Schon 1840 war es zu einer gefährlichen Spannung zwischen der liberalen Monarchie und den deutschen Ländern gekommen. Damals wurde die Wacht am Rhein von Schneckenburger gedichtet, die allerdings erst im Kriege 1870–71 dank ihrer Vertonung durch K. Wilhelm größte Popularität erlangte und auch im Ersten Weltkrieg neben dem Lied „Ich hatt’ einen Kameraden“ die beliebteste Kampfmelodie wurde. Mit der napoleonischen Herrschaft war das deutsche Nationalgefühl zusätzlich aufgerüttelt worden. 27)Gerade die Krise von 1840, die auch in Frankreich die nationale Begeisterung anfachte, zeigte deutlich, daß die Kriege von nun an wirkliche Volkskriege zu werden drohten. In den Revolutionen des Jahres 1848, sowohl in Frankreich als auch in Österreich, Ungarn und Italien war es offenbar geworden, daß der Aufbruch, der damals stattfand, zugleich politisch, national und nicht zuletzt auch „sozial“ war. Es regten sich alle kollektiven Kräfte. Diese Revolutionen und Rebellionen waren alle linksdrallig und nährten sich offensichtlich von den Ideen der Französischen Revolution.
Was ist aber im Gegensatz zu ‚rechts’ nun wirklich ‚links’? Hier müssen wir zuerst einmal ein wenig Etymologie betreiben. Erinnern wir uns daran, daß in fast allen Sprachen der Begriff ‚links’ eine pejorative und ‚rechts’ eine positive Bedeutung hat. Im Deutschen ist ‚rechts’ mit dem Recht, rechtlich, gerecht, richtig und redlich verwandt, während linkisch so viel wie ungeschickt bedeutet. Ähnlich ist es im Englischen und in den romanischen Sprachen. Im Italienischen ist sogar il sinistro (der Unglücksfall) dem Wort sinistro (links) entnommen. (Das französische gauche kommt vielleicht aus dem deutschen ‚wanken’.) In den slawischen Sprachen ist prav nicht nur die Wurzel von ‚rechts’ und dem Recht, sondern auch von ‚Wahrheit’, im Ungarischen ist jobb ‚besser’ sowohl auch als ‚rechts’, balsors hingegen ist das ‚linke Schicksal’, also das Unglück. Im Japanischen ist hidarimae , das ‚vor dem Linken Seiende’, das Ungemach, und im Sanskrit haben ‚rechts’ und ‚links’ jeweilig einen positiven und negativen Sinn. 28)Auch die Bibel spricht dieselbe Sprache. So sagt uns Ecclesiastes 10,2 gegen alle Anatomie, daß das Herz des Weisen auf der rechten, das des Narren aber auf der linken Seite schlägt. Beim Jüngsten Gericht sind die Geretteten auf der rechten, die Verdammten aber auf der linken Seite des Herrn. Es ist also völlig legitim, diese beiden Begriffe wertend zu verwenden, und zwar links für den animalisch-kollektivistischen, rechts für den human-personalistischen Aspekt der menschlichen Psyche. Im parlamentarischen Leben gab es jedoch andere Regeln: So saßen die Vertreter der Regierung oft rechts und jene der Opposition links, oder auch waren die ‚Konservativen’ rechts und die ‚Progressisten’ links. Es war sicherlich ein verhängnisvoller Fehler in den Tagen der Weimarer Republik, die Nationalsozialisten auf die äußerste Rechte des Reichstags zu setzen. Als Nationalisten und Sozialisten gehörten sie auf die extreme Linke! 29)
Was ist aber nun praktisch und politisch links? Die linke Vision, die linke Utopie ist eine monolithisch-kollektivistische – das Reich mit einer Partei, einem Führer, einer Ideologie, einer zentralistischen Regierung, einer Sprache, einer Rasse, einer Klasse, einer Einkommensstufe, einem Schultyp, einer Flagge, einer religiösen oder atheistischen Konfession (die auch Staatsreligion ist), einer Behandlung für beide Geschlechter, einem Gesetz für alle und eben nicht Ulpians Prinzip des suum cuique: „Jedermann das Seine.“ Die rechte und daher auch richtige Stellungnahme ist jener der linken entgegengesetzt: sie steht für die Vielfalt und die Person und nicht für die Einfalt und Kollektivität. Sie erinnert an die Botschaft des Heiligen Stefan, König von Ungarn, an seinen Erben, den Heiligen Emmerich: „Mein Sohn, ein Land von nur einer Sprache und einer Sitte ist ein schwaches und dummes Ding.“ 30)Für den Menschen von heute, der in seiner Mehrheit linksdrallig ist, muß diese Feststellung völlig unverständlich sein. Er steht unbedingt (auch in liberalen Demokratien) für die Uniformität, die Gleichschaltung aller ursprünglichen Verschiedenheiten, und zwar schon deswegen, weil er in ihr nicht nur eine Garantie der Stärke, sondern auch eine Forderung der Gerechtigkeit sieht. (Auch ist die Uniformität der Bürger für die Verwaltung geldsparend!) Nun wird man vielleicht einwenden, daß zumindestens die Gleichheit vor dem Gesetz gerecht sei, aber auch das ist eine fausse idée claire , eine klare, aber falsche Idee. Denn der Volljährige und der Minderjährige, der Gebildete und der Ungebildete, der Betrunkene und der seiner Sinne Mächtige, der Hungernde, der seine Familie nicht ernähren kann, 31)und der Playboy, der stiehlt, um Spielschulden zu begleichen, können natürlich nicht mit den gleichen Maßstäben gemessen werden…, ebensowenig wie der Totschläger und der raffiniert planende Mörder.
