1 ...6 7 8 10 11 12 ...33 Und nun fand er auch seine Ruhe wieder, zog sich flink an und folgte den Beamten, die ihn in ihre Mitte nahmen, hinab zur Droschke.
Sie brachten ihn nach dem Alexanderplatz. Auf dem Präsidium, wo mittlerweile auch Kommissar Bendemann eingetroffen war, wurde er von diesem und Hartmuth sofort verhört.
Vorher hatte man ihn, als des Mordes verdächtig, in einer besonders festen Zelle untergebracht, die ein Aufseher fortwährend zu observieren hatte.
Und dem kleinen Bureaugehilfen war es eine Erleichterung, als ihm endlich mitgeteilt wurde, weswegen er sich hier befand.
Blaß, aber mit entschlossenem Gesichtsausdruck, trat er, von dem Aufseher geführt, in das Zimmer der beiden Kriminalbeamten.
»Na,« sagte Bendemann, »wollen Sie nun nicht lieber von vornherein ein offenes Geständnis ablegen, glauben Sie mir man, das Leugnen nutzt hier gar nichts, und Sie sind ja auch schon so gut wie überführt ...«
»Darf ich fragen, welchen Verbrechens?« fragte der Bureauschreiber mit großer Ruhe.
»Na, das scheint ja n' ganz Abgebrühter zu sein«, meinte Hartmuth. Aber der Kommissar Bendemann winkt ihm mit der Hand und sagte, dem kleinen Maaß fest in das pockennarbige Gesicht sehend:
»Sie stehen im Verdacht, die Frau Ihres Kollegen Marquardt ermordet zu haben.«
Alfred Maaß wäre beinahe umgefallen. Er schwankte und tastete mit den Händen nach einem Stuhl. Dann lehnte er sich an ein Regal und sagte tonlos:
»Ich? ...«
Mehr brachte er nicht heraus, der Tod der Frau, für die sein Herz heute noch so wie vor Jahresfrist schlug, hatte ihn fast niedergeworfen und sein Herz gelähmt.
Der Kommissar Bendemann nickte langsam mit dem Kopf.
»Ja, ja, darauf waren Sie wohl nicht vorbereitet, daß der Verdacht auf Sie fallen würde, aber uns täuscht man nicht, selbst wenn man einen Raubmord inszeniert, mein Lieber ... Aber nun hören Sie mir mal aufmerksam zu, was ich Ihnen jetzt sage: ich sehe das alles ganz deutlich vor mir: Gestern nachmittag haben Sie plötzlich Sehnsucht bekommen nach der armen Frau. Sie konnten es nicht mehr aushalten und gingen hin. Wer weiß, was Sie sich dabei gedacht haben. Ein Mensch, der verliebt ist, ist ja unzurechnungsfähig. Und ich glaube auch gar nicht, daß Sie von vorherein die Absicht gehabt haben, die Frau zu ermorden. Sie wollten sie wiedersehen, hofften vielleicht, sie würde ihrem Manne untreu werden, was weiß ich! ... Na, und da sind Sie hingegangen, die Frau hat Sie natürlich reingelassen, als Kollegen ihres Mannes. Sie haben angefangen, in sie zu dringen, die Frau Marquardt hat Sie in Ihre Schranken gewiesen, dann sind Sie immer heftiger geworden in Ihren Bitten und Beschwörungen, schließlich hat Ihnen die arme Person die Tür gezeigt, und da haben Sie in Ihrer Rage die unselige Tat begangen ... Nicht wahr, es ist so?«
Alfred Maaß schüttelte nur den Kopf.
»Die arme Trude! ... Die arme Trude!«
»Also Sie gestehen es ein, daß Sie der Täter sind?«
»Was, ich?« In die matten Augen des kleinen Bureaugehilfen trat plötzlich ein stechender Glanz, er reckte den Kopf vor und hob sich ganz hoch auf den Zehenspitzen:
»Sie sind wohl verrückt, was? Sie haben wohl 'n Vogel?!«
»Na, hör' mal, Bürschchen,« unterbrach ihn Hartmuth, dicht an Maaß herantretend, »erlaube dir hier gar keine Frechheiten, du! Sonst gibt's Backpfeifen wie Lehmpatzen!«
»Von Ihnen, von Ihnen?« Maaß schrie jetzt ganz laut. »Das sollen Sie sich bloß einfallen lassen! Sie! ... Mich hier aus dem Bette zu holen und mich zu beschuldigen, ich soll 'n Mord begangen haben, solche Verrücktheit! Ich wer' Sie verklagen, Sie, versteh'n Se!«
Der Kommissar Bendemann hielt den Kollegen, der schon seine Drohung zur Tat machen wollte, zurück, gab dem Aufseher ein Zeichen und sagte:
»Führen Sie den Gefangenen ab! ... Er wird gefesselt.«
Wenige Minuten später saß Alfred Maaß in einer besonders festen und zur fortwährenden Beobachtung eingerichteten Zelle, mit einer Kette gefesselt, die von seiner rechten Hand bis zum Fuß hinabreichte.
