1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 „Ich, ähm ... lass euch zwei mal einen Moment alleine“, stammelte Weldran verlegen. „Solltet ihr mich brauchen, findet ihr mich in des Königs Gemächern. Seine Nesselwickel müssen erneuert werden.“ Mit diesen Worten nickte der Graue dem Paar zu und verschwand raschen Schrittes.
Ranon entrang sich ein Seufzen. „Raja“, sagte er liebevoll, „bitte, versteh doch, ich sorge mich um dich. Bei deiner letzten Reise in die Genusischen Sümpfe bin ich vor Kummer fast vergangen. Ich weiß nicht, wie ich das noch einmal überstehen soll.“
„Ranon, du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen. Hast nicht du selbst mich zur besten Axtkämpferin Felsstadts ausgebildet?“
„Schon, aber deine Waffe wird dich nicht retten angesichts der Übermacht, die im Feliador-Gebirge auf dich wartet.“
„Ich bin ja nicht allein“, protestierte die kleine Frau. „Saruna, Gweldon, Zemeas und Azarol begleiten mich. Und wenn du gesehen hättest, was für Mächte Azarol innewohnen, hättest du keinerlei Bedenken mehr.“
„Das mag ja alles sein, aber dennoch wisst ihr nicht, was euch da im Gebirge erwartet.“
„Dann werden wir es eben herausfinden ... Ranon, bitte, versteh doch. Wir müssen Xagon und seine Männer retten. Laut Nalaj sind wir ihre einzige Chance. Stell dir vor, ich wäre an ihrer Stelle entführt worden, wärst du nicht auch dankbar für jede Hilfe?“
„Das ist etwas ganz anderes!“, brauste der Bärtige auf.
„Ist es das?“, fragte Raja sanft. „Denkst du nicht, dass Xagons Frau oder die Familien der anderen Entführten ebenso leiden, wie du es tun würdest? Glaub mir, ihre Herzen sind ebenso voll Trauer und Sehnsucht, wie es das deine an ihrer Stelle wäre.“
Kochend vor Wut, doch einsichtig strich sich Ranon mit der Hand über die Stirn. „Also gut“, gab er sich geschlagen, „du hast meinen Segen. Geh und rette Xagon und seine Männer! Aber Taluas wird dich begleiten.“
„Taluas?“
„Ja, Taluas. Er ist nicht nur einer unserer besten Männer, sondern auch ein weiser und aufrichtiger Zwerg. Er gehört seit vielen Jahren der Königswache an und wird dich mit seinem Leben beschützen.“
„Versteh mich nicht falsch, ich habe kein Problem damit, wenn Taluas uns begleitet, aber brauchst du ihn nicht hier?“
„Natürlich wird er uns hier in Felsstadt fehlen, doch ist es mir wichtiger, dich und deine Freunde in fähigen Händen zu wissen.“
Raja hob theatralisch eine Augenbraue und legte die Stirn in Falten.
„Tu mir einfach den Gefallen“, raunte Ranon eindringlich und entlockte Raja ein Schmunzeln.
„Na gut, wenn es dir denn so wichtig ist, dann soll Taluas uns eben begleiten.“
„Gut.“ Ranon klang erleichtert, doch auf seinem Gesicht lag noch immer ein steinerner Ausdruck.
*
Der Morgen brach ungewöhnlich kühl für einen späten Frühlingstag an. Kringelnde Nebelschwaden umwaberten das Dorf der Waldelfen und wichen nur zaghaft den Strahlen der aufgehenden Sonne. Langsam erwachte das Leben in den Wipfeln der jahrhundertealten Bäume.
Auch Saruna und Gweldon waren bereits auf den Beinen. Bereit für einen Tagesausflug ins Andusgehölz hievten sich die beiden je einen Rucksack auf die Schultern und schlichen aus dem Haus, das wie alle anderen in den Stamm eines Baumgiganten gezimmert worden war.
Vor der runden, mit geschmackvollen Schnitzereien verzierten Haustür erwartete sie Loweon, Gweldons bester Freund und einer der wenigen ausgebildeten Krieger des Dorfs. Allerdings fiel die Ausbildung zum Krieger bei den Waldelfen recht einfach, ja, nahezu dürftig aus. Ganz im Gegensatz zu den Lektionen der Zwerge in Felsstadt. Die Mitglieder der Königswache wurden seit jeher als Meister der Waffenkunst, kühne Kämpfer und ausgezeichnete Strategen gerühmt. Und dies zu Recht! Dafür dauerte ihre Ausbildung mit mehr als sechs Jahren auch länger als die sämtlicher anderer Völker.
