»Stricken.«
»Puh – das ist eklig! Nun komm aber rasch, wir wollen grüne Zweige holen. Wir gehen zu den großen Büschen, die sind gar nicht weit, da bekommen wir schöne Zweige.«
Noch am selben Tag band Rose Scheele einen Kranz aus Tannengrün. Frau Sandler erlaubte gern, dass die Kinder aus dem Garten Blumen abschnitten, um sie in den Kranz zu flechten.
»Es ist sehr lieb von dir, Rose, dass du an die Schmanzgroßmutter denkst. Du hast ihr so manche frohe Stunde bereitet – –«
»Ich auch, Mutti! Als ich ihr vorgelesen habe, ist sie in den Himmel gegangen. Sie hat sich auch über mich gefreut.«
»Du hast aber niemals daran gedacht, der guten Schmanzgroßmutter ein paar Blümchen aufs Grab zu legen.«
»Das mache ich heute, Mutti. Ach, ich weiß schon, ich werde sie sehr erfreuen. Sie hört es ja nicht mehr, sonst würde ich ihr gern eine Geschichte vorlesen.«
»Aber sie schaut vom Himmel auf euch nieder und freut sich, wenn kleine Mädchen zu ihr kommen.«
Der Kranz, den Rose geflochten hatte, war recht nett geworden. Sie hatte sich große Mühe bei der Arbeit gegeben. Pucki trug einen großen Strauß Gartenblumen in den Händen. Die Kinder wanderten in Begleitung der Mutter nach dem Rahnsburger Kirchhof. Auch Frau Sandler hatte Blumen mit, um einige Gräber lieber Bekannter zu schmücken.
Nun standen die Kinder am Grabe der Schmanzgroßmutter. Frau Sandler war weitergegangen, sie ließ die beiden Mädchen allein zurück. Rose faltete andächtig die Hände und sprach halblaut ein Gebet. Dann schloss sie mit den Worten:
»Ich danke dir, liebe Schmanzgroßmutter, dass du immer so gut zu mir gewesen bist. Ich war doch ein ganz fremdes Kind, doch du hast mich immer lieb gehabt. Nun bringe ich dir heute einen Kranz, den ich selber gewunden habe.«
»Ob sie das hört?« fragte Pucki flüsternd.
Behutsam legte Rose den Kranz auf dem Hügel nieder. »Sie hört es und sieht uns auch.«
»Schmanzgroßmutter, siehst du auch meine Blumen? Wenn die Schmanzgroßmutter noch lebte, würde sie auch einen Vers in mein Poesiealbum geschrieben haben.«
Pucki schaute unverwandt auf die ältere Freundin. Rose stand noch immer mit gefalteten Händen am Hügel. Da legte auch sie die Händchen ineinander und sagte leise:
»Lieber Gott, lass es der Schmanzgroßmutter auch im Himmel recht gut gehen. Großmutter, wir werden bald wiederkommen.«
»Freilich, Pucki, man soll die Leute, die gestorben sind und die wir lieb hatten, nicht vergessen, auch wenn sie in der Erde liegen. Wir gehen auch immer an Vaters Grab und bringen ihm Blumen.«
»Nun wollen wir heimgehen«, sagte Pucki ein wenig ängstlich. Der Gedanke, dass der Vati oder die Mutti einmal in der Erde liegen sollten, war so schrecklich für das Kind, dass es daran nicht denken wollte. Pucki sah sich auf dem Friedhof um, erblickte die Mutti an einem der Gräber, lief auf sie zu, umschlang sie stürmisch und sagte:
»Nicht wahr, Mutti, du stirbst aber nicht? Ich will dich auch nicht wieder ärgern, du sollst kein Herzweh haben. Und wenn ich einmal unartig bin, haust du mich, dann ist dir wieder gut.«
»Aber Pucki, es tut mir doch selber weh, wenn ich dich strafen muss.«
»Dann strafste mich eben nicht mehr«, klang es zurück. »Ich will aber ganz artig sein.«
»Davon merke ich im Augenblick nichts, Pucki, denn schon wieder beißt du an den Nägeln. – Pfui, wie deine Händchen aussehen!«
Hastig zog Pucki die Handschuhe aus der Tasche und streifte sie über. »So, nu sind die Hände wieder fein, nun sieht es keiner, Mutti.«
»Du bist und bleibst ein übermütiges Mädelchen.«
»Ich bin eben dein lieber Puck.«
Gemeinsam gingen die drei zur Försterei zurück. Unterwegs forschte Pucki bei Rose, was sie noch alles machen könne.
