1 ...8 9 10 12 13 14 ...33 Nur ein Polizist, in Uniform, befand sich in der Wohnung, dort Wache haltend. Von diesem erfuhr Heinz, daß die Kommissare Hartmuth und Bendemann noch heute nachmittag herkommen würden, um noch einmal die Lokalität genau zu besichtigen. Bis jetzt hätte man keine neuen Spuren, aber alles deutete darauf hin, daß Maaß der Täter sei ...
Marquardts Gesicht sah für einen Moment aus, als wollte er lächeln. Aber die Bitterkeit über sein Geschick und die Wunden seiner Seele, aus denen hier an dieser Stelle immer neues Blut quoll, verwischte das Lächeln und ließ seine Mundwinkel zucken in klaglosem, unerträglichem Weh.
Er ging an die Servante und blieb wie gebannt stehen: Das Bild war fort!
»Was suchen Sie denn?« fragte der Polizist.
»Ein Bild«, sagte Heinz Marquardt und war gleich darauf wütend auf sich selber, daß er diesem Menschen etwas preisgegeben hatte. Denn nachdem die Behörde seine Hilfe bei der Entdeckung des Mörders abgelehnt hatte, war er überzeugt, die Polizei würde, wie gewöhnlich, nichts finden. Und er hatte sich fest entschlossen, alle seine Wahrnehmungen für sich zu behalten und, was er herausfand, nur in seinem Interesse zu verwerten.
Der Polizist witterte jedoch etwas.
»Was ist denn das für ein Bild, was Sie suchen?«
»Na, 'ne kleine Photographie meiner ermordeten Frau! ...« Der Polizei rieb er dieses »ermordet« so oft er konnte unter die Nase.
»Und die stand da, auf dem Schrank?«
Heinz Marquardt zögerte. Sollte er sagen, er wüßte es nicht genau? ... Aber nein, die Polizei würde ja doch nichts ausrichten. Wahrheitsgemäß antwortete er:
»Soviel ich mich entsinne, ja!«
»Denn muß sie also der Mörder mitgenommen haben, nicht wahr, das ist doch ganz klar!«
Heinz Marquardt sah den Beamten eine ganze Weile an, ohne ein Wort zu sagen. Dann meinte er kühl:
»Wie Sie denken ... Aber ich will jetzt gehen ...«
»Einen Augenblick noch!« meinte der Polizist, »ich muß doch den Herren Kommissaren Bericht erstatten. »Also auf dem kleinen Spind im Wohnzimmer hat ein Bild von der Ermordeten gestanden ...« er schrieb eifrig in sein Notizbuch, »dieses Bild fehlt jetzt.«
Er steckte das Buch ein und sagte ernst, gewichtig und offenbar sehr befriedigt:
»Nu müßten wir bloß noch das Bild finden bei dem Kerl, dem Maaß, dann wäre alles all right ...«
Marquardt war schon draußen. Plötzlich fiel ihm ein, daß Maaß sicherlich jetzt keine sehr angenehmen Stunden verlebte im Untersuchungsgefängnis. Er wollte ihn jedenfalls nicht noch mehr reinlegen! ... Deswegen kehrte er nochmals um, klingelte wieder, und wie der Schutzmann öffnete, sagte er eindringlich:
»Hören Sie mal, ich glaube nicht, daß es Maaß war! Das sage ich Ihnen ausdrücklich, trotz der Photographie! ... Ich kann mich ja doch auch irren! ... Wie leicht kann sie jemand anders weggenommen haben! ...Die Wohnung stand ja fortwährend offen ...«
Aber der Beamte schüttelte überlegen den Kopf:
»I Gott bewahre! Wer wird sich an einer Photographie vergreifen? Die hat doch nur für den Angehörigen Wert! ... Lassen Se man gut sind, Herr Marquardt, das ist ja sehr nett von Ihnen, daß Sie keinen Unschuldigen belasten wollen. Aber die Behörde, die läßt sich so leicht nicht irre machen! ... Wenn die erst mal 'ne Spur hat, dann find't se so'n Kerl auch, dann kann er sich in 'n Rattenloch verkrauchen!«
Achselzuckend ging Marquardt fort.
Wie er über die dritte Etage hinabstieg, öffnete sich plötzlich eine Tür zu seiner Rechten.
Im Rahmen stand ein Mädchen, das eine Nachtjacke über einen roten Unterrock trug. Sein schwarzes Haar war unordentlich, als wäre es noch nicht lange aufgestanden, und an den kleinen hübschen Füßen, die in weißen, durchbrochenen Strümpfen staken, hatte es viel zu große ausgetretene Pantoffel.
