Dr. Christine Strobl
ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Amerikanistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
Dr. Michael Neumann
ist Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in den Bereichen Geschichte der Erzählliteratur, Formen der Lyrik sowie der Literatur der Klassik und Romantik.
Zum Buch
»Jeder Mythos erzählt, wie eine Realität entstand.«
MIRCEA ELIADE
Die Renaissance war eine Epoche des die mittelalterliche Schwärze überwindenden Umschwungs; die klassischen Gedanken der Antike wiedergebärend, sollte das dunkle Mittelalter überwunden werden. Heute ist das Bild der Renaissance stark von Ansichten der ihr folgenden Epochen geprägt und gibt dennoch Hilfestellung für ein Verständnis der Mythenbildung um in Zeiten der Renaissance einflussreiche und bedeutende Menschen und deren Leistungen, die bis in heutige Zeiten nachhallen. Texte über Doktor Faustus, Romeo und Julia, zu Martin Luther, Leonardo da Vinci und anderen geben einen Einblick in das Selbstverständnis und die Idealisierungsversuche der Menschen der Renaissance.
Menschen, die
Geschichte schrieben
Christine Strobl
Michael Neumann (Hrsg.)
Menschen, die
Geschichte schrieben
Die Renaissance
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Alle Rechte vorbehalten
Genehmigte Lizenzausgabe
für marixverlag GmbH, Wiesbaden 2014
© by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 2004
Bildnachweis: Bildnis eines italienischen Condottiere
(früher als Bildnis Cesare Borgias gedeutet).
Gemälde von Altobello Meloni, um 1520;
akg-images GmbH, Berlin
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0427-1
www.marixverlag.de
Einleitung
von Christine Strobl
Doktor Faustus
von Tobias Döring
Luther – Heiliger Mann oder falscher Prophet?
Legende und Antilegende zwischen 1517 und 1630
von Wolfgang Brückner
Die Macht der Mythen – Elisabeth I.
von Vera Nünning
Der Mythos der absoluten Liebe
Shakespeares Romeo und Julia
von Wolfgang Weiß
Leonardo, Ehrenbürger der Gegenwart
von Thomas Frangenberg
Gift in marmornen Särgen?
Die Borgia und ihr Mythos
von Volker Reinhardt
Orlando
von Javier Gómez-Montero
Melusine
Dämonin, Schlange, Spitzenahn
von Beate Kellner
Demetrius, der falsche Zar
von Jan Kusber
Der Narr – Schlüsselfigur einer Epochenwende
von Werner Mezger
Abbildungsverzeichnis
Autorinnen und Autoren
Editorische Vorbemerkung
Die mittlerweile rund 80 Bände umfassende Buchreihe marixwissen, in der nun Menschen, die Geschichte schrieben – Die Renaissance vorliegt, steht seit vielen Jahren für Publikationen, die aus kompetenter Hand komplexe Zusammenhänge einer breiten Leserschaft zugänglich macht. Aus diesem besonderen Grund legen wir nun eine siebenbändige Reihe wieder auf, die vormals im Pustet Verlag erschienen ist und seinerzeit leider nur einem kleinen Publikum zugänglich war. Die diesen Bänden zugrundeliegende Ringvorlesung Die Mythen Europas fasziniert durch ihre thematische Breite und löst darüber hinaus das Ziel unserer marixwissen-Reihe ein, humanistische Bildung und das Wissen Europas lebendig zu halten. Die zentralen Begriffe „Mythen“, „Europa“ und „Schlüsselfiguren“ sind heute von einer ebenso großen, wenn nicht noch größeren Bedeutung getragen. Wir legen Ihnen die Bände in ihrer Textgestalt unverändert vor, lediglich die Titel wurden der Reihe marixwissen angepasst.
