Die Bewusstseinsbildung über den weiteren Sinndes Reisens war schon immer mein Ziel, seit den 1960er-Jahren, als ich die ersten grossen Essays und Reportagen veröffentlichte – und ist es bis heute geblieben. Ich möchte auf unterhaltsam-informative Weise dazu anregen, vertieft über das Unterwegssein nachzudenken, sodass viele Reisende dann motiviert werden, mehr daraus zu machen – etwas, das ihrem ganzen zukünftigen Leben Nutzen bringt. Ich bin ursprünglich auch losgezogen, um der damaligen geistigen Enge der Schweiz und dem Hamsterrad des Büroalltags zu entrinnen. Vor allem aber aus Interesse am ganzen Planeten Erde – um zu sehen, wie es anderswo aussieht und wie die Menschen dort leben. Bei den Langzeitreisen mit Open End machte ich jeden Tag überraschende Erfahrungen und lernte viel Neues, das ich laufend reflektierte.
Das Reisen war für mich – und für viele Tausende andere Traveller – ein absoluter Augenöffner, der alle Horizonte erweiterte und mich immer weiter voranbrachte. Es erwies sich auch als Weg der Befreiung von veralteten Denkmustern, als sanfte Revolution des Bewusstseins mit kreativen Wirkungen. Und als Weg zu sich selbst, zu mehr Selbsterkenntnis und Verständnis von Situationen, zu mehr Achtsamkeit im Alltag. Von tausend positiven Erkenntnissen, die ich unterwegs gewann und dann in mein Leben integrierte, hier nur mal zehn Stichworte herausgepickt: einfacher leben, vegetarisch essen, Ayurveda-Kuren, Yoga, mehr Toleranz, Lachen, Menschenwürde, Naturverbundenheit, Wasser ist Leben, Buddhas weise Worte.
Ich danke dem Leben für die Chancenund für die Geistesgegenwart, sie wenigstens gelegentlich erkannt und ergriffen zu haben. Die wertvollste Entdeckung für mich war das kreative Denken, das unterwegs durch all die vielen neuen Szenerien und Begegnungen laufend neu angekurbelt wurde. Auch meinen Teams in den verschiedenen Geschäftsfeldern fühle ich mich in Dankbarkeit verbunden, denn ohne ihr engagiertes Mittun hätten wir wohl nicht so viel erreicht.
Und ich danke der kreativen kosmischen Urkraft, dass ich so grandiose Abenteuer erleben und so viele lehrreiche Erfahrungen machen und dabei doch eine gewisse Unschuld des Herzens bewahren konnte. Alles fliesst, ist in stetiger Veränderung. Wir sind alle immer unterwegs, brechen täglich auf zu neuen Horizonten – inneren oder äusseren. Das Ziel ist, sich gesund, zufrieden und sinnerfüllt durchs Abenteuer Leben zu bewegen.
Allen achtsamen Reisefans und Naturfreunden wünsche ich weitere abenteuerliche Entdeckungsreisen, die ihr Leben bereichern. Wer mit Ehrfurcht vor dem Wunder der Schöpfung auf Reisen geht und den Menschen respektvoll und lernfreudig begegnet, wird das Beste in sich zum Ausdruck bringen.
Zürich, im Sommer 2019
Globetrotter Walo Kamm
Reiseunternehmer Walo Kamm in seinem bücherreichen Atelierbüro (Zürich, 2010). (Foto: Dominique Meienberg)
1. Teil: Aufbruch zu neuen Horizonten
Nach einer Panne des russischen Geländewagens geht die Reise auf dem Dach eines Busses weiter (Kunduz, Afghanistan, 1967).
5 Interviews mit Menschen, in deren Leben sich durchs Reisen neue Wege öffneten
Charly Juchler aus Winterthur, seit vielen Jahren vorwiegend in South Dakota bei den Lakota zuhause, widmet sein Leben primär dem Wohlergehen dieses indianischen Volksstamms.
Der Luzerner Roman Peter hatte beim Musizieren auf einer thailändischen Insel eine grossartige Inspiration, die ihn in kurzer Zeit zu einem weltweit aktiven Plastikmüllentsorger werden liess.
