Dennis glaubte, alles im Griff zu haben. Jerry hatte ihn zu dem Fall gerufen, weil er wusste, dass es keinen besseren Einbuchter gab als Dennis. Er war in dem Glauben angetreten, irgendein Kriechtier jagen zu müssen, das nicht begriffen hatte, dass Cops ganz oben in der Nahrungskette standen – und nicht die Gejagten waren –, aber dieses Konstrukt fiel gerade auseinander. Da war zum einen die Leiche auf dem Bett, und dann war er zusammen mit zwei astreinen Superarschlöchern auf den Fall angesetzt worden. Os, der Riesenscheißer, sagte in Dennis’ Anwesenheit nie mehr als zwei Worte, wenn es nicht notwendig war, und Woody war noch schlimmer. Dennis hatte Woody schon öfter dabei erwischt, dass er ihn anstarrte wie irgendeinen Vergewaltiger, der schwitzend auf der falschen Seite des Einwegspiegels hockte. Die beiden waren Arschlöcher, aber eiskalte Polizisten. Alle wussten über Os Bescheid. Er war ein Irrer, der Verdächtige drangsalierte, aber immer völlig ungeschoren damit durchkam. Soweit Dennis wusste, hatte es nie irgendeinen Vorwurf von polizeilicher Gewalt gegeben. Und das war fast das Furchterregendste dabei – das Riesenvieh hatte eine blütenreine Weste. Sogar die Spießercops, die sich immer an alle Regeln hielten, handelten sich irgendwann irgendeine absurde Anzeige von irgendeinem kriminellen Mistkerl ein, und die hatten nicht mal was getan. Das gehörte zum Job. Irgendwann traf es jeden – außer Os. Os musste ausgeteilt haben, um sich selber keinen Ärger einzuhandeln. Woody war das Gegenteil. Er wurde nie gewalttätig, und er schwieg nicht. Er redete mit sich selber, wenn sonst keiner da war. Woody war wie Columbo: Er bemerkte Dinge, die anderen entgingen. Alle liebten Woody – fast alle.
Dennis entging nicht, was die beiden Cops von ihm hielten, schließlich war er selber Detective, verdammt. Wer konnte vor ihm etwas verbergen? Er war aufgetaucht und hatte versucht, den anderen klarzumachen, dass er cool war. Er hatte einen Witz gerissen, um den beiden zu zeigen, dass er dachte wie sie. Aber keiner der beiden Männer hatte gelacht. Os hatte ihn einfach aus dem Weg geschubst und war ins Schlafzimmer gegangen, und Woody war ihm wie ein verdammter Welpe hinterhergedackelt.
Die Leiche war unwirklich. Dennis konnte den Blick nicht von der leeren Gebärmutter abwenden. Das war wohl der richtige Begriff, aber was wusste er schon. Er bewegte sich auf den Körper zu, angezogen von dem offenen Torso, ein roter Schlund aus Fleisch und Blut. Woodys Räuspern holte ihn aus seiner Trance. Dennis wich zurück und schaute an die Decke. Als er den Blick wieder senkte, sah er dem Opfer in die Augen. Bis jetzt war es bloß ein Name und ein Fall gewesen. Julie Owen aus der GANG-Einheit. Dennis hatte den Namen nie gehört und kannte auch sonst niemanden aus der Einheit. Erst jetzt, als er nicht mehr nur den Bauch ansah, ging ihm auf, dass er Julie Owen schon mal begegnet war. Sie sah so traurig aus. Ihr Blick war weich, und Dennis wollte sich einreden, dass sie in der letzten Sekunde vor ihrem Tod vielleicht keine Schmerzen gehabt hatte. Doch er hatte zu viele Mordtatorte gesehen, um das lange zu glauben – nach dem Tod waren einfach die Gesichtsmuskeln erschlafft. Aber egal warum, Julie sah Dennis mit demselben Blick an wie damals, als sie ihn erwischt hatte.
Das war zehn Jahre her. Dennis war gerade von einer sechsunddreißigstündigen Überwachung gekommen. Ein Marathon aus kurzen Schlafphasen und beschissenem Essen, pinkeln ging nur, wenn der Partner gerade schnarchte, und zwar in eine Flasche. Es war nichts dabei rausgekommen, der Verdächtige war nicht zu Hause aufgetaucht, und der Detective Sergeant konnte nicht noch mehr Überstunden anordnen. Nach sechsunddreißig vergeudeten Stunden hatte Dennis’ Partner ein Bier und ein Bad im Jacuzzi gewollt. Dennis war auf etwas Besseres aus. Ein Blowjob war entspannender als der Whirlpool und kostete weniger. Dennis setzte seinen Partner am Revier ab, fuhr weiter und suchte die Gegend nach dem richtigen Absacker ab.
