Deshalb empfand Maik die Frage seines Kollegen im Augenblick als lästig und erwiderte einsilbig: »Just a break.«
Er schloss die Augen, um nochmal den Wortlaut des Telefonats zu überdenken. Warum hatte Linus ihn nicht ins Vertrauen gezogen? Sie waren dicke Freunde seit der Grundschule, hatten jede Ferien miteinander verbracht, trafen sich mindestens einmal die Woche. Nicht ein einziges Wort hatte Linus über diese Partnervermittlung verloren. War es ihm einerseits so wichtig, die Frau fürs Leben zu finden, andererseits dieser Weg zu peinlich, um ihn seinem besten Freund anzuvertrauen? Und warum zum Teufel hatte er nicht sein eigenes Foto verwendet?
Eigentlich war dies doch nichts anderes als ein Blind Date. Vielleicht hatte die Frau ja ebenfalls ein falsches Foto gepostet, falsche Informationen eingegeben, angepasst an das, was Linus ihr unwissentlich als Köder geliefert hatte. Was, wenn Linus sich in seinem unbeirrbaren, unsäglichen Glauben an dieses dämliche Horoskop Hals über Kopf in ein Liebesabenteuer stürzte, das ihm das Herz brach?
Maik setzte sich wieder auf und betrachtete sein Spiegelbild in der glänzenden Scheibe des Monitors, der sich mittlerweile zu einem schwarzen Bildschirmschoner gedimmt hatte, der nichts als die aktuelle Uhrzeit anzeigte. Er selbst empfand sich nicht als schlecht aussehend und er hatte auch kein Problem damit, pummelig zu sein. Seine Eltern hatten stets hinter ihm gestanden und ihm geholfen, ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Auch bei seiner Freundschaft mit Linus waren Äußerlichkeiten nie ein Thema gewesen. Sie verstanden sich einfach gut, heckten zusammen Streiche aus, vertrauten sich – bis jetzt.
Warum hat er mein Foto verwendet? Maik zog die Stirn in Falten. Bei allem Selbstbewusstsein war ihm durchaus klar, dass er es mit Linus’ Erscheinungsbild nicht aufnehmen konnte. Sein Freund war so attraktiv, dass die Frauen ihn anhimmelten, aber das genügte nicht. War es das? Hoffte Linus auf eine weniger oberflächliche Beziehung, indem er sich als äußerlich weniger optimiert ausgegeben hatte?
Eigentlich sollte er deswegen sauer auf ihn sein. Aber Maik hatte ein großes Herz, er konnte einfach nicht. Und wenn es so war, wie kam Linus darauf, dass dies eine gute Idee sei? Denn wenn – na, dann hätte doch Maik inzwischen längst selbst die Liebe seines Lebens gefunden. Dem war jedoch nicht so. Ihn nahmen die Frauen nicht ernst. Er war wohl nichts mehr als ein gemütlicher Teddybär, und wenn sie davon genug hatten, sehnten sie sich nach einem Mann, der vorzeigbarer war. Vermutlich spätestens dann, wenn ihre innere Uhr die Auswahl für den späteren Samenspender ihres Nachwuchses in Frage stellte. Wie auch immer. Solange Maik von Zeit zu Zeit ein erotisches Abenteuer erlebte, bei dem er auf seine Kosten kam, war ihm eine echte Beziehung nicht wichtig. Im Grunde genommen war er doch eher mit seiner Arbeit verbandelt. Bei richtiger Eingabe machte das Programm genau das, was er wollte. Von Frauen ließ sich das nicht behaupten.
Egal. Was war das für eine Frau, die sich angeblich in dieses rundliche Gesicht mit der Stupsnase, der eher blassen Haut mit unzähligen Sommersprossen, und dem kleinen Mund verguckt hatte, hinter dem sich ein paar unkonventionell stehende Zähne offenbarten? Was für Absichten verfolgte sie wirklich?
Noch ehe Maik zu Ende gedacht hatte, wurden seine Finger wie von selbst auf dem Handydisplay aktiv. Es galt, seinen Freund vor dessen grenzenloser Naivität zu schützen und diese Frau in Augenschein zu nehmen, die ihn ins Unglück stürzen könnte.
»Also Alter, nochmal zu deinem Anliegen: du willst wirklich, dass ich dahin gehe und dich vertrete?«, fragte Maik, kaum dass das Wählsignal verstummt war.
»Ja, sicher, du würdest mir wirklich einen Riesengefallen tun. Erklär’ ihr die Situation. Irgendwie. Bitte. Sag ihr, wie leid es mir tut. Das ist zumindest persönlicher als zu schreiben.«
Anscheinend war sein Freund jetzt schon gespannt auf die Reaktion seines Dates.
