Aber es war doch auch Geld gewesen, womit Pater Celestino sie freigekauft hatte, sie und all die geraubten Mädchen, bis zu achthundert befreite Sklavinnen.
Daran dachte Suor Clara und stellte sich den Duft der Zitronen vor, der einst vom Hof aus durch die Korridore geflutet war, die Laken und die Stirnen der Nonnen geküsst hatte.
In der Tat bestand ihr Leben aus Gedanken und Blicken, Mienen und Zeichen, Verneigungen, gefalteten Händen und Gewissheiten, und sie war sicher, dass sie ihre Schwestern niemals dem Zugriff dieses Italiens überlassen würde. Dieses Italien, das sie noch als Kind vom Dasein als Klausurnonne abgehalten hatte, jahrelang hatte sie darum gebeten, und sie hatten Nein gesagt. König Vittorio Emanuele hatte ihre Güter beschlagnahmt, ihr Leben inventarisiert, das Noviziat verboten, den Eintritt neuer Nonnen untersagt. Wie alle anderen Orden sollte auch ihrer erlöschen.
Erst der Tod des Grafen Cavour hatte ihnen allen das Überleben ermöglicht, und Suor Clara war überzeugt, dass es Gott aus der Höhe seiner furchtbaren Liebe gewesen war, der dem Leben des Verfolgers Seiner Söhne und Töchter in ebendiesem Moment ein Ende bereitet hatte.
Moretta, rief Suor Anna sie atemlos, blass erschien sie auf der Schwelle des Kontorraums, Suor Clara wandte sich um und ließ von ihren Gedanken ab.
Ihr müsst herüberkommen, sagte Suor Anna, und ihr Gesicht war heller als manche Morgendämmerung über den Feldern von Serra, mit zitternden Händen hielt sie sich am steinernen Türrahmen fest, ihre Stimme war hoch wie ein Gesang, Suor Clara verzog den Mund, jeden Ton, der nicht Musik war, empfand sie als Belästigung wie Männerhände zwischen den Schenkeln.
Etwas ruhiger, Suor Anna, gleich läutet die Glocke zum Nachmittagsgebet, erwiderte La Moretta.
Suor Evelina … Suor Evelina … Mit Tränen der Angst hielt Schwester Anna inne, legte die Hand auf das hölzerne Kruzifix, das sie um den Hals trug. Man hat sie gefunden, erhängt … mit der Kordel des Gewands, fügte sie hinzu.
La Moretta bekreuzigte sich und ging an der Schwester vorbei hinunter zu den Zellen der Nonnen.
Suor Evelina hatte einen Versetzungsbefehl erhalten, ihre Räume reichten nicht für alle, und eine neue, vom Bischof von Ancona sehr geschätzte Nonne sollte kommen und ihren Platz im Kloster einnehmen.
Als sie die Tür öffnete, sah sie die Füße von Suor Evelina unter dem Rock hervorschauen, die Füße einer Leiche.
Sie erinnerte sich, wie sie zum ersten Mal nach Italien gekommen war, klein, schwarz, wütend, und Pater Celestino zu ihr gesagt hatte: Jetzt bist du in Sicherheit, und wie sie das einen Moment lang geglaubt und gedacht hatte, sie würde hier ihre zeriba wiederfinden, ihre Kuh mit den langen Hörnern, die Hühnereier und das Flämmchen der Mutter, das immer im Fenster ihrer Erinnerung brannte.
Was war ihre Bestimmung? Worauf sollte sie hoffen? Das hatte Zari sich gefragt, jeden Tag zu jeder Stunde, die sich aus der Summe aller Minuten ergab.
Sie hielten sie für hart wie das Ebenholz, aus dem sie gemacht schien, in den Maserungen eine dunkle Gewissheit. Denn durch ihre Augen, die weiß in ihrem Gesicht leuchteten, konnte sie einen zum Niederknien zwingen, durch ihre Hände und ihren Gesang stieg die Stimme Christi auf Erden herab.
Doch das war nicht immer so gewesen, es hatte eine Zeit gegeben, da selbst sie ein Kind gewesen war, ein schwieriges, launisches, lästiges, aufdringliches Mädchen.
Mit dreizehn hatte Zari in ihr Tagebuch geschrieben, dass sie bei der geringsten Grobheit in Rage geraten könne, dass sie imstande sei, jemanden am Schopf zu packen und von den Mauern zu werfen, ihn hinunterfallen zu sehen wie einen ausgespuckten unverdaulichen Brocken.
Als sie zum ersten Mal in ein Kloster gekommen war, hatte Zari den ganzen Tag damit zugebracht, die Außenmauern des Gartens abzusuchen, um ein Loch zu entdecken, durch das sie fliehen konnte.