„O Jahrhundert, o Wissenschaften! Es ist eine Lust zu leben, … Die Studien blühen, die Geister regen sich. Barbarei nimm dir einen Strick und mache dich auf Verbannung gefasst.“
Ulrich von Hutten (In einem Brief vom 25. Oktober 1518 an Willibald Pirckheimer)
von Christine Strobl
Auf der wunderlichen Reise durch die Weltmeere, die François Rabelais im vierten Buch von Gargantua und Pantagruel (1532 ff.) schildert,
stund Pantagruel auf und spähet’ so aufrechtstehend in die Fern. Dann sprach er zu uns: ‚Lieben Brüder, hört ihr nichts? Mir ist, als hör ich Leut in der Luft parliren; aber ich seh doch niemand. Horcht!‘ Wir also paßten fleißig auf, wie er befahl, und schlurften die Luft mit offnen Ohren, wie gute Austern in der Schal, ob eine Stimm oder Laut darin schwämm: und daß uns ja nichts entgehen sollt, hielten wir unser etliche, nach Kaiser Antonini Beispiel, die flachen Händ uns hinter die Ohren […] Je länger wir horchten, je mehr Stimmen wir unterschieden […] 1
Die Kunde des Steuermanns, die Besatzung höre den Lärm einer Schlacht, der im Winter gefroren sei und nun aufzutauen begänne, zeugt von Rabelais’ Rezeption antiker, aber auch zeitgenössischer Quellen, die auf die Vielstimmigkeit einer Zeit verweisen, die heute im Echo der französischen und deutschen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts als „Renaissance“ bezeichnet wird.
Der vierte Band der Mythen Europas reiht die Schlüsselfiguren der Imagination der Renaissance damit sowohl in die Nachfolge des Mittelalters als auch insbesondere der Antike ein. Die Mythen der Renaissance finden ihren Anfang im Mythos der Renaissance selbst, der sich seit Mitte des vierzehnten Jahrhunderts aus der Vorstellung der Wiedergeburt der Antike konstituiert. Jacob Burckhardt hat den Metaphern des Erwachens und der Wiederbelebung die Konzepte des Individualismus und der Moderne hinzugefügt, doch fußt seine Darstellung der Renaissance noch auf klaren Abgrenzungen: von Mittelalter und Renaissance, von Italien und dem restlichen Europa, von guten und bösen Helden, – Grenzen, die entsprechend der heutigen Forschungslage in den Beiträgen des vorliegenden Bandes überschritten werden. Mit Peter Burke wird somit unter dem Begriff der „Renaissance“ ein Ensemble an Veränderungen in der abendländischen Kultur verstanden, das die Vielstimmigkeit der Zeit betont. Der vorliegende interdisziplinäre Band stellt Schlüsselfiguren der Imagination vor, die gleichsam als Klangkörper fungieren und die Vielstimmigkeit der Renaissancen in Europa repräsentieren.
Mit dem Mythos des Doktor Faustus als einer der schillerndsten Figuren der Epoche führt TOBIAS DÖRING den Leser in das Machtzentrum der Renaissance, dem Kaiserhof Karls V. im 16. Jahrhundert. Die Tatsache, dass die Visitenkarte des historischen Faustus dem Wahrsager und Astrologen auch Kenntnisse der Nekromantie, der Kunst, Tote ins Leben zurückzurufen, bescheinigt, lässt an der Schilderung der leibhaftigen Begegnung Karls V. mit Alexander dem Großen aus heutiger Sicht Fragen zu, die der Autor durch die Einordnung der Schlüsselfigur in den Gesamtkontext der europäischen Kulturgeschichte zu beantworten vermag. Die große kulturelle Hoffnung der Renaissance, so Döring, bestand darin, der antiken Überlieferung erneut habhaft zu werden, die bis dahin geltenden Grenzen und Beschränkungen des Menschendaseins hinter sich zu lassen und sich aus eigener Kraft in einen höheren Stand zu erheben. Zwar gelingt es Faustus, den Renaissancekaiser als Wiedergänger seines antiken Vorbildes zu inszenieren. Als Lohn für das Heranziehen solch dunkler Beschwörungsmächte findet Faustus selbst jedoch ein schreckliches Ende in der Hölle, das auf den Theaterbühnen der Zeit, insbesondere von Christopher Marlowe, dramatisiert wurde und erklärt, warum Faustus aufgrund seiner curiositas in der Zeit der Renaissance seinen großen Auftritt hatte.
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