Es ist also natürlich, daß der Linke ein Nationalist oder ein Rassist, der Rechte aber ein Patriot ist. Der Linke ist ein Materialist und Determinist, der im Menschen ein immanentes Wesen sieht, für den Mann der Rechten ist der Mensch transzendent, sein eigener Schwerpunkt ist anderswo. Für ihn ist die Beziehung „hinauf“ zu Gott etwas Primäres, Staat und Gesellschaft gehört er keineswegs unmittelbar an; die Familie – Ahnen, Frau, Eltern, die Verwandten seiner Frau, Geschwister, Kinder und Enkel – hat den Vortritt. Für den Linken ist das ganze Dasein voller Zwänge, sodaß der Raum des freien Willens kaum vorhanden ist – weder ideell, noch faktisch. Wie wir später sehen werden, ist der Mann der Rechten ein Liberaler , denn die Persönlichkeit braucht Freiheit für ihr Wachstum und ihre Vollendung. 32)Der Mann der Rechten neigt dazu, in der Einzahl zu sprechen – ich, du, er und sie zu sagen. Der Mann der Linken ist ein Mann der Plurale, aber beileibe kein Pluralist: seine Rede – zumindestens im Politischen – ist stets in Pluralen. Wir, ihr und sie sind seine Schlüsselworte. Wir – die Proletarier, die Deutschen, die Arier, die Aufgeklärten, die Frauen, die Anhänger der Regierungspartei oder ihr , die Bourgeois, die Romanen, die Unterdrücker, die Männer der Oppositionspartei. 33)Da allerdings darf man nicht vergessen, daß das moderne politische Leben ohne diese Plurale kaum denkbar ist, zumindestens aber nicht das parlamentarische Parteienleben, dessen Essenz die Auseinandersetzung nicht so sehr zwischen den Parteiführern wie zwischen den Wählermassen ist, die wiederum völkisch, klassenmässig, religiös, sozial umrissen sein können. Geleitet von Einzelpersönlichkeiten besteht das Parlamentgetriebe aus Gruppenkämpfen, die dann besonders fanatisch geführt werden, wenn weltliche Religionen, also Weltanschauungen und Ideologien, das treibende Element sind. Deren Existenz ist allerdings unausweichlich. Das Übel besteht eben darin, daß sie – ein so explosives Material! – politisch gegeneinander ausgespielt werden.
Der Zenit des Übels wird erreicht, wenn dann fanatische Mehrheiten sich der Regierung bemächtigen. Dazu haben sie im parlamentarischen Rahmen eine prachtvolle Gelegenheit, nicht aber noch in der konstitutionellen im Unterschied zur parlamentarischen Monarchie oder zur demokratischen Republik. „Teddy“ Roosevelt kam nach seiner Amtszeit auf einer Weltreise nach Wien und besuchte Kaiser Franz Joseph. Damals konnte Roosevelt noch nicht die bodenlose Dummheit und Niedertracht unseres so herrlichen Jahrhunderts voraussehen und stellte Franz Joseph die Frage: „Was, Majestät, glauben Sie, ist in diesem so fortschrittlichen Zeitalter noch die Rolle eines Monarchen?“ „Mr. Roosevelt,“ war die Antwort, „ich halte es für meine Aufgabe, meine Völker vor ihren Regierungen zu schützen.“ Heute sind aber nichteinmal mehr die Kinder im Mutterleib vor ihrer Legislative mit ihren verehrten Politikern sicher.
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