Nutten waren auf den Straßen von Hamilton dünn gesät, normalerweise nutzte Dennis die Telefonnummern auf den hinteren Seiten der Gratiszeitungen. Für Anrufe war es schon zu spät, und Dennis hatte keine Lust, ein Vermögen auszugeben. Ein halbwegs anständiger Blowjob erforderte nicht viel Raffinesse, und der Unterschied zwischen einem guten Blowjob und einem großartigen Blowjob war nicht mehrere Hundert Dollar wert.
Als Dennis an einer Straßenecke eine Hure entdeckte, hielt er mit bereits geöffnetem Fenster an. »Du hast Kundschaft. Steig ein.«
Die Nutte löste sich von der Mauer und ging auf das Auto zu. Sie stützte sich mit den Händen auf der Tür ab und beugte sich vor.
»Du willst mit mir ins Geschäft kommen?« Ihre Stimme war ein seltsamer Mischmasch, sie klang weder männlich noch richtig weiblich. Die Stimme war Dennis egal. Solange die Nutte nicht aussah wie ein Trucker, war alles gut.
Er bemerkte die Stoppeln am Kinn der Nutte und am Hals den großen Adamsapfel, um den herum vom Rasieren Pickel leuchteten. Sie trug eine rote Perücke, deren Locken an einigen Stellen herunterhingen.
»Wie heißt du?«
»Ellen.«
»Hübscher Name. Abkürzung für was?«
Die Nutte warf ihm einen Blick zu. »Du willst es echt wissen.«
»Willst du die hier?« Dennis hielt zwei Zwanziger hoch.
»Martin«, sagte die Nutte.
»Steig ein, Martin.«
Sie öffnete die Tür, setzte sich seitwärts auf den Sitz und zog dann die Beine nach. An den Füßen trug sie Keilabsatzschuhe mit Leopardenmuster. Die Waden darüber sahen glatt aus, und Dennis strich mit der Hand über das Bein bis zum Saum des schwarzen Minirocks.
»Langsam, Baby. Lass uns irgendwo hinfahren, wo es ruhig ist.«
Dennis ließ seine Hand auf Ellens Bein liegen und fuhr los. Er kam drei Blocks weit, dann bemerkte er hinter sich Blaulicht. Fluchend fuhr er an den Straßenrand. Fliehen hatte keinen Sinn, sein Nummernschild war im System. Er konnte nur hoffen, sich irgendwie rausreden zu können.
Er drückte Ellens Bein so fest, dass sie aufjaulte. »Du sagst nichts. Kein einziges verdammtes Wort. Verstanden?«
Ellen nickte.
»Sag es.«
»Ich hab verstanden.«
Sobald das Polizeiauto hinter ihm zum Stehen gekommen war, öffnete sich die Fahrertür. Dennis atmete erleichtert auf. So schnell, wie die Tür aufging, konnte niemand sein Kennzeichen überprüft haben. Im Seitenspiegel sah er eine attraktive Polizistin auf seinen Wagen zukommen. Sie war hochgewachsen und schlank und, wie er bemerkte, als sie vor ihm stand, blutjung. Im Handumdrehen entschied er sich für einen Bluff. Er hielt seine Dienstmarke hoch und räusperte sich.
»Was soll das, Mädel? Ich führe ein Gespräch mit einem informellen Informanten, und Sie nehmen mich hoch?«
Die Polizistin beugte sich vor und betrachtete die Dienstmarke. »Ach, so ist das?« Sie blieb völlig unbeeindruckt.
Dennis war verdattert. Er setzte alles auf eine Karte. »Und ob das so ist. Was soll es denn wohl sonst sein, Constable …«
»Owen«, sagte sie.
»Owen, Sie haben echt Glück, dass keiner Ihren Riesenfehler mitkriegt. Also hauen Sie ab, bevor das Ganze noch schlimm endet und ich mich über Sie beschweren muss.«
Dennis sah, dass sie die Hand von der Hüfte nahm und nach der Taschenlampe an ihrem Gürtel griff. Der Strahl traf ihn mitten ins Gesicht.
»Sie hatten gerade Dienstschluss. Ich hab gesehen, wie Sie eben Ihren Partner abgesetzt haben, als ich mein Auto holte.«
Der Strahl huschte zu Ellen hinüber, und Dennis sah, wie sich der Blick der jungen Polizistin veränderte. Erst sah sie verwirrt aus, dann traurig. Sie sah unverwandt Ellen an, die zurücklächelte.
»Hallo, Officer.«
Dennis hob die Hand und rieb sich die Augen. Nicht nur hatte Ellen vergessen, was Dennis ihr gesagt hatte, sondern auch noch ihre geschlechtsneutrale Stimme beim »Hallo«.
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