»Na, nu sehn Se mal, Herr Marquardt, ich bin ja schließlich auch nichts Besseres wie die andern. Wo's so viele sind, da kommt's auf eine mehr' oder weniger ja auch nicht an. Wenn mein Vater leben geblieben wäre, ja denn ... Aber mit meine Mutter habe ich mich nich verstehen können. Da flog ich raus. Nachher als Dienstmädchen ...«
Sie hatte sich auf die Sofalehne gesetzt und ließ die Füße, von welchen die Pantoffel herabhingen, herunterbaumeln.
»... Na, mit einem Wort, es ist ja immer dieselbe Geschichte, und es wär' ja auch alles noch nicht so schlimm, aber das Schlimmste sind die Bräutigams ... Unsereine will doch auch mal das Gefühl haben, daß sie einer wirklich lieb hat ...«
Ihr Blick hatte sich ganz nach innen gerichtet. Heinz Marquardt, der ihr gespannt zuhörte, merkte, daß sie jetzt nicht mehr für ihn, sondern für sich selber sprach.
»... Natürlich, eigentlich ist es ja damit auch nichts! Denn die wollen doch auch weiter nichts wie unser Geld, aber sie tun doch wenigstens so, als wenn sie einen lieb hätten und eifersüchtig auf die Mächens wären. Und denn haben sie alle eenen, und darum hatte ich auch einen. Natürlich, jetzt habe ich keinen mehr ...!«
Weshalb das so natürlich war, das sagte sie nicht, aber Heinz Marquardt meinte eine Empfindung von dem zu haben, was sie dabei dachte, und unwillkürlich rückte er mit den Schultern, als sei ihm etwas sehr unangenehm.
Und sie empfand auch das wieder mit dem Instinkt des Weibes, das sich mit einer noch unerkannten und selbst unbewußten Neigung zu einem Manne hingezogen fühlt, deswegen setzte sie schnell hinzu:
»Ich will ooch keenen wieder! Überhaupt keenen, denn schließlich sind die Männer doch alle egal, und wenn sie zuerst noch so nett sind, nachher malträtieren sie einen und schlagen einen so lange, bis man nich mehr leben möchte ...«
Heinz Marquardt betrachtete sie wie ein Rätsel. Er hatte schon früher die eine oder die andere dieser Art kennengelernt, aber er hatte sich niemals Gedanken darüber gemacht, ob und was für Empfindungen diese Mädchen haben. Ein leises Interesse für sie ergriff ihn, und er gab dem schüchtern Ausdruck.
»'s ist doch eigentlich schade!« sagte er, »so'n nettes Mädchen wie Sie sind ...«
»Helf er sich, kleine Maus,« meinte sie mit einem leichtfertigen Lachen, »ich muß nun schon mal so verbraucht werden, wie ich bin ... Aber darum habe ich Ihnen ja nich reinjerufen ...«
»Nein, nein!« Er schnappte sofort wieder in seine Idee ein und fragte, dicht an sie herantretend:
»Wissen Sie denn wirklich etwas? ... Was denn?«
Sie wiegte den Kopf hin und her, daß ihre schwarzen, schweren, jetzt aufgelösten Haare in dicker Welle von einer Schulter zur anderen glitten und sagte:
»Ich weeß ja selber nichts, aber seh'n Se mal, was ich vorhin von die Kerls gesagt habe, das konnten Sie sich doch denken, daß es nich so ganz zufällig war.
Ich hatte doch einen und hab'n so lange gehabt, bis er mir derartig mit's Messer verarbeit't hat, daß ich vier Wochen in de Klinik liegen mußte ... Hier ...«
Sie zeigte auf die fürchterliche Narbe, die ihren üppigen, mattroten Mund zerteilte. »Das ist der Denkzettel, den er mir gelassen hat. Da war's aber auch Ebbe, da habe ich ihn vermasselt, 1daß er hochgegangen ist wien' Luftballon 2... Bloß nachher uf die Fahrt von Moabit nach de Rummeline, 3da is er getürmt 4, und die ganze Polente 5stand da wie Seebach mit de Klöße ...«
»Sie haben ihn also nich wiedergekriegt?« fragte Heinz Marquardt, ohne daß er vorläufig sah, was diese Erzählung mit seiner Sache zu tun haben sollte.
»Nee«, lachte das Mädchen, und aus ihrem Gelächter klang der Stolz, mit dem sie auch heute noch an den einst Geliebten dachte.
»Und dabei geht er ganz frech in die Cafés,« fuhr sie fort, »ich seh'n die Woche manchmal drei-, viermal, aber er hat sich'n Schnurrbart abnehmen lassen und das Haar schwarz gefärbt ...«
»Aber was hat der denn damit zu tun?« konnte sich Marquardt jetzt nicht enthalten zu fragen.