Clemens Kuby, Mitgründer der Grünen und Dokfilmer, konnte sich dank spiritueller Kräfte selber von einer Querschnittlähmung heilen und reiste dann zu Schamanen in aller Welt, um von ihren eigenartigen, aber höchst wirksamen Heilmethoden mehr zu lernen.
Ergänzt wird dieser Buchteil durch zwei Interviews, die ich selber gab … ein nostalgisches von 1974, nach meiner siebenjährigen Weltenbummlerzeit und nachdem ich gerade euphorisiert war vom Erfolg meiner pionierhaften Diavortragstournee. Das andere von 2011, 37 Jahre später, nachdem ich als erfolgreicher Unternehmer längst eingesehen hatte, dass ich den Grossteil meines Wissens und Denkens wie auch die Sozialkompetenz und Tatkraft auf meinen Reisen erlangt hatte.
Globetrotter-Magazin 78, Sommer 2006
Charly Juchler, weshalb haben dich die Lakota-Indianer adoptiert?
Der 42-jährige Charly Juchler aus Winterthur lernte Maschinenmechaniker, schloss eine Handelsschule ab und arbeitete als Bordmechaniker auf verschiedenen Schiffen von Greenpeace. Dann zog es ihn wieder dahin, wo er schon gewesen war, bevor er das Meer befuhr: zu den Indianern in Nordamerika. Reisen, die sein Leben veränderten. Die Indianer faszinierten Charly seit seiner Kindheit – heute ist er ein grosser Kenner der Lakota, der Prärie-Indianer in South Dakota. Seit 1994 lebt er die meiste Zeit in den Black Hills vom Handel mit prärie-indianischer Kunst und von Kulturreisen mit und zu den Lakota.
Das Gespräch führte Daniel B. Peterlunger
Wenn früher das Wort Indianer fiel, dachte man an den guten Winnetou. Du auch?
Schon als Kind, noch vor den Winnetou-Filmen, habe ich mich für die Indianer interessiert. Als Jugendlicher gefielen mir die Filme, obschon sie viel Kitsch servierten. Doch das spielte damals keine Rolle. Ich las viel über die Indianer: Biografien, historische und ethnologische Abhandlungen. Ich sah Bilder von Menschen und Landschaften und fühlte eine unerklärlich starke Anziehung zu den Black Hills, die im US-Bundesstaat South Dakota liegen. Die weite und unberührte Landschaft ist die geologisch älteste Gebirgsformation der Welt und ähnelt ein bisschen dem Jura. Mich faszinierten diese Region und das indigene Volk der Lakota, die manche auch Sioux nennen, ein Übername, den die französischen Kolonialisten geschaffen hatten.
Woher rührt dein spezifisches Interesse an den Lakota?
Die Lakota – der Name bedeutet «Freund» oder «Alliierter» – haben eine besondere Geschichte: Die meisten indianischen Nationen waren bereits unterworfen, als die Lakota noch für ihre Freiheit kämpften. Sie und die Vietnamesen sind die einzigen Völker, die den USA eine militärische Niederlage bereiteten. Der Lakota- und Cheyenne-Sieg führte 1868 zwischen der souveränen Nation Lakota und den USA zum historisch wichtigen Vertrag von Fort Laramie. Er bestätigte, dass den Indianern ein riesiges Territorium gehört. Später brachen die USA den Vertrag. Nebst der Lakota-Historie beeindruckt mich ihr Wissen über die Natur, den Kosmos und das menschliche Zusammenleben. Doch ich wusste – vor meiner Reise zu den Lakota –, dass sich ihre Lebensweise stark verändert hatte und dass nicht Bisons oder Tipis ihren Alltag prägen.
Wie verlief die erste Begegnung?
Ich muss kurz ausholen: Als ich 14 war, starb mein Vater. Es war eine schwierige Zeit. Damals entschied ich – ja, es war ein Beschluss –, dass ich von jetzt an immer meinen Träumen folgen will. Nach dem Lehrabschluss reiste ich also mit 19 zum ersten Mal in den USA, per Anhalter und mit wenig Geld. Und schliesslich erreichte ich die Black Hills.
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