Leila Aboulela - Minarett

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Nadschwa wächst in einer privilegierten und westlich orientierten Oberschichtfamilie in Khartum auf. Nach einem Putsch flieht die Studentin mit ihrer Mutter und ihrem Bruder ins politische Exil nach London. Sie verliert ihren Wohlstand und bald auch ihre Eltern. Einst hatte sie davon geträumt, einen wohlhabenden Mann zu heiraten und eine eigene Familie zu gründen. Nun ist sie auf sich allein gestellt und muss ganz unten neu anfangen. Sie arbeitet als Dienstmädchen und Putzfrau bei reichen Familien, erkämpft sich eine unabhängige Existenz. Sie knüpft Freundschaft mit den Frauen der muslimischen Gemeinde. Und findet eine neue Heimat im Glauben. Als sie Tâmer kennenlernt, den ernsten und strenggläubigen Bruder ihrer Arbeitgeberin, muss sie sich entscheiden.
"Minarett" erzählt eindrücklich und aufschlussreich von Migration, sozialem Abstieg und von der religiösen Gemeinschaft als Ort der Heimat und der Unabhängigkeit. Eine überraschende, provokative Emanzipationsgeschichte, die einen Sturm in der englischen Presse auslöste.

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www.lenos.ch

Leila Aboulela

Minarett

Roman

Aus dem Englischen von Irma Wehrli

Die Autorin Leila Aboulela geboren 1964 in Kairo wuchs als Tochter einer - фото 2

Die Autorin

Leila Aboulela, geboren 1964 in Kairo, wuchs als Tochter einer ägyptischen Mutter und eines sudanesischen Vaters in Khartum, Sudan, auf. Sie studierte Ökonomie und Statistik an der dortigen Universität sowie Ökonomie und Politikwissenschaft in London. Ab 1990 Dozentin und wissenschaftliche Assistentin in Aberdeen, Schottland. Nach Jahren in Jakarta, Dubai, Abu Dhabi und Doha lebt sie seit 2012 wieder in Aberdeen. Aboulela veröffentlichte fünf Romane, zwei Erzählungsbände und Hörspiele. Ihre Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und in rund fünfzehn Sprachen übersetzt. leila-aboulela.com

Die Übersetzerin

Irma Wehrli, geboren 1954 in Liestal. Studium der Anglistik, Germanistik und Romanistik. Schwerpunkt ihrer Übersetzungstätigkeit sind englische und amerikanische Autoren des 19. Jahrhunderts und der klassischen Moderne (Hardy, Wilde, Kipling, Mansfield, Hawthorne, Whitman, Cather, Wolfe u. a.). Für ihre Übertragung des Romans Of Time and the River von Thomas Wolfe wurde ihr 2011 das Zuger Übersetzer-Stipendium zugesprochen, 2017 wurde ihr die Ehrendoktorwürde der Universität Basel für ihr Gesamtwerk als Kulturvermittlerin verliehen. Für den Lenos Verlag übersetzte sie 2019 When the Emperor Was Divine von Julie Otsuka.

Titel der englischen Originalausgabe:

Minaret

Copyright © 2005 by Leila Aboulela

E-Book-Ausgabe 2020

Copyright © der deutschen Übersetzung

2020 by Lenos Verlag, Basel

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Lenos Verlag, Basel

Coverfoto: Sandrine Vivès-Rotger

eISBN 978 3 85787 984 5

Inhalt

Die Autorin Die Autorin Leila Aboulela, geboren 1964 in Kairo, wuchs als Tochter einer ägyptischen Mutter und eines sudanesischen Vaters in Khartum, Sudan, auf. Sie studierte Ökonomie und Statistik an der dortigen Universität sowie Ökonomie und Politikwissenschaft in London. Ab 1990 Dozentin und wissenschaftliche Assistentin in Aberdeen, Schottland. Nach Jahren in Jakarta, Dubai, Abu Dhabi und Doha lebt sie seit 2012 wieder in Aberdeen. Aboulela veröffentlichte fünf Romane, zwei Erzählungsbände und Hörspiele. Ihre Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und in rund fünfzehn Sprachen übersetzt. leila-aboulela.com

Die Übersetzerin Die Übersetzerin Irma Wehrli, geboren 1954 in Liestal. Studium der Anglistik, Germanistik und Romanistik. Schwerpunkt ihrer Übersetzungstätigkeit sind englische und amerikanische Autoren des 19. Jahrhunderts und der klassischen Moderne (Hardy, Wilde, Kipling, Mansfield, Hawthorne, Whitman, Cather, Wolfe u. a.). Für ihre Übertragung des Romans Of Time and the River von Thomas Wolfe wurde ihr 2011 das Zuger Übersetzer-Stipendium zugesprochen, 2017 wurde ihr die Ehrendoktorwürde der Universität Basel für ihr Gesamtwerk als Kulturvermittlerin verliehen. Für den Lenos Verlag übersetzte sie 2019 When the Emperor Was Divine von Julie Otsuka.