Es hielt den Zeigefinger der linken Hand fest auf die vollen, ein wenig blassen Lippen gepreßt und winkte mit der Rechten dem jungen Mann, der stehen blieb und in seinem Gedächtnis suchte, wo er dieser Person schon einmal begegnet wäre.
Und plötzlich fiel es ihm ein: er sah das Zimmer wieder, in dem seine Trude auf dem blutbesudelten Bette lag, die schwelende Lampe sah er und sah diese Kleine, Dicke da hereinschlüpfen mit ihrem schwarzen Haarschopf, der ihr so tief in die Stirn hineinwuchs.
Was hatte sie doch zu ihm gesagt? ... Sie wüßte etwas ... oder? ...
»Kommen Sie doch rein!« sagte sie, sich ein wenig vorbiegend, ganz leise zu ihm, der noch immer, die Hand am Geländer, dastand.
Da trat er rasch in die Tür, die sie schnell hinter ihm ins Schloß drückte.
Inhaltsverzeichnis
Mit eigentümlichen Empfindungen folgte Heinz Marquardt dem Mädchen durch den dunklen Korridor und trat dann in das geräumige Vorderzimmer, das sie vor ihm öffnete. Hier waren die gelben Vorhänge noch zugezogen, und das Licht des Wintertages fiel schwach in den etwas dämmrigen Raum. Es war eines jener Zimmer, dessen Wände von schlechten Öldruckbildern, großen japanischen Fächern in schreiend bunten Farben und ein paar Makartbuketts bedeckt sind, deren billige Muschelmöbelgarnitur auf einem ordinären Teppich placiert ist und die fast immer dasselbe aufdringlich starke Parfüm haben. Neben dem großen noch ungemachten Bette befand sich ein Nachttischchen, auf dessen Platte eine Flasche Likör, gebrauchte Gläser, Keks und Zigaretten standen.
Heinz Marquardt streifte alles das kaum mit einem Blick. Die Gier, die ihn beseelte, verlangte nur nach Aufklärungen, nach Spuren des Verbrechers.
Die Augen des Mädchens glänzten, und ihre Wangen waren gerötet, als sie den jungen Mann bat, sich zu setzen.
»Was will sie bloß?« dachte Heinz Marquardt, »sie wird doch nicht etwa glauben, daß ich ihretwegen hierher gekommen bin?«
Und die Umgebung begann ihm peinlich zu werden. Er wünschte sich fort und wäre gewiß nicht so rücksichtsvoll gewesen, auch nur eine Minute zu bleiben, hätte er nicht gehofft, schließlich doch noch etwas Wissenswertes zu erfahren.
Sie mochte das dunkel ahnen, und wie er jetzt aufstand, nicht um fortzugehen, sondern nur, weil seine innere Unruhe ihn nicht sitzen bleiben ließ, da sagte sie, die Hände wie bittend erhebend:
»Ach nein! ... Bleiben Sie doch ... Ich habe Ihnen wirklich was zu sagen.«
»Ja, ja.« erwiderte er, nun auch ein bißchen vorlegen, »ich bleibe ja hier ... Was is es denn? ...«
Er sah sie forschend an, und sie merkte an seinem Blick den Schmerz und die Verzweifelung, die diesen Mann noch immer in ihren Krallen hielten.
»Es tut mir so leid,« sagte sie, und ihre sonst ein wenig harte Stimme bekam einen weichen, fast zärtlichen Ton, »ich habe Ihre Frau ja auch gekannt, Herr Nachbar ... Sie hat mir immer gegrüßt, wenn sie die Treppe runter kam ...«
»Ja, ja ...« Das war alles, was er sagen konnte. Das Weh kam wieder so über ihn, daß er sich nicht halten konnte und ein paarmal laut aufschluchzte.
Da trat diese arme kleine Dirne neben ihn und legte, ohne ein Wort zu sagen, den Arm um seine Schulter und hielt ihn so, bis er ruhiger wurde und mit erwachendem Eifer zu fragen begann, was sie wüßte.
Sie besann sich ein bißchen, und dann begann sie zögernd:
»Sie wissen doch, Herr Marquardt, wer ich bin ...« Ein verlegenes Lachen und dabei doch ein kokettes Wiegen in den Hüften. »Na ja! ... Das is nu mal so, daran läßt sich auch nix ändern. Ich hab's oft genug versucht, Arbeet zu kriegen, aber entweder sie wollen mich nich oder de Arbeet schmeckt mir nich ... Wenn man so lange nischt mehr getan hat, denn is es nämlich schwer ...«
Wieder dieses verlegene Lachen, dann ging Ernestine Augst an den Nachttisch, zündete sich eine Zigarette an und hielt ihrem Besuch die Schachtel ebenfalls hin. Der lehnte ab.
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