Er saß eine ganze Zeitlang auf dem dreibeinigen Holzschemel vor dem weißgescheuerten Tisch und starrte in halber Bewußtlosigkeit vor sich hin ... War das möglich, ein Mensch, der gar nichts getan hat, wird plötzlich in seiner Wohnung aus dem Bett geholt, auf die Polizei geschleppt und gefesselt ins Gefängnis geworfen?!
Mit einem Male fuhr er empor. Sich mit der freien Rechten an den Kopf schlagend, rief er ganz laut:
»Das war Marquardt! ... Der Lump, der Spitzbube, der Gauner! Also darum hat er mich gestern so angesehen ... Aber warum bloß, warum? Ich hab' ihm doch nichts getan?! ... Er mir doch, er hat sie mir doch bloß zu verdanken, die Trude! ...«
Und plötzlich fiel ihm der Mord ein.
»... Ach, sie ist ja tot!« Er sagt es leise im Tone einer tiefen und aufrichtigen Trauer. Und das Bild der Ermordeten stieg vor ihm auf und mitten in seinem eigenen, großen Unglück dachte er nur noch an sie, die gestorben war, ohne daß er noch einmal in ihr geliebtes Gesicht hatte sehen dürfen, ohne noch einen Blick oder einen Händedruck von ihr zu empfangen.
Und dann stieg es gallebitter in seiner Seele auf. »Warum hat sie mich nicht genommen? Bei mir wäre ihr das nicht passiert. Bei mir wohnte sie mit meiner Mutter zusammen, und die hätte sie behütet wie ihr eigenes Kind.« – Denn er hatte sich längst vorgenommen, wenn er einmal heirate, wollte er seine alte Mutter zu sich nehmen, die irgendwo in der Provinz von einer kleinen Witwenpension lebte.
Aber dieser Marquardt hatte ihn schön hineingelegt ... Natürlich würde er sein Alibi nachweisen, und damit würde diese ganze lächerliche Beschuldigung in nichts zerfallen! ... Aber warum hatte ihn Marquardt beschuldigt? War dieser erbärmliche Mensch es etwa selber gewesen?
Er sann und sann. Doch all sein Nachdenken führte ihn immer wieder nur an die Bahre der armen Frau zurück, die er so sehr geliebt hatte.
Im Betriebsbureau waren die Herren heute ausnahmsweise früh und vollzählig versammelt. Die große Sensation des Tages, die erst gestern abend, kurz vor Schluß der Bureaustunden, bekanntgeworden war, lockte sie, wie der Speckbrocken die Mäuse.
Maaß war verhaftet!
Er hatte Marquardts Frau ermordet!
Warum? ... Aber, das wissen sie nicht? Die schöne Trude hat doch schon Gott weiß wie lange ein Verhältnis mit dem Rotkopf! ... Wie, was? ... Es ist nicht wahr? Mein Gott, Sie haben's ja stets mit dem kleinen sommersprossigen Ekel gehalten! ... Verbitten! ... verbitten können Sie sich, was Sie wollen! 'n anständiger Mensch verteidigt keinen Mörder!«
Ein paar von den jüngeren Beamten hätten sich beinahe geprügelt. Und die Aufregung, die sich des ganzen Bureaus bemächtigt hatte, war so groß, daß man Marquardts Kommen beinahe übersehen hätte. Der alte Bureaudiener bemerkte ihn zuerst und machte die Herren aufmerksam.
Nun sprangen alle von den Kontorböcken, jeder wollte der erste sein, der dem Kollegen kondolierte. Und alle wunderten sich, daß der sehr blasse junge Mann so teilnahmslos, so stumm, so gar nicht »traurig« aussah.
Er wartete gar nicht, bis er die Beileidsbezeigungen aller entgegengenommen hatte, sondern fragte mittenhinein, ob der Direktor schon in seinem Bureau sei.
Und als er hörte, dieser sei soeben gekommen, machte er sich fast brutal los und ging hinein zu ihm.
Sobald die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, tadelten ihn einzelne der Kollegen, und eine leise, aber eifrige Unterhaltung beschäftigte sich nur mit Marquardt, der nach kurzer Zeit wieder an der Seite des Direktors heraustrat und sich mit stummem Gruß rasch entfernte ...
An diesem Tage war die Luft nebelig und der Himmel hing voller Schneewolken. Als Heinz Marquardt aus dem Bureau auf den sehr langgestreckten Fuhrhof trat, sah er eine ganze Weile dem Treiben der Lastfuhrwerke zu, die hochbeladen und von den oft athletischen Rollkutschern geführt, ihre Kisten und Ballen an den überdachten Rampen der Riesenspeicher abluden, um dann leer im strammen Trabe vom Hof zu rasseln. Oben auf der Fracht hockte, wie ein Äffchen, der »Rollmops«, und manchmal lief auf dem leeren Wagen ein Spitz hin und her. Dazwischen rannten die Ablader umher, man hörte das Rufen der Bodenmeister, und draußen vor dem den Hof abschließenden Eisengitter, dessen Tore jetzt weit offen standen, lungerten die in Berlin stets reichlich vorhandenen Neugierigen. –
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