Aber dabei verlieren nur wir, wir sind mitten in der Zeit der Weinlese, die Trauben, die wir nicht ernten, fressen die Raben, und von diesen Trauben leben wir, der Padrone hat noch andere Halbpächter, wir haben nur diesen einen Vertrag, entgegnete Gaspare, der der Sohn des Pächters war, weshalb seine Stimme mehr als die der anderen galt.
Es ist an euch, euch Gehör zu verschaffen, seit einiger Zeit schon schließen die Bauern sich zu Gruppen und Ligen zusammen, um gemeinsam zu protestieren, man wird euch anhören, wenn ihr geschlossen vorgeht, alle Pächter und Tagelöhner von Serra und Montecarotto gemeinsam, erwiderte Bruno und beschrieb mit ausgebreiteten Armen einen Kreis, denn in diesem Kreis waren sie, in der heiligen Sphäre der schlichten Seelen.
Wenn wir die Weinlese verpassen, ist es vorbei, wir müssen bis Weihnachten durchhalten, wenn es kalt wird, hören wir auf zu arbeiten, dann verlangen wir, was wir verlangen müssen, sagte Gaspare zu den Jungen gewandt, die für ihn arbeiteten, darunter auch Lupo, nicht viele, aber doch genug für ein bisschen Grund und Boden.
Aufzuhören, wenn es euch in den Kram passt, wird euch nicht helfen, jetzt seid ihr unabkömmlich, jetzt müsst ihr aufhören zu arbeiten. Sie entscheiden, wen ihr heiraten sollt, sie nehmen sich ihren Anteil und nutzen euren für neues Saatgut, für jedes Vieh, mit dem ihr arbeitet, müsst ihr das Futter aufbringen, ihr müsst für die Schweinemast zahlen und Pacht für das Haus, sie lassen eure Frauen schuften wie Dienstmägde. Stimmt’s, oder nicht? Bruno trat zu Gaspare, und mit ihren Haaren, ihren schweißnassen Hemden und Hosen standen sie einander gegenüber, Auge in Auge.
Das stimmt, aber ihr kommt aus der Stadt, mit euren weißen Krägen und euren Bärten, und erzählt uns was von euren Ligen und euren Parteien, während wir noch nicht einmal wählen dürfen, oder hast du das vergessen?, entgegnete Gaspare Garelli.
Meine Familie ist von hier, und es stimmt, ich darf wählen, und das nicht, weil ich es mir verdient habe, aber derweil kämpfe ich für die, die es nicht dürfen. Die Ligen gehören uns nicht, sie bilden sich auf dem Land, und die Streiks sind gut, um sich Gehör zu verschaffen, Ärzte, Lehrer, Arbeiter, Bauern, Maurer, Bäcker, Pastahändler, Gerber, Bauarbeiter, Müller, Bergleute, Hafenarbeiter, Leute aus der Stadt und vom Land, wir sind viele, von Castelpiano bis Montecarotto, wir wollen in Serra eine große Versammlung abhalten, wir erwarten mehr als tausend Bauern, beharrte Bruno aus Pesaro, der Sozialist.
Die anderen schwiegen, und Gaspare sah auf die Trauben, die sein Vater, mit Rückenschmerzen ans Bett gefesselt, nicht ernten konnte, die er Schössling für Schössling gesetzt und vor Unkraut und Hagel geschützt hatte, sie gehörten ihm, und sie waren heil geblieben.
Lupo kannte diese Geschichte genau, wie jeder von ihnen, der wusste, was es hieß, nichts zu besitzen als zwei Arme zum Arbeiten.
Jedes Jahr ging mehr als die Hälfte der Ernte an den Padrone, und von diesem Weniger-als-die-Hälfte, das dem Bauern blieb, musste er aussäen und die Tiere füttern, sodass aus diesem Weniger-als-die-Hälfte ein Drittel wurde, zu wenig, um davon leben zu können.
Auf seinen Feldern bestimmte der Padrone, was Gesetz war, er entschied, wer dort arbeitete und wer nicht, wer heiratete und wer nicht, wie viele am Tisch des Bauern sitzen durften, überzählige Kinder schickte der Padrone fort.
Die Herren waren Fremde, den Grund, den sie den Pfaffen abgenommen hatten, hatten weder der König noch die Regierung den Leuten gegeben.
Er hat recht, wir müssen etwas tun. Ab morgen arbeite ich nicht, sagte Lupo und stand auf, ein großes, aber immer noch kleines Kind, und Bruno, der Sozialist aus der Stadt, erwartete, dass sie ihn zum Schweigen bringen würden, diesen Jungen, dazu gut, den Kühen den Schwanz zu striegeln, er war gerade mal ein Viertel Mann, ein Milchbubi, er konnte höchstens elf sein.