Die Haltung schlaff, das von schwarzen Locken umrahmte Gesicht blass und um die Augen dunkle Ringe nickte ihnen der hochgewachsene Loweon müde zu. „Ihr seid so weit?“, versicherte er sich.
„Ja, wir können los“, antwortete Saruna mit ihrer glockenhellen Stimme.
„Gut, dann kommt.“
Über die geschwungene Südtreppe verließen sie ihr Dorf. Der mit Moos und Farn bewachsene Waldboden war feucht, der Nebel kalt. Bald schon waren ihre Lederschuhe durchnässt und ihre Kleidung klamm. Doch die drei ließen sich ihr Unbehagen nicht anmerken. Stumm und aufmerksam ihre Umgebung beobachtend wanderten sie in Richtung Süden. Erst als die Sonne so hoch stand, dass sie sämtliche Nebelschwaden verdrängt hatte, besserte sich ihre Laune und die Anspannung wich.
Gweldon ergriff als Erster das Wort. „Und?“, erkundigte er sich bei seinem Freund. „Warst du wieder die ganze Nacht wach?“
„Ja, so ziemlich“, antwortete dieser und band sich das schulterlange Haar im Nacken zusammen. „Ich war bis nach Mitternacht eingeteilt, dann sollte mich eigentlich Pergam ablösen, aber der hat verschlafen. Als er dann endlich kam, blieb mir kaum mehr als eine Stunde Schlaf.“
„Und dann musstest du aufstehen, um mit uns auf Kräutersuche zu gehen“, schlussfolgerte Saruna.
„So ist es.“
„Aber warum hast du nichts gesagt?“, schimpfte Gweldon, der Alchemist. „Du hättest zu Hause bleiben und ausschlafen können. Dann wären Saruna und ich eben mit einer anderen Wache losgezogen.“
„Kommt ja gar nicht infrage, dass jemand anders den ganzen Spaß mit euch hat. Nein, nein, ich war schon in Walgerad nicht mit dabei, noch so ein Abenteuer lasse ich mir nicht entgehen.“
„Du weißt aber schon, dass unser Kräutersuchabenteuer hier recht unspektakulär wird? Die schlimmste Kriegsverletzung, die du dir zuziehen könntest, wäre eine Schnittwunde vom Wurzelausgraben“, lachte Saruna und auch Gweldon schmunzelte belustigt.
„Ja, ja, lacht ihr nur, aber bei euch kann man ja nie wissen. Wie beim letzten Mal, als ihr sagtet, Saruna würde sich nicht gut fühlen. Ich nahm eigentlich an, ihr wärt zu Hause und unsere Dame hier würde das Bett hüten, aber falsch gedacht. Als ich am nächsten Tag nach euch sehen wollte, erzählte mir Fuldaf, dass ihr auf einer ungeheuer wichtigen und abenteuerlichen Reise wärt.“
„Auf die wir dich nur zu gerne mitgenommen hätten“, sagte Gweldon ernsthaft. „Aber uns blieb keine Zeit, also zogen wir alleine los.“
„Eben, und aus genau diesem Grund begleite ich euch. Ich will ja nicht, dass ihr noch einmal ohne mich losziehen müsst, nur weil euch keine Zeit bleibt, auf mich zu warten.“
„Wirst du uns das eigentlich noch ewig vorhalten?“
Loweon überlegte einen Moment. „Ja, doch, ich denke schon.“
Nun lachten die Geschwister herzhaft und auch ihr Freund konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Also“, sagte er dann gespielt streng, „wo müssen wir als Erstes hin? Und was braucht ihr alles?“
„Ich würde sagen, wir fangen mit der Schillerlichtung an“, schlug Gweldon vor. „Wir brauchen Feuerwurzeln, Erdnelken, Tropfblüten und nicht zu vergessen Andusharz.“
„Andusharz!“, freute sich Saruna. „Unglaublich, endlich werde ich mit eigenen Augen sehen, wie ihr Alchemisten an das Harz herankommt. Ist ja ein streng gehütetes Geheimnis.“
„Ja, aber das hat einen guten Grund. In den falschen Händen wäre der Saft des Andusbaumes eine gefährliche und nicht zu unterschätzende Waffe.“
„Stimmt“, pflichtete die Elfe bei. „In den Händen der Yarge zum Beispiel, nicht auszudenken, was diese abscheulichen kleinen Dinger damit anstellen würden.“
„Wir sind da“, unterbrach der Krieger die Geschwister. „Die Schillerlichtung.“ Er hob die Hand und deutete auf eine gut fünfzig Fuß große Kreisfläche unmittelbar vor ihnen.
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