»Man kann aus Streichholzschachteln auch kleine Häuschen machen und aus einer Kiste eine Puppenstube.«
»Ach, das machen wir alles, Rose, das wird fein werden!«
Von nun an wurde im Forsthause geleimt, gehämmert und geschnitzelt. Minna war verzweifelt. Jede Streichholzschachtel verschwand; die Hölzchen lagen auf dem Herd, aber die Schachtel war fort. Jeden vorübergehenden Spaziergänger bestürmte Pucki, ob er nicht eine Streichholzschachtel hätte, denn daraus ließen sich die herrlichsten Sachen herstellen. Es war bereits eine Standuhr für die Puppenstube hergestellt, das waren zwei aufeinandergeklebte Schachtelhüllen mit einer quergestellten Schachtel oben, auf die Rose das Zifferblatt gezeichnet hatte. Die Mutter gab den Draht für die Zeiger her. Ebenso hatten die Kinder einen kleinen Wagen gebastelt. Als Räder wurden Korkscheiben benutzt, die aus Pfropfen geschnitten waren. Auch Pfropfenmänner und Pfropfenfrauen konnte Rose anfertigen, indem sie Streichhölzchen als Arme und Beine in die Pfropfen steckte. Als Kopf klebte sie ein weißes Papierblättchen auf, und Pucki zeichnete freudestrahlend Augen, Nase und Mund mit Rotstift darauf.
Besondere Freude machte dem Försterskinde die Herstellung einer kleinen Kommode, die für die Mutter bestimmt war. Sechs Streichholzschachteln wurden zu je drei übereinander geklebt.
»Es sieht wirklich aus, als wäre es eine Kommode. Nun hat sie sechs kleine Schubladen.«
Ein Bandrest, so breit wie die Streichholzschachteln, wurde um die sechs Schachteln gelegt und an einer Stelle sauber zusammengenäht.
»Deine Mutti kann nun in jedes Schübchen etwas anderes legen, Pucki. In ein Schübchen weiße Hemdenknöpfe, in das zweite Stecknadeln, ins dritte Haken und Ösen und so weiter. Und damit sie weiß, was jedes Schübchen enthält, nähen wir vorn an das Kästchen immer das an, was hineinkommen soll. Wir können die kleine Kommode auch noch schöner machen und die Schübe vorn und hinten mit Papier bekleben und erst dann die Knöpfe und Haken daraufnähen.«
Pucki ging mit Feuereifer an die Arbeit. »Wenn diese Kommode fertig ist, machen wir rasch noch eine für den großen Claus.«
»Ach nein, Pucki, der große Claus kann damit nichts anfangen. Das ist nur etwas für Muttis.«
»Ich möchte aber dem großen Claus was machen. – Weißte nicht was? Soll ich ihm einen Topfhandschuh nähen?«
Rose überlegte. »Einen Topfhandschuh braucht er auch nicht – aber du kannst ihm einen Serviettenring aus bunten Perlen machen. Das ist leicht und was sehr Schönes.«
Pucki wollte sogleich mit der Arbeit beginnen, doch Rose meinte, erst müsse die kleine Kommode für die Mutti fertiggestellt werden. Man dürfe nicht vieles auf einmal anfangen. Trotzdem wurde neben dieser Arbeit, die im geheimen betrieben wurde, noch vielerlei anderes gebastelt. Wenn aus Rahnsburg die Schulfreundinnen von Pucki ins Forsthaus kamen, so bestaunten sie die schönen Dinge, die unter Roses Händen entstanden. Schließlich schleppten die kleinen Mädchen allerlei buntes Papier, Pappe, Draht, Pfropfen und Zigarrenkisten ins Forsthaus. Stundenlang saßen die Kinder nun zusammen und fanden es herrlich, ihr Spielzeug selber herstellen zu können.
Förster Sandler und seine Frau staunten ebenfalls, was Roses geschickte Hände fertigbrachten. Aus Flaschenkorken waren Männer, Frauen und Pferde entstanden, sogar eine Lokomotive stand auf dem Tisch. An Puppenmöbeln waren Stühle, Tische, Schränke und Betten gefertigt worden, alles sauber und ordentlich gearbeitet. Sogar einen ganzen Hühnerhof hatte Rose gebaut. Auf einen Pappdeckel klebte Rose Moos, machte aus Pappe ein Hühnerhaus und umgab alles mit einem Zaun. Die Hühner, gleichfalls aus Pappe gefertigt, erhielten Beine aus Draht, damit sie stehen konnten. Diese selbst gebastelten Spielsachen machten den Kindern die denkbar größte Freude. Von nun an wurde in fast allen Rahnsburger Familien, in denen kleine Mädchen waren, ähnliche Spielsachen gearbeitet.
Pucki, die gewöhnlich nur zusah, wenn andere tätig waren, fand dieses Mal auch Gefallen an der Beschäftigung. Strahlend zeigte sie den Niepelschen Drillingen ihre Kunstwerke. Walter und Fritz bestaunten die Sachen, während Paul vieles daran auszusetzen hatte.
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