Roger Behrens - Postmoderne

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Kaum ein Begriff aus der Wissenschaft hat eine solche Popularität erlangt, wie der der Postmoderne. Doch was bedeutet er genau? Am Anfang stand die Krise der Moderne: das 20. Jahrhundert mit seinen Kriegen, Revolutionen, totalitären Großentwürfen. Fortschrittsglaube und westlicher Überlegenheitsanspruch waren danach nicht mehr denkbar. Die Theorien der Postmoderne spiegeln den Zustand der modernen Welt: individualisierte Lebensläufe, globale Kommunikation, Demokratisierung. Zielsicher und theorieerfahren zeigt Roger Behrens Ursprünge und Verzweigungen des postmodernen Projekts und erschließt es damit für alle Leser, die in diesem spannenden Feld Klarheit und Übersicht wünschen.

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Die Skyline von New York für Jean Baudrillard waren die Zwillingstürme des - фото 2

Die Skyline von New York; für Jean Baudrillard waren die Zwillingstürme des World Trade Center »Ikonen der Moderne«. – »Ich bin auf dem Wege des theoretischen Terrorismus. Ich sehe keine andere Lösung.«

Jean Baudrillard, 1983

Postmoderne als redigierte Moderne

Das Problem der Postmoderne ist zunächst weniger sie selbst und ihre Definition, sondern die Moderne. Postmoderne Theorien diagnostizieren für die Moderne: Die Freiheiten und Sicherheiten des modernen Individuums bedeuten die Zunahme seiner Unfreiheit und Unsicherheit; die wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen der Moderne sind keineswegs nur ein Fortschritt, sondern haben sich als unberechenbare Bedrohung der Menschheit herausgestellt. Die Postmoderne ist insofern der diagnostische Reflex auf das offenkundige Scheitern der Moderne. Doch Postmoderne reflektiert nicht nur die Ambivalenzen des Modernisierungsprozesses, sondern stellt die Prinzipien dieses Prozesses selbst in Frage: Für Jean-François Lyotard bildet Auschwitz, der planmäßige Massenmord an den europäischen Juden, die Signatur des Zivilisationsbruchs, der so einschneidend ist, dass das »unvollendete Projekt der Moderne« (wie es der Soziologe Jürgen Habermas verteidigt) nicht mehrfortgesetzt werden kann. Vielmehr müsste die Moderne redigiert, das heißt umgeschrieben werden.

»Die Postmoderne wäre eher eine Krise dieses Projekts der Moderne selber.«

Andreas Huyssen, ›Postmoderne – eine amerikanische Internationale?‹

Und wenn Lyotard hier vom Schreiben spricht, so ist das wörtlich zu nehmen: Die Moderne gründet in der Schriftkultur, in der Idee einer Logik, die mit Vernunft und Sprache gleichermaßen verbunden ist (›lógos‹). Zwar gehört zur Moderne ihre Selbstkritik dazu, doch bleibt diese Reflexion gewissermaßen in der Logik der Moderne, nämlich in ihrem Text gefangen: in den Gesetzen, in der Philosophie, in ihrer Geschichtsschreibung etc. Die Postmoderne stellt nun die Logik der Moderne in Frage, indem sie in diese Texte eindringt. Denn die Katastrophe der Moderne folgt einer Logik, die es mit ihren eigenen sprachlichen Mitteln nicht mehr ermöglicht, ihre Geschichte weiter zu erzählen. Für Lyotard ist deshalb Auschwitz das Nicht-Darstellbare, das mit keiner Sprache der Moderne begriffen oder ausgedrückt werden kann.

»Es ist das eigentlich Verführerische am postmodernen Diskurs: dass er, auf die Probe gestellt, unüberprüfbar wird.«

Gérard Raulet, ›Leben wir im Jahrzehnt der Simulation?‹, in: Peter Kemper (Hg.), ›»Postmoderne«. Oder der Kampf um die Zukunft‹

Gleichzeitig, so lässt sich mit Jean Baudrillard kontrastieren, ist die postmoderne Welt die durch das Fernsehen hergestellte Welt, in der permanent alles seinen medialen Ausdruck findet, in der die Wirklichkeit bloß noch simuliert wird und ungewiss ist, ob es das, was wir Realität nennen, überhaupt jenseits der medialen Simulation gibt. Die Welt bestehe nur noch aus Oberflächen der Simulation; Baudrillard hat dies für den 11. September in einem zweifelhaften Zynismus kulminieren lassen, indem er mutmaßte, dass die Terroranschläge auf die sowieso nur simulierte Realität der Twin Towers vielleicht gar nicht stattgefunden haben. (Jean Baudrillard, ›Der Geist des Terrorismus‹, Wien 2002)

Nach der Postmoderne ist vor der Postmoderne. Der Begriff der Postmoderne hat in seinen unterschiedlichen Fassungen und Varianten mehr Probleme hervorgebracht, als er zu lösen vermochte. Und gerade die gefährlichen und zynischen Positionen von Jean Baudrillard auf der einen Seite sowie die kritischen reflektierten Positionen von Jean-François Lyotard auf der anderen Seite unterstreichen die Notwendigkeit, den Begriff und die Diskussionen der Postmoderne in allen Facetten zu differenzieren.

