Dr. Michael Neumann,
geb. 1951 in München, ist Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er hat Germanistik, Philosophie, Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Münster studiert und zahlreiche Artikel, Bücher, Rezensionen und Aufsätze zu literaturwissenschaftlichen Themen veröffentlicht.
Zum Buch
MYTHEN EUROPAS: DIE SCHLÜSSELFIGUREN DES MITTELALTERS
Viele historische Persönlichkeiten sind von den Legenden und Anekdoten, die über ihr Leben erzählt werden, nicht mehr zu trennen. Schon immer haben Menschen in der Geschichte nach Vorbildern und Feindbildern, nach Avataren bestimmter, allgemeinmenschlicher Eigenschaften gesucht. Der vorliegende Band beschreibt diese Suche für das Mittelalter, versucht die Mythen und Legenden, die sich um die Großen der Geschichte ranken nachzuzeichnen und zu entschlüsseln, was diese Geschichten, die wir uns erzählen, über uns und die Zeit in der wir leben preisgeben.
Menschen, die Geschichte schrieben
Michael Neumann (Hrsg.)
Menschen, die
Geschichte schrieben
Das Mittelalter
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Alle Rechte vorbehalten
Genehmigte Lizenzausgabe
für marixverlag GmbH, Wiesbaden 2013
© by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 2004
Lektorat: Hendrik Fiebig, Gera
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag
nach der Gestaltung von Thomas Jarzina, Köln
Bildnachweis: The Boy’s King Arthur: Sir Thomas Malory’s History
of King Arthur and His Knights of the Round Table,
by Sidney Lanier (1922).
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0382-3
www.marixverlag.de
Einleitung
von Inge Milfull
Karl der Große
Geschichte und Mythos
von Johannes Fried
Der Apostel Jakobus
Vom spanischen zum europäischen Mythos
von Klaus Herbers
Theoderich
Die Verwandlung der historischen Person in die literarische Figur Dietrich von Bern
von Carola L. Gottzmann
Der Heilige Martin von Tours
von Benedikt Konrad Vollmann
König Artus
Geschichte, Mythos, Fiktion
von Walter Haug
Gottfried von Bouillon
Führer des Ersten Kreuzzugs und König von Jerusalem
von Friedrich Wolfzettel
Troubadour und Minnedame
von Ingrid Kasten
Franziskus von Assisi
Zwischen Inszenierung und Imagination
von Helmut Feld
Die Greifenfahrt Alexanders des Großen
von Thomas Noll
Christus als Schmerzensmann
von Peter Dinzelbacher
Maria, Notre Dame
Mythos und Verehrung in Texten des 9. bis 13. Jahrhunderts
von Roswitha Wisniewski
Autorinnen und Autoren
Abbildungsverzeichnis
Die mittlerweile rund 80 Bände umfassende Buchreihe marixwissen, in der nun Menschen, die Geschichte schrieben – Das Mittelalter vorliegt, steht seit vielen Jahren für Publikationen, die aus kompetenter Hand komplexe Zusammenhänge einer breiten Leserschaft zugänglich macht. Aus diesem besonderen Grund legen wir nun eine siebenbändige Reihe wieder auf, die vormals im Pustet Verlag erschienen ist und seinerzeit leider nur einem kleinen Publikum zugänglich war. Die diesen Bänden zugrundeliegende Ringvorlesung Die Mythen Europas fasziniert durch ihre thematische Breite und löst darüber hinaus das Ziel unserer marixwissen-Reihe ein, humanistische Bildung und das Wissen Europas lebendig zu halten. Die zentralen Begriffe "Mythen", "Europa" und "Schlüsselfiguren" sind heute von einer ebenso großen, wenn nicht noch größeren Bedeutung getragen. Wir legen Ihnen die Bände in ihrer Textgestalt unverändert vor, lediglich die Titel wurden der Reihe marixwissen angepasst.
Zu allen Zeiten haben die Menschen ihre Hoffnungen, Wünsche, Ängste und Konflikte auf Figuren projiziert und in Geschichten verarbeitet. Ein erster Band hat solche „Schlüsselfiguren der Imagination“ aus der Antike vorgestellt. Der vorliegende Band setzt den Gang durch die europäische Geschichte, der in sieben Schritten bis zum 20. Jahrhundert führen wird, mit dem Mittelalter fort. Der Haupttitel „Mythen Europas“ könnte freilich gerade bei dieser Epoche zu Missverständnissen führen. Es sei daher ausdrücklich hervorgehoben, dass die Reihe „Mythos“ ausschließlich als ein Rezeptionsbegriff verwendet wird: Ganz unabhängig von ihrer historischen Faktizität oder Fiktionalität werden die verschiedenen Figuren nach ihrer Wirkungskraft auf die kollektive Imagination befragt.
Diese „mythische“ Wirkung ist offensichtlich in bestimmten Eigenschaften einer Gestalt begründet. Dennoch zeichnet sich immer wieder deutlich ab, dass ihre Rezeption gemäß dem jeweiligen Bedürfnis der Zeit völlig neue Akzente setzen kann. Historische Figuren etwa können Transformationen durchlaufen, die ihnen selbst unvorstellbar gewesen wären oder ihren Intentionen völlig zuwiderlaufen. Die Absichten des heiligen Franziskus beispielsweise sind relativ gut dokumentiert; im religiösen und politischen Klima späterer Zeiten mussten sie von den Franziskanern aber teilweise überspielt werden, um den Orden unter den geänderten Umständen überlebensfähig zu halten, ohne die Kontinuität mit dem Ordensgründer aufzugeben.
Der Wandel, dem manch andere Gestalt mit der Zeit unterworfen wurde, mag noch radikaler gewesen sein, nur dass wir oft wenig über die ursprüngliche historische Person wissen. Ein wesentlicher Bestandteil des mythischen Status scheint auch zu sein, dass die Schlüsselfigur für verschiedene gesellschaftliche Gruppen Verschiedenes bedeutet. Artus ist jeweils ein anderer für die Waliser, für England und für den Rest von Europa. Auf Martin, so Konrad Vollmann, beriefen sich einerseits die Menschen von Tours und Poitiers, andererseits die merowingischen Herrscher; seine Gestalt bleibt aber auch für nachfolgende Generationen bedeutungsträchtig, polyvalent und adaptierbar.
Betrachten wir die Gestalten, die wir aus dem Früh- und Hochmittelalter ausgewählt haben, nach ihrer Herkunft, so ergibt sich folgendes Bild: Ein antiker Herrscher, Alexander, dessen Bild sich im Mittelalter gegenüber demjenigen, das er selbst von sich zu entwerfen suchte, stark verändert hat – drei Gestalten des Neuen Testaments, Christus selbst sowie zwei Personen seiner unmittelbaren Umgebung, Jakobus und Maria, die neu ausgedeutet wurden – zwei Herrscher der Völkerwanderungszeit, Artus und Theoderich – ein heiliger Bischof aus derselben Zeit, Martin – Karl der Große als zentrale Herrscherfigur des Frühmittelalters – dann aus dem beginnenden Hochmittelalter Gottfried von Bouillon, Held des Ersten Kreuzzugs – und schließlich der heilige Franziskus, Gründer des Franziskanerordens. Dazu tritt die abstrakte Figur der Minnedame, die zunächst in der Lyrik ihren Platz hat.
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