Bismillâh al-rachmân al-rahîm

Erster Teil: Khartum, 1984/85

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Zweiter Teil: London, 2003

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Dritter Teil: London, 1989/90

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierter Teil: 2003/04

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Sechsundzwanzig

Siebenundzwanzig

Achtundzwanzig

Neunundzwanzig

Dreissig

Fünfter Teil: 1991

Einunddreissig

Zweiunddreissig

Sechster Teil: 2004

Dreiunddreissig

Vierunddreissig

Fünfunddreissig

Sechsunddreissig

Anmerkungen der Übersetzerin

Minarett

Bismillâh al-rachmân al-rahîm 1

Ich bin gesunken, tief gesunken. Ich bin abgerutscht an einen Ort, wo die Decke niedrig ist und man sich kaum bewegen kann. Meistens finde ich mich damit ab. Meistens begehre ich nicht auf. Ich nehme mein Urteil an und grüble nicht und schaue nicht hinter mich. Aber manchmal bringt eine Veränderung die Erinnerung zurück. Der gewohnte Trott wird gestört, und ein Neuanfang lässt mich jäh erkennen, wozu ich geworden bin, wie ich da auf einer Strasse voller Herbstlaub stehe. Die Bäume im Park gegenüber sind wie poliertes Silber und Messing. Ich blicke auf und sehe das Minarett der Moschee von Regent’s Park über den Bäumen. Ich habe es noch nie so früh am Morgen gesehen, in diesem verletzlichen Licht. London ist am schönsten im Herbst. Im Sommer ist die Stadt aufgedunsen und schäbig, im Winter wird sie von der Weihnachtsbeleuchtung geflutet, und der Frühling, die Zeit der Geburt, ist immer enttäuschend. Jetzt ist ihr bester Moment, jetzt ist sie mit sich im Reinen, wie eine reife Frau, deren Schönheit nicht mehr taufrisch ist und doch seltsam betörend.

Mein Atem dampft. Ich bleibe stehen, um auf einen Klingelknopf zu drücken, die Adresse steht in meinem Notizbuch. Um acht, hat sie gesagt. Ich huste und befürchte, auch in Gegenwart meiner neuen Arbeitgeberin husten zu müssen, so dass sie sich sorgt, ich könnte ihr Kind anstecken. Aber vielleicht neigt sie nicht zu Ängstlichkeit. Ich kenne sie ja noch nicht. Ich habe sie erst einmal gesehen, letzte Woche, als sie auf der Suche nach einer Hausangestellten in die Moschee kam. Sie wirkte elegant und in Eile. Ihr Seidentuch war nachlässig um Kopf und Nacken geschlungen, und als es verrutschte und ihr Haar entblösste, nahm sie sich nicht die Mühe, es wieder zurechtzuzupfen. So sind manche Araberinnen – eine reiche Studentin, Ende zwanzig, die das Leben im Westen auskostet … Aber ich kannte sie trotzdem noch nicht. Sie war nicht sie selbst, als sie mich ansprach. Die wenigsten Leute sind in einer Moschee ganz bei sich. Sie sind kleinlaut, und ein fragiler, vernachlässigter Teil ihrer selbst beherrscht sie.

Hoffentlich hat sie mich nicht vergessen. Hoffentlich hat sie sich nicht umentschieden und ihr kleines Mädchen in eine Kinderkrippe gegeben oder jemand anders genommen. Und hoffentlich bleibt ihre Mutter, die das Baby bis jetzt gehütet hat, nicht noch länger in Grossbritannien, und es braucht mich gar nicht mehr. Auf der St John’s Wood High Street ist viel los. Männer im Anzug und junge Frauen in topmodischen Kleidern steigen in neue Autos und brausen zu ihren tollen Arbeitsplätzen davon. Das ist eine piekfeine Gegend. Pastellrosa und viel Platz, wie es Leuten mit Geld vergönnt ist. Die Vergangenheit nagt, doch es sind nicht Besitztümer, die ich vermisse. Ich will keinen neuen Mantel, sondern möchte bloss meinen alten öfter reinigen lassen können. Ich wünschte nur, man hätte mir nicht so viele Türen vor der Nase zugeschlagen: die Türen von Taxis und Schulen, von Kosmetiksalons und Reisebüros, mit denen ich auf den Haddsch 2gehen könnte …

Als jemand sich an der Türsprechanlage meldet, sage ich mit hoffnungsvoll angespannter Stimme: » Salam alaikum , ich bin’s, Nadschwa …« Sie erwartet mich, alhamdulillâh . 3Ich werde vom Geräusch des Summers fast euphorisch. Ich stosse die Tür auf, und Holzwände umgeben mich: wohlkonservierte und gepflegte Vergangenheit. Das ist ein wunderbares Haus, würdevoll und behäbig. Altes, umsichtiges Geld, von Generation um Generation mit Liebe und Sorgfalt gehätschelt. Nicht wie das Geld meines Vaters, das ein Regime eingetrieben und Omar verschwendet hatte. Und auch ich war leichtsinnig mit meinem Anteil gewesen und hatte nichts Nützliches damit angefangen. In der Eingangshalle hängt ein Spiegel. Er zeigt eine Frau mit weissem Kopftuch im unförmigen beigen Mantel. Die Augen sind zu hell und die Wimpern zu lang, aber trotzdem sehe ich unscheinbar und verlässlich aus und bin im richtigen Alter. Ein junges Kindermädchen könnte nachlässig sein und ein älteres sich über Rückenschmerzen beklagen. Ich bin im richtigen Alter.

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