»Na gut, du verrückter Idiot. Ich mach’s. Allerdings musst du mir noch erklären, warum du mein Foto verwendet hast.«
Er hörte, wie Linus einen Seufzer von sich gab. Tja Alter, du hast dir das eingebrockt, nun mal raus mit der Wahrheit .
»Es ist keine Zeit für Erklärungen. Du hast noch genau fünf Minuten.«
Maik gab ein gequältes Lachen von sich. »Also im Prinzip gar keine Zeit, Umziehen ist da nicht mehr drin.« Er sah an sich herab. Na ja, wenigstens war da kein Ketchup-Fleck vom Mittags-Hamburger auf dem Shirt. Zwar legte er auf seinen Kleidungstil nicht so viel Wert, aber durchaus auf Sauberkeit, vor allem wenn es darum ging, eine Frau zu treffen. »Aber dass dir eins klar ist, die Sache mit dem Foto hat noch ein Nachspiel. Von wegen Datenschutz und so. Da bist du mir was schuldig!«, knurrte er verärgert. »Also, sie erkennt mich, und was ist mit mir? Wie sieht SIE aus? Und wie heißt sie überhaupt?«
»Maureen«, stieß Linus atemlos hervor.
Mann, dem ging wohl ganz schön die Düse. Musste ja eine mächtig attraktive Braut sein, wegen der er so einen Aufstand machte. Allmählich wurde Maik neugierig auf dieses Treffen.
»Sie heißt Maureen. Ich schick dir gleich ihr Foto. Und Maik – danke!«
»Mmmmh.«
Maik legte auf und wischte sich über die Stirn. Wenige Sekunden später meldete sein Handy fiepend den Eingang einer neuen Nachricht.
»Wow!« Sein Puls beschleunigte sich in Sekundenschnelle. Eins zu Null für die Frau. Leuchtend blaue Augen strahlten mit einem sympathischen, selbstbewussten Zahnpastalächeln um die Wette. Das dezent geschminkte Gesicht wurde von ellenlangen schwarzen Haaren umrahmt.
»Maureen«, murmelte Maik, während er seinen Bildschirm sperrte, aufstand und in seine Jeansjacke schlüpfte. Plötzlich konnte er es kaum erwarten, bis der Aufzug ihn die sechs Stockwerke des Medienhauses hinabgebracht hatte. Wie lange hatte er kein Date mehr gehabt? Also ein eigenes. Egal.
So schnell es seine Beine zuließen und ohne dabei zu sehr außer Atem zu geraten, nahm er den Weg Richtung Restaurant. Weit in der Ferne wurden eine Handvoll Wolken von der Sonne, die schon hinter den Dächern verschwand, in intensivem Rot angestrahlt. Ein letztes Zucken vor der nächtlichen Dunkelheit. Verdammt, war das kalt. Hatte er nicht heute Morgen einen Schal dabei gehabt? Egal, der würde bestimmt irgendwo im Büro liegen.
Maik fuhr sich mit den Fingern durch seine Igelfrisur und über die Augen, prüfte den Sitz seines Gürtels und ob der Reißverschluss seiner Hose geschlossen war. Man konnte ja nie wissen.
Er wich ein paar jungen Leuten aus, die ihm entgegen kamen, ausgelassen, fast hüpfend, ohne auf andere Passanten zu achten. Ein Mädchen streifte seinen Arm. »Entschuldigung«, murmelte es erschrocken, ehe es weiterging.
Maik lächelte ihr hinterher. »Schöne Frauen sollte man eigentlich nicht warten lassen«, flüsterte er und kicherte in sich hinein. Ein aufgeregtes Kribbeln bemächtigte sich seines Körpers und versetzte ihn in eine erwartungsvolle Stimmung. Er würde Maureen nicht einfach nur Linus’ Bedauern aussprechen und die Situation erklären. Wenn er sich schon für einen solch’ ungewöhnlichen Freundschaftsdienst opferte , dann würde er diesen Abend auf jeden Fall genießen!
Rund zehn Minuten nach dem vereinbarten Zeitpunkt traf Maik am Assado ein. Das war fast noch besser als seine normale ›Pünktlichkeit‹, mit der er es nie besonders genau nahm. Er blieb stehen, zupfte an seiner Jacke. Zweimal tief durchatmen und die Luft bis zum Letzten ausstoßen. Dann zog er die gläserne Eingangstür auf und ging hinein.
Es war schon eine Weile her, dass Maik hier gewesen war. Um alleine auszugehen war das Assado zu stilvoll. Hier ging man nicht nur hinein, um zu speisen, sondern um einen schönen Abend in geselligem Miteinander zu verbringen.
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