Mein Zorn war wie ein Vorhang zwischen uns. »Wie kannst du es wagen, solche Lügen über meinen Vater zu verbreiten! Mein Vater, das bin ich. Meine Familie, das bin ich.«
»Versuch doch zu begreifen. Meine Gefühle für dich und meine politische Einstellung sind zwei verschiedene Dinge. Es ist schon schlimm genug, dass man mich auslacht, weil ich mit dir gehe.«
»Dann lass mich doch in Ruhe. Lass mich einfach in Ruhe, und niemand lacht dich aus.«
Er schnaubte verärgert, drehte sich um und ging. Ich betrat den Hörsaal, doch er war nicht leer. Ein Mädchen im Hidschab sass darin und feilte an ihren Nägeln. Vermutlich hatte sie das ganze Gespräch zwischen mir und Anwar gehört. Was tat sie hier, statt draussen mit den andern zu beten? Sie hatte vermutlich ihre Tage. Ich setzte mich und begann, um mir meine Gelassenheit zu beweisen, eine Einladungsliste für Randas Abschiedsparty zusammenzustellen.
Pizza, Pepsi, Pommes und Ketchup. Cupcakes und taamîja . 11Samosas und Schokoladeneclairs aus der Bäckerei. Sandwiches mit Thunfisch, Ei, Wurst, Frischkäse mit Tomaten, Frischkäse mit Oliven. Vanilleeis in kleinen Pappbechern. Ich liess sie im Dunkeln zirkulieren und schliesslich Plastiklöffelchen in die Blumentöpfe fallen. Grauschwarz auf der Veranda, mauvefarbene Schatten über den Autos. Wir waren alle wunderschön im Mondlicht.
»Tut mir leid, Leute, der Generator will nicht anspringen …«
»Ich habe das verflixte Ding einfach nicht anbekommen.«
»Was schalten sie die Elektrizität mitten im Winter ab? Wie ticken diese Leute?«
»Pass auf, ihr Vater ist die Regierung.«
»Habt ihr keine Batterien für den Kassettenrecorder?«
»Batterien. Omar, hol Batterien. Geh schon.«
»Ich geh ein paar kaufen.«
»Nein, nein.«
»Sie ist zum Heiraten nach Nairobi gegangen.«
»Fünf Minuten mit dem Auto …«
»Du hast perfekt weisse Zähne, hat dir das schon mal jemand gesagt? Ich kann sie im Dunkeln sehen! «
»Du bringst den Typ in Verlegenheit.«
»Das soll meine Abschiedsparty sein. Das? «
»Randa!«
»Ich bin ja froh, dass ich gehe … wenn ihr nichts Besseres zu bieten habt.«
»Jetzt hört euch mal die an!«
»Übermorgen ist Schluss mit den Stromausfällen. Dann beginnt das zivilisierte Leben.«
»Nimm dir ein Sandwich! Das da sieht wie Ei aus … ich weiss nicht. Riech daran … Also das hier ist sicher Wurst …«
»Kommt ja vielleicht wieder …«
»Was ist denn überhaupt mit eurem Generator los? Warum kriegt ihr den nicht zum Laufen?«
»Komm, wir gehen …«
» Keiner geht irgendwohin. Untersteht euch! Samîr … du verdirbst die Party.«
»Wenn wir bloss Musik hätten …«
»Was macht er denn da? Nein, du kannst nicht gehen. Bitte geh nicht.«
»Du kannst uns nicht im Stich lassen, Samîr.«
Das Scheinwerferlicht fiel auf Samîr, auf seinen Afrolook und seinen frischen Schnurrbart. Er sass auf dem Beifahrersitz, ein Bein noch draussen, bei geöffneter Tür. Er hatte den Blick auf das Autoradio gesenkt und drehte an den Knöpfen, bis der Kassettenspieler auf einmal mit Boogie Nights von Heatwave loslegte.
Er begann auf uns zuzutanzen. Randa lachte laut.
»Samîr, du bist ein Genie!« Ich versuchte die Musik zu übertönen.
»Lass den Motor an, Mann. Lass den Motor an … sonst ist deine Batterie bald futsch.«
Ich fühlte mich nicht gut, nachdem sie gegangen waren. Ich sass auf der Veranda, während die Dienstboten aufräumten. Es war immer noch Nacht, weil die Lichter noch nicht wieder angegangen waren, aber meine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, und ich konnte die Nachbarhäuser und die Gartenschaukel sehen. Die Party war ein Flop gewesen. Und inzwischen waren Omar und die meisten Gäste weitergezogen. Randa war nach Hause gegangen, um zu packen. Sie hatte mir gedankt und die Party gelobt, aber das war nicht ihr Ernst gewesen. Ich sah, dass es nicht ihr Ernst war. Der Stromausfall hatte alles verdorben. Im einen Moment tanzten wir drinnen zu lauter Musik, und die Stimmung war genau richtig. Doch im nächsten Augenblick herrschte das dunkle Schweigen von draussen, unter dem majestätischen Himmel. Die Lichter gingen nicht wieder an, und der Generator war unbrauchbar. Sie würden darüber lästern und sagen, wir seien so reich, aber für einen Generator, der anständig funktioniere, seien wir zu geizig. Ich wusste, dass sie das sagen würden, denn ich hätte es an ihrer Stelle auch getan.