Eine ältere Schwester war zu ihr getreten, und Zari hatte befürchtet, dass man sie schlagen, an Haaren und Nägeln ziehen würde, doch das war nicht geschehen. Die Schwester hatte sie gestreichelt, hatte zu ihr gesagt, das sei bei jeder von ihnen so gewesen, das sei der Schmerz, den man empfindet, wenn man die Welt draußen zurücklässt und sich in sich selbst und im Kloster einschließt, um Gott zu dienen. Sie würde nie eine Sklavin sein, sondern heilig, rein, gebenedeit, über ihren Schlaf würde der Heilige Geist wachen. Das Kloster war Mutterbrust und jungfräuliche Milch.
Als Mädchen fettete sich Zari Gesicht und Arme mit Olivenöl ein, denn ihre Haut brauchte die Myrrhe, mit der ihre Mutter sie einst eingerieben hatte, und in den italienischen Wintern wurde ihre Haut trocken und spröde.
Sie hatte Sinn für Hohn und Spott und mochte zu strenge Priester nicht, und über solche, die mit forschenden Blicken durch die Stirn hindurch bis in den Rücken zu dringen suchten, machte sie sich lustig, zusammen mit den anderen Zöglingen äffte sie einen Prediger nach, der ihnen allen mit verschwitzten Händen die Geistlichen Exerzitien auferlegte. Und die anderen, weiße Mädchen mit glatten Haaren und immer weicher Haut, lachten.
Als sie sich mit zehn Jahren in den Kopf gesetzt hatte, die Glocken des Klosters zu läuten, weil sie zur Musik eine Neigung verspürte wie andere zur gedeckten Tafel, hatten die Schwestern ihr das verboten und sie zwei Stunden lang in ein Zimmer gesperrt, wo sie in sich gehen und gründlich über den Willen Christi nachdenken sollte.
Als Antwort darauf hatte Zari in der Nacht der Madonna di Loreto die im Kloster vorhandenen Glocken eingesammelt, an einen Stuhl gebunden und sie dann um drei in der Nacht mit einem abgrundtief bösen Gesichtsausdruck geläutet und dadurch die Schwestern geweckt. Man konnte sie nicht in den Keller sperren wie den Wein vom letzten Jahr, damit sie Schimmel ansetzte wie die Marmeladen, sie hatte den feurigen Geist der Musikerin.
Fruchtlos waren alle Versuche geblieben, sie im Zaum und fern der Instrumente zu halten. Als Zari beschloss, dass sie Orgelspielen lernen wollte, konnten die Nonnen nicht anders, als sie den Versuch machen zu lassen, und sie hatte gelernt zu spielen wie die großen Musiker, diese Weißen mit dem buschigen Haar, die in den schönen Häusern Europas zu hören waren. Zari war ein Mädchen aus den Nuba-Bergen, und nach wenigen Jahren spielte sie Orgel wie die besten Organisten Italiens.
Sie war stur, um jeden Preis hatte sie Zimbeln an der Orgel anbringen wollen und eine große Trommel neben den Pedalen, nachts hatte sie alle Partituren in ihre eigene Tonart umgeschrieben.
Jeden Sonntag füllte sich die Klosterkirche, um ihr Talent zu bewundern, die Bauern und ihre Frauen kamen von den Feldern herauf, denn nur sie war imstande, all ihre Ängste zu vertreiben.
Da waren Zari erste Zweifel gekommen, die Schwestern hatten ihr gesagt, sie müsse am Konservatorium studieren und Organistin werden oder als Missionarin in den Sudan gehen, zu ihren Leuten, die Mutter wiedersehen, den Vater, den Bruder, den Schatten der niedrigen Bäume und die Schalen der Kürbisse.
Auch Italien schien sie nicht mehr zu wollen, die Schwestern verschwanden, die Klöster wurden geschlossen.
Niemand dachte, dass eine wie sie für die Klausur gemacht sein könnte, dazu brauchte man Beständigkeit, dazu brauchte man Disziplin, hinter ihren silbernen Gesichtern und ihren goldenen Worten hielten auch sie sie für eine kleine Wilde, ein sanftes Geschöpf Gottes, das vor dem traurigen Los als Analphabetin und Hirsebäuerin errettet worden war.
Aber alle mussten sie sich eines Besseren belehren lassen, die Jahre waren vergangen, die Geschichte hatte versucht, die Nonnen zu verschlucken wie eine bittere Pille, doch sie hatte standgehalten.
Gott hatte sie gerettet, und sie würde Ihn nie verlassen, würde Ihm so nahe sein, dass sie Seinen Geruch wahrnehmen konnte. Zari war Klarissin geworden, Organistin, Kellermeisterin, Sakristanin, Krankenschwester und dann Novizinnenmeisterin, Buchhalterin und schließlich Äbtissin.
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