Dies kann sehr leicht im Rahmen einer Therapie geschehen. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Ein Patient leidet an einer Depression und beginnt, folgende Regel zu tracken: »Wenn ich mir sinnvolle Aktivitäten vornehme und sie auch dann durchführe, wenn ich eigentlich gar keine Lust habe, wird mein Leben zufriedenstellender werden.« Der Therapeut unterstützt diesen Ansatz auf eine ungeschickte Weise oder zu einem unpassenden Zeitpunkt. Dies ermuntert den Patienten dazu, der Regel zu folgen, um dem Therapeuten zu gefallen. Seine Lebenszufriedenheit bleibt aber unverändert. So kommt es zu einer Verzögerung der Entwicklung einer gesunden Eigenverantwortung. Später in diesem Buch zeigen wir, wie Therapeutinnen soziale Unterstützung ohne dieses Risiko geben können.
Pliance kann aber auch zu Tracking werden. Stellen Sie sich folgendes Beispiel vor: Sie kommen das erste Mal in eine Stadt. Sie besuchen eine Freundin, die bereits eigene Erfahrungen mit den dortigen Restaurants hat. Bei Ihrer Ankunft schlägt sie vor: »Lass uns in dieses Restaurant gehen. Ich glaube, es wird dir gefallen!« Sie denken, es ist höflich, dem Vorschlag einer aufmerksamen Gastgeberin zu folgen, und gehen mit. In diesem Fall ist das Befolgen der Regel der Freundin Pliance, nicht Tracking. Stellen Sie sich weiter vor: Sie genießen das Essen und denken »Mir gefällt dieses Restaurant wirklich. Sie weiß tatsächlich genau, was ich mag«. Bei Ihrem nächsten Besuch in der Stadt werden Sie dem Vorschlag Ihrer Freundin folgen, weil Sie gutes Essen mögen, und nicht nur, weil es sich so gehört.
Die Veränderung vom Sich-Anpassen, Einen-guten-Eindruck-machen, Recht-haben-wollen hin zu Tun-was-funktioniert ist bedeutsam. Die Verlagerung von Pliance zu Tracking ist der Schlüssel dafür, die durch regelgeleitetes Verhalten ausgelöste fehlende Sensitivität gegenüber der Umwelt zu verringern. Bei Pliance ist ein Mangel an Sensitivität gegenüber der Umwelt wahrscheinlicher. Es geht hier um soziale Unterstützung für Regelkonformität – unabhängig von den natürlichen Konsequenzen eines Verhaltens.
Stellen Sie sich folgendes Beispiel vor: Ein Patient denkt: »Ich muss verbergen, dass ich angespannt bin, damit man mir mit Respekt begegnet.« Bei einem öffentlichen Vortrag wird ihm eine Frage gestellt. Er reagiert mit Rechtfertigungen oder sogar aggressiv, um dadurch seine Anspannung zu überspielen. Diese Strategie bringt ihm vermutlich nicht viel Respekt vom Publikum ein. Nehmen wir an: Das Verhalten beruht auf Pliance. Der Patient hat die soziale Regel erlernt, belastende Gefühle nicht nach außen zu tragen. Unter diesen Umständen wird das Verhalten nicht sensitiv auf den Zusammenhang zwischen erwarteter und tatsächlicher Konsequenz sein. Die Person wird nicht überprüfen, ob das Verhalten wirklich funktioniert.
Mangelnde Sensitivität, die auf Pliance basiert, kommt viel häufiger vor, wenn die Regel keine Konsequenz benennt. Tracking hingegen basiert auf spezifischen Konsequenzen, nicht nur auf der Befolgung von Regeln. Hierzu gibt es aber Ausnahmen. Tracking beinhaltet manchmal implizite Konsequenzen. Hierzu folgendes Beispiel: Ein Kellner sieht Sie etwas verloren in der Nähe der Küchentür umherirren und sagt: »Am Ende des Ganges links«. Das bedeutet dann, dass Sie die Toilette dort finden. Im Allgemeinen fördert ein Mangel an definierten Konsequenzen jedoch Pliance. Hierzu folgendes Beispiel: Eine Mutter sagt zu ihrem weinenden Kind, »Beruhig dich doch!«. Sie legt dabei nicht fest, was das Sich-Beruhigen für das Kind in der Konsequenz bedeutet. Dann ist ausschließlich die Bitte der Mutter der Schlüssel für die Entscheidung des Kindes, wie es sich weiter verhalten soll. Möglicherweise versucht das Kind dann, seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen, um seiner Mutter einen Gefallen zu tun, oder um Kritik zu vermeiden. Das geschieht auch dann, wenn das Weinen selbst keine problematischen Konsequenzen mit sich bringt. 8
Tracking kann ebenfalls mangelnde Sensitivität gegenüber der Umwelt erzeugen, aber das geschieht auf eine andere Art und Weise. So kann eine Regel kurzfristig zutreffend sein, aber nicht langfristig gelten. Dies geschieht beispielsweise, wenn ein Patient eine angsterregende Situation meidet, um sich dadurch besser zu fühlen. »Sich-Besser-Fühlen« tritt oft auch dann ein, wenn die Vermeidung das Problem letztendlich größer macht. Kurzfristige Konsequenzen haben einen größeren Einfluss als langfristige Konsequenzen. Deshalb reicht dieser kleine Erfolg aus, um die Regel zu bestätigen und die Vermeidungsstrategie aufrechtzuerhalten.
