mögen zu sprechen! Ist das Mädchen toll?« »Das Wort entschlüpfte mir nur so, ohne daß ich den Sinn hineinlegen wollte, den Sie darin finden«, entschuldigte sich Kate.
»Na, das will ich hoffen«, brummte Ralph.
»Aber meine Frage, Onkel! – Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.«
»Nun, ich habe etwas der Art kommen sehen«, versetzte Ralph, »und habe deshalb, obgleich es ganz und gar nicht nach meinem Sinne ist, entsprechend Vorkehrungen getroffen und Madame Mantalini gesagt, du wünschest als Arbeiterin ›außer Haus‹ unterzukommen. Du kannst daher abends zu deiner Mutter gehen.«
Das war wenigstens ein kleiner Trost. Kate erging sich in tausend Dankesbeteuerungen, die Ralph gnädig entgegennahm.
Bald darauf langten sie vor dem Hause der Putzmacherin an. Ein livrierter Diener öffnete die Türe und führte sie eine breite Treppe hinauf in einen reich möblierten Saal voll Modekleidern und Stoffen in größter Auswahl.
Sie mußten länger warten, als es Mr. Nickleby zu passen schien. Ärgerlich blickte er umher und wollte eben ungeduldig klingeln, als plötzlich ein Herr den Kopf zur Türe hereinsteckte, ihn aber ebenso schnell wieder zurückzog, als er bemerkte, daß jemand anwesend war.
»Hallo, wer ist da?« rief Ralph.
Sofort erschien der Herr wieder, ließ eine lange Reihe schneeweißer Zähne sehen und lispelte geziert: »Der Teufel. Wie? Nickleby? Ei, der Teufel!« Er war in einen prächtigen Schlafrock, eine Weste und türkische Beinkleider aus demselben Stoff gekleidet, trug ein rosenrotes seidenes Halstuch und hellgrüne Pantoffeln, und eine schwere goldene Uhrkette baumelte ihm auf der Brust. Sein Backen- und Schnurrbart, beide schwarz gefärbt, waren zierlich gekräuselt.
»Zum Teufel! Sie werden doch nichts von mir wollen?« sagte er und klopfte Ralph auf die Schulter.
»Beruhigen Sie sich«, versetzte Ralph sarkastisch.
»Ha, ha, zum Teufel«, lachte der Herr, drehte sich affektiert auf der Ferse um und wurde dadurch Kates ansichtig, die in der Nähe stand. »Meine Nichte«, stellte Ralph vor.
»Ach, jetzt erinnere ich mich«, rief der Herr und tippte sich geziert, wie zur Strafe für seine Vergeßlichkeit, mit dem Zeigefinger auf die Nase, »zum Teufel, jetzt erinnere ich mich, warum Sie hier sind. Kommen Sie nur mit, Nickleby. – Wollen Sie mir folgen, mein Kind? Ha, ha, sie folgen mir alle, Nickleby. Zum Teufel! – Haben es immer getan.«
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