Keiner brachte ihn zum Schweigen, lange herrschte Stille, dann stand nach Lupo noch ein anderer auf und sagte: Ich arbeite nicht, dann stand Petri auf, Paoletto stand auf, Gaspare sah sie aufschießen wie Pilze im feuchten Wald, schließlich richtete er den Blick auf den Jungen.
Nur wenige blieben sitzen, und Bruno, der Sozialist, lächelte Lupo zu, der das Lächeln nicht erwiderte. Im Übrigen hatte auch Gaspare recht: Zu viele Leute kamen aus der Stadt und mischten sich unter ihre sonntäglichen Brigaden, um ihr eigenes Evangelium zu verkünden.
Wir müssen es versuchen, sagte Lupo zu Gaspare, eine Woche können wir warten, die Trauben halten das aus.
Gaspare dachte an den Tag, als der Regen, der sie alle durchnässte, einen Graben aufgerissen hatte: Er war hineingefallen, und ohne einen Augenblick des Zögerns war Lupo auf dem Rücken hinuntergerutscht, hatte mit großer Geduld den Schlamm Schritt für Schritt nach unten festgetreten, um Gaspare mit seinem gebrochenen Bein nach oben zu ziehen; mit einer Kraft, wie anscheinend nur die göttlichen oder die bösen Dinge sie haben, hatte er ihn ins Dorf geschleppt. Mit demselben Willen, der aus seinen Kinderarmen Waffen gemacht hatte, um Santes Bäume zu fällen.
Garelli nickte: Nur eine Woche, danach muss ich Wein lesen, und sollte der Papst persönlich kommen.
Dieses Fleckchen Erde war nur eines der vielen, fein säuberlich eingezeichneten Quadrate auf der Karte der Ländereien der Marken, doch es enthielt sie alle, als ob ihr Olivenhain der einzige, ihr Weingarten der einzige, diese Männer, fast alle Jungen, die letzten Verbliebenen wären.
Doch so war es nicht.
Eine Woche Streik allein würde nicht genügen, sie würden eine weitere und dann noch eine dranhängen müssen, zum ersten Kampf Ja zu sagen würde bedeuten, am Fuß eines Berges mit verhangenem Gipfel und steilen Felswänden zu stehen, ein zweiter, ein dritter Kampf würden folgen, erreichen würden sie nur wenig, die Minderung des Pachtzinses würde wieder und wieder verlangt und nicht gewährt werden, dann also herbeigeschrien und wieder nicht gewährt werden, dann mit Gewalt erzwungen werden, indem man Hände abschnitt, Schlösser niederriss, die Kinder der Reichen erschreckte.
So würden sie Mal für Mal in Wut geraten, aufbegehren und sich verausgaben, auf Gerechtigkeit warten, die wer weiß wann kommen würde.
Die Ceresa waren mit der Vorstellung groß geworden, dass sie dazu ausersehen waren, früh zu sterben.
Wenn sie vorübergingen, stellten die Leute im Dorf sie sich schon unter der Erde vor, in kleinen Särgen, geküsst von der blinden Mutter, beweint vom mürrischen Vater, in Gesellschaft all derer, die vor und nach ihnen verschwunden waren, aus dem Leben gerissen, als sie es gerade erst beginnen sollten, beim ersten Wimmern, bei den ersten schwankenden Schritten, als sie anfingen, die Dinge der Welt zu benennen und den eigenen Schatten an der Wand zu erkennen.
Lupo lebte jeden Tag wie den ersten, er schien keinen Gedanken auf davor oder danach zu verschwenden, er klammerte sich nicht an Erinnerungen oder Ängste; was kommen mochte, würde er in Angriff nehmen, wie eine Wand würde er sich aufrichten, um die Unwetter draußen zu halten.
Jede Geste war wie die reife Frucht, die plötzlich an einer Pflanze hing, seine Präsenz eine Waffe; war da ein Graben, setzte er darüber hinweg, war da ein Baum, kletterte er hinauf, sein biegsamer Körper passte sich der Erde an, dem Wind, den Schlägen der Menschen, ihren bösen Worten, für jeden hatte er eine Antwort parat, eine Ohrfeige.
Wenn er Nicola benommen und zitternd auf die heiße Fläche der Felder starren sah, packte er ihn am Handgelenk, schüttelte ihn wie beim Aufwachen und sagte zu ihm: Ninì, du darfst nicht daran denken.
Denn Nicolas Verzweiflung war ganz in seinem Innern. Die anderen wuchsen draußen heran, er besah seinen Bauch und seine Hände und fand sie falsch und mangelhaft, er hasste sie, wie man Eindringlinge hasst.
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