Es gibt noch einen weiteren Mechanismus. Tracking kann zu mangelnder Sensitivität gegenüber der Umwelt führen, wenn es zu spezifischen Konsequenzen führt, die Konsequenzen aber mit einer geringeren Häufigkeit eintreten als bei anderen Strategien. Betrachten Sie folgendes Beispiel: Jemand geht davon aus, dass es der beste Weg zu einer intimen Beziehung ist, schnell sehr persönliche und auch schwierige Informationen offenzulegen. Im Durchschnitt ist das eine ungünstige Strategie. Einige Menschen jedoch reagieren darauf, indem sie aufmerksamer und fürsorglicher sind. Das führt dann dazu, dass die Person die Regel weiter anwendet.
2.4 Schwierigkeiten, die durch Sinnstiftung und Kohärenz entstehen
Symbolische Beziehungen müssen sich sinnvoll in kohärente Netzwerke einfügen. Nur dann ist Sprache hilfreich. Kohärente Netzwerke sind ein Geflecht von Superautobahnen, durch das man genau, zuverlässig und schnell Bedeutung in einem riesigen System symbolischer Verbindungen erkennen kann. Doppeldeutigkeiten oder Unstimmigkeiten in einem relationalen Netzwerk entsprechen gesperrten Straßen. Sie zwingen dazu, die Geschwindigkeit zu reduzieren, die Situation zu durchleuchten und neue Wege zu erschließen. So reduzieren Menschen Komplexität und lösen komplexe Probleme schnell durch Sprache.
Denken Sie an folgende Frage: Wie kann man bei einer Multiple-Choice Prüfung hohe Punktzahlen erreichen, auch wenn man mit dem Thema nicht besonders gut vertraut ist? Jemand, der sich mit dieser Art von Prüfung auskennt, erkennt stimmige und nicht stimmige Beziehungen innerhalb des Textes. So kann er unplausible Antworten aussortieren. Die verbleibenden Inhalte liefern häufig hilfreiche Informationen. Ist die Antwort für Frage 10 entweder »a« oder »b«, und nimmt er an, dass »b« die richtige Antwort ist, dann kann evtl. »c« die richtige Antwort zu Frage 30 sein; wenn »a« bei Nr. 10 richtig ist, dann kann »c« bei Nr. 30 nicht richtig sein. Der Prüfungsteilnehmer wird den Test immer wieder durchgehen, bis seine Antworten eine in sich stimmige Struktur haben. In 9 von 10 Fällen verbessert ein derartiges Vorgehen die Ergebnisse von Testteilnehmern. Und zwar auch dann, wenn sie eigentlich wenig über den Prüfungsgegenstand wissen. Entscheidend ist, Kohärenz und Inkohärenz zu erkennen.
Das Erkennen von Kohärenz und Inkohärenz ist eine eindrucksvolle Fertigkeit – sie verringert die Anzahl der Konzepte, die Menschen im Kopf behalten müssen, und hilft dabei, schnell zu reagieren, auch wenn das verfügbare Wissen begrenzt ist. Menschen wenden ihre zentralen Netzwerke bei doppeldeutigen oder komplexen Situationen an. Dies macht es möglich, Situationen Bedeutung zu geben und sie vorhersehbar zu machen (siehe Quinones & Hayes, 2014 für eine Demonstration dieses Prozesses unter Anwendung der Relational Frame Theory). Menschen neigen dazu, weiter so zu denken, wie sie es gewohnt sind; Ereignisse so zu interpretieren, wie sie es vorher schon getan haben. Das ist ähnlich wie bei jedem anderen Verhalten. Das Besondere bei relationalem Verhalten ist die Breite der Auswirkungen. Eine zentrale Überzeugung wie »Man sollte Menschen nicht vertrauen« kann auf fast jede interpersonelle Situation und auf die eigene Person angewandt werden. Genau deshalb verhalten sich kognitive Schemata so heimtückisch. Wenn Kohärenz per se der einzige Wegweiser für Verhalten ist, bleibt man gefangen in seinen zentralen Ideen, Überzeugungen und Konzepten (d. h. den zentralen relationalen Netzwerken).
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