Ich dachte an Anwar und an die Welten, die ihn von dieser Party trennten. Er kannte weder Randa noch meinen Cousin Samîr. Wenn ich ihn jetzt an der Uni traf, sagte er hallo, und ich sagte auch hallo, und das war’s. Manchmal sah er mich an, als wollte er mehr sagen, aber er liess es sein. Er schien mit seinen Aktivitäten für die Front sehr beschäftigt zu sein. Was er mir erzählt hatte, ging mir nicht aus dem Kopf, und ich versuchte mir einen Reim darauf zu machen. Warum ich erschrocken war, als er sagte: »So kann es in unserem Land nicht weitergehen« oder »Dieses System ist dem Untergang geweiht«. Er hatte mir inzwischen erzählt, dass seine jüngste Schwester blind war und in Deutschland operiert werden könnte, wenn sie das Geld zusammenbrächten. Wir reisten jedes Jahr nach Europa, verbrachten den Sommer in unserem Apartment in London oder in Hotels in Paris und Rom und gingen auf Shoppingtour. Wenn wir in einem Sommer mal zu Hause blieben, könnte Anwar das gesparte Geld haben und seiner kleinen Schwester die Operation ermöglichen. Als ich noch ein Kind war, bevor ich in die Oberstufe kam, hatte ich mich mit Mama und Baba solcher Dinge wegen angelegt. Ich gab das ganze Geld, das ich zum Id 12bekommen hatte, einer Mitschülerin. Ich schenkte meinen goldenen Ohrring dem äthiopischen Dienstmädchen. Sie wurde gefeuert, und das Mädchen bekam Schwierigkeiten mit der Schulleiterin. »Es gibt da Regeln«, sagte Mama immer, »du kannst nicht nach Lust und Laune Almosen verteilen – man wird dich dafür verachten und für dumm halten.«
Ich lernte diese Regeln: Gib nur Kleider weg, die du getragen hast. Gib gerecht, und gib angemessen. Gib, was erwartet wird. Du kannst die Leute beleidigen, wenn du ihnen zu viel gibst. Du kannst sie verwirren. Du bringst vielleicht Leute in Verlegenheit mit teuren Geschenken, die sie nicht erwidern können. Gib nie einem Einzelnen etwas und seinen Freunden und seinen Geschwistern nichts. Denk nach. Denk nach, bevor du gibst. Erwartet man es von dir?
Ich blieb auf, bis Omar nach Hause kam. Einer seiner Freunde brachte ihn bis zum Tor, und er wankte die Auffahrt herauf, stolperte auf den Stufen zur Veranda und fiel einmal fast hin. Er sah mich nicht, bis ich ihn ansprach. Auf einer Seite unserer Veranda war eine Bank in die Mauer eingelassen. Dort legte er sich hin, starrte zum Himmel hinauf und liess eine Hand herunterbaumeln. Er roch wieder, ein süsslich-rauchiger Geruch, anders als Bier.
»Du sitzt tief in der Tinte«, sagte ich zu ihm. Er drehte nicht einmal den Kopf nach mir. »Ich hab ein Pulversäckchen in deiner Schublade gesehen.«
»Hast du’s genommen?« Seine Stimme klang ruhig, aber wacher.
»Nein, aber ich werde es Baba sagen.«
»Keine Bange, Nadschwa.« Er lallte. »Es ist bloss Hasch. Macht nicht süchtig – etwas stärker als eine Zigarette, das ist alles.«
»Denkst du, es wird Baba gefallen, dass sein Sohn Haschisch raucht?«
»Wird es ihm denn gefallen, dass seine Tochter mit einem Kommunisten geht?«
»Es ist aus zwischen mir und Anwar.«
»Ihr habt euch bloss gestritten, das wird schon wieder.« Er rollte sich auf die Seite und sah mich im Dunkeln an. »Und weisst du, was Baba dann tun wird? Er wird ein paar Schläger ausschicken, die ihn verprügeln sollen. Und wenn er seinen Abschluss macht, wird er dafür sorgen, dass keiner ihm einen anständigen Job gibt.«
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