Was nützt mir die barrierefreie Wohnung, wenn meine Altersbeschwerden gar nichts mit meinem Bewegungsapparat zu tun haben? Wären Sie halt. Hätten Sie halt. Warum haben Sie nicht längst? Das kommt davon, weil die Eltern nicht rechtzeitig … Was ist die rechte Zeit wofür? D., meine Freundin seit Langem, einst sportlich und taff, hat ein heimtückisches neurologisches Leiden aufgerissen, das ihr die Kontrolle über ihre Muskeln entzieht. Sie braucht Hilfe beim Gehen, Stehen, Essen, Waschen, Anziehen. Seit einiger Zeit benützt sie einen Rollstuhl.
Vor vielen Jahren ist sie in den Süden gezogen. Dort will sie bleiben, in ihrem Haus, am Meer, unter der Glyzinienlaube und den Feigenbäumen. Ihr Mann ist gestorben, ihre Kinder wohnen und arbeiten in Österreich. Warum übersiedelt sie nicht hierher zurück?
Darum: Weil sie an ihrem Heim hängt. Weil sie an dem Land hängt, das ihr Heimat geworden ist. Weil sie an ihrer Autonomie hängt, auch wenn die nur noch mit äußerster Anstrengung und unter Aufzehrung aller finanziellen Reserven mehr schlecht als recht aufrechterhalten wird.
Ihre Betreuungspersonen wechseln. Die letzte Putzfrau hat sie hemmungslos bestohlen. Die Nachbarn, die immer eine Ersatzfamilie waren, haben gravierende eigene Sorgen. Und dennoch. Was wäre die Alternative? Ein Bett in einem Pflegeheim, mit Blick auf graue Häuserwände?
Cousine S. ist über achtzig, blitzgescheit nach wie vor, wach, interessiert, aber körperlich zunehmend schwach. In immer kürzeren Abständen liegt sie darnieder. „Bringt mich nur nicht ins Spital“, sagt sie dann, „lasst mich liegen, ich werd schon wieder, und wenn nicht, ist es auch egal.“ Es ist uns aber nicht egal, wir können sie nicht einfach liegen lassen, wie stellt sie sich das vor? Wir sind besorgt und aufgebracht, warum weigert sie sich so beharrlich, mobile Dienste in Anspruch zu nehmen, Essen auf Rädern und Heimhilfen, das gibt’s doch alles?
Zu teuer, behauptet S., das kann ich mir nicht leisten. Ihre Rente ist klein, aber nicht klein genug, um sie zum Sozialfall zu machen. Außerdem schmeckt ihr das Essen auf Rädern nicht, fader Einheitsfraß. Und vor fremden Leuten, die sich in ihren Haushalt mischen, graut ihr. Ihr habt doch keine Ahnung, sagt sie.
Richtig. Wir haben keine Ahnung. Noch nicht. Wir meinen es gut, auch mit uns. Wir wollen uns keine Sorgen machen müssen. Ist eh alles bestens geregelt. Wie man sich bettet, so liegt man. Daran wollen wir glauben. Warum sind die Alten nur so stur? So uneinsichtig?
Die Frage ist: Was sollen sie einsehen? Was werden wir einsehen wollen? Dass wir den Jüngeren gefälligst keine Schwierigkeiten machen sollen, indem wir uns in ein reduziertes Dasein fügen, gefüttert, gewaschen, mit Pillen versorgt, ohne Erinnerung an Ansprüche, die wir früher ganz selbstverständlich an unser Leben gestellt haben?
Wir werden dem Schicksal keine jungen Körper abtrotzen können, das ist schon klar, und insofern ist Fügsamkeit zwangsläufig angesagt. Aber eben nur im jeweils unumgänglichen Ausmaß. Und wir müssen dabei nicht unentwegt lächeln, und wir dürfen ein Stück Unvernunft in unsere alten Tage retten. Sie werden doch mit achtzig keine Plateausohlen tragen wollen? Doch. Wollen schon. Und überhaupt: Wer weiß.
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