»Ne ganze Masse! Natürlich, er selbst is' nich gewesen, aber die blaue Lotte, mit der er neulich Abend mal ins Theater war, die hat mir was verdibbert 6« ... Da is noch so einer, der war früher auch Kaufmann oder Beamter oder so was und der ...«
Sie sah Marquardt eine ganze Weile starr an.
»Na, was denn?« fragte er ... »Was denn?«
»Ja, ich weiß nich, ob ich Ihnen das sagen soll? ...«
»Aber gewiß«, er ergriff ihre Hand und sprach ganz eindringlich. »Alles, jedes Wort will ich wissen, was die gesagt hat!«
»Nee, aber Sie werden denn böse sein mit mir?«
»Wahrhaftig nicht!« Er legte beteuernd die Hand aufs Herz, »ich bin Ihnen ewig dankbar und will wahrhaftig alles tun für Sie, was in meinen Kräften steht!«
Sie lachte kurz auf. »Was dis schon sein wird! ... Aber darum tue ich es ja auch gar nich. Wissen Sie, Herr Marquardt, Sie tun mir leid und eigentlich noch mehr Ihre arme Frau ...«
»Ja, ja,« ... sagte er und faltete unwillkürlich die Hände, »aber nu sagen Sie doch, was hat die denn gesagt, die ...«
»Die blaue Lotte, meenen Se? Na, wenn Sie's denn durchaus wissen wollen und sind mir auch nich böse ...«
Sie sah ihn noch einmal zweifelnd an, worauf er ihr mit energischem Kopfschütteln antwortete.
»... Denn will ich's Ihnen sagen: Der andere, was der Freund von meinen war, der hat Ihre Frau schon gekannt, wo Sie noch gar nichts von ihr wußten.«
Zum erstenmal, seitdem sein Weib auf eine so entsetzliche Weise ums Leben gekommen war, lachte Heinz Marquardt. Und er lachte hell auf und lachte immer wieder, so daß das Mädchen ordentlich böse auf ihn wurde.
»Sie glauben's wohl nicht?« fragte sie ihn.
»Nee,« sagte er, »wenn ich alles glaube, aber das glaube ich nicht. Ach, was heißt da überhaupt glauben! Das Leben meiner Trude hat immer wie ein aufgeschlagenes Buch vor mir gelegen, bis in ihre Kindheit zurück weiß ich alles, was sie erlebt und getrieben hat ... Und wenn sie schon wirklich mal irgendeine kleine Poussade gehabt hätte, von der ich nichts wußte, aber mit einem Menschen aus Ihren Kreisen – nee, wahrhaftig, das ist geradezu komisch ... Ist das alles, was Sie mir sagen wollen?«
Sie nickte. »Ja, und das ist 'ne ganze Menge, glaube ich. Aber natürlich, weil wir alles keine Menschen sind und weil Sie uns verachten, darum glauben Sie das nicht! Und darum werden Sie auch nichts rauskriegen, ebensowenig wie die Polizei was rauskriegt, denn die würde überhaupt keinen fassen, wenn nicht hin und wieder eine von die Mächens ihren Liebsten verpfeifen täte oder so'n Achtjroschenjunge, der seine Brüder verrät, weil er Maure hat vor die Jreifer.«
Heinz Marquardt ging im Zimmer auf und ab, was das Mädchen da zuletzt sagte, das leuchtete ihm vollkommen ein: um ein Verbrechen, und besonders eins von den großen, auszuspüren, dazu mußte man mit den Verbrechern leben, mußte mitten unter ihnen sein, unerkannt und scheinbar ganz zu ihnen gehörig. Aber daß seine Trude mit einem von diesen Strolchen bekannt gewesen sei oder gar in einem Verhältnis zu einem von diesen Menschen gestanden haben sollte, nein, das war zu lächerlich, das war töricht, darüber auch nur ein Wort zu verlieren. Denselben Unsinn hatte die Polizei ja auch schon geglaubt. Und selbstverständlich, nur nicht er, jeder andere konnte daran glauben! Aus dem einfachen Grunde, weil sie alle die Trude nicht kannten! Weil keiner von ihnen wissen konnte, welch eine ehrliche, goldklare Seele diese Frau besessen hatte; wie in dem Herzen seiner armen Toten so wenig Falsch gewesen war, daß selbst ihr Blick nicht hatte lügen können und daß sie sogar in Dingen, auf die gar nichts ankam, ihm auch nicht das geringste hatte verheimlichen können.
»Und weiter wissen Sie nichts?« fragte er noch einmal.
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