»Das Moderne ist wirklich unmodern geworden.«

Theodor W. Adorno, ›Minima Moralia‹

Der Begriff »Postmoderne« ist schillernd und widersprüchlich: Einige haben die Postmoderne als neue Epoche proklamiert und zum Teil zynisch die Moderne vollends abgelehnt. Andere versuchten im Sinne einer kritischen Postmoderne die reflektierte Fortsetzung und Neubegründung der Moderne. Die Schwierigkeit der Definition der Postmoderne erscheint dabei selbst als Indiz der Postmoderne.

Die postmoderne Moderne

Den unterschiedlichen Theorien der Postmoderne gemeinsam ist ihr kritisches Verhältnis zur Moderne. Es geht um eine radikale Pluralisierung der modernen Kultur und Gesellschaft.

Die Postmoderne, das Postmoderne, der Postmodernismus, die Vorsilbe ›Post‹

Heißt es die oder das Postmoderne? Ist es die postmoderne Moderne oder die moderne Postmoderne? Gibt es Postmodernismus? Bedeutet die Postmoderne einen Zustand oder eine Haltung? Gibt es mehrere Postmodernen? Ist die Postmoderne ein Zeitpunkt oder eine Tendenz, ein Zeitraum, ein Geschichtsabschnitt oder ein überzeitliches Phänomen? Bezeichnet die Postmoderne eine Epoche, beschreibt sie sogar einen Paradigmenwechsel? Ist die Postmoderne »gemacht« worden, oder folgt sie einer »verborgenen Logik« der Moderne? Kann man das Postmoderne sehen, ist es anschaulich, manifestiert es sich in Verhältnissen und Gegenständen? Oder ist die Postmoderneeine Struktur, die sich abstrakt, hinter dem Rücken der Menschen durchsetzt? Und ist die Moderne auch eine Struktur, oder unterscheidet sich genau darin die Postmoderne von der Moderne? Ist denn die Postmoderne überhaupt von der Moderne zu unterscheiden? Was geschieht mit der Moderne in der Postmoderne? Leben wir noch in der Postmoderne, beziehungsweise was kommt nach der Postmoderne?

»Freiheit Gleichheit, Brüderlichkeit war der Schlachtruf der Moderne. Freiheit, Verschiedenheit, Toleranz ist die Waffenstillstandsformel der Postmoderne. Und wenn Toleranz in Solidarität umgewandelt wird, kann sich Waffenstillstand sogar in Frieden verwandeln.«

Zygmunt Bauman, ›Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit‹

Der Fragenkatalog könnte fortgesetzt werden; und für jede Frage finden sich unzählige Antworten, die sich nicht selten widersprechen. Fest steht lediglich, dass mit »Postmoderne« ein Bruch in der Geschichte der Moderne bezeichnet wird, der so tief geht, dass die bisherigen Motive, Muster und Maßgaben der Moderne grundlegend überdacht, neu formuliert, wenn nicht aufgegeben werden müssen.

Die kritische Stellung der postmodernen Theorien zur modernen Wissenschaft erschwert eine wissenschaftliche Begriffsbestimmung ebenso wie der inflationäre Gebrauch der Vorsilbe ›Post‹ sowie die Reduzierung des Postmoderne-Begriffs zum beliebigen, konturlosen Schlagwort. Plötzlich, mitten in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts, war alles »postmodern«, und zwar nicht nur die Philosophie und die Künste, sondern das Alltagsleben, die Arbeit, die Liebesbeziehungen, die Wohnungseinrichtungen, der Urlaub, die Freizeit, das Essen, die Kleidung und sogar die Naturgesetze. Die Vorsilbe ›Post‹, die erst einmal nur ein zeitliches ›Nach‹ bezeichnen sollte, konnte an jedes Wort gehängt werden: Es gab nicht nur das postindustrielle Zeitalter, das postmetaphysische Zeitalter, die Posthistoire, den Postfordismus, sondern den Postmarxismus, den Postkommunismus, den Postrock, den Postfeminismus, die ›Postcolonial Studies‹, den Postpunk, die postavantgardistische Kunst, den Postrealismus, den Poststrukturalismus und schließlich den Post-Postmodernismus.

»Es deutet alles darauf hin, dass das, was wir Postmoderne nennen, nicht abzutrennen und nicht denkbar ist ohne die grundsätzliche Annahme eines fundamentalen Wandels der Kultur in der Welt des Spätkapitalismus, das heißt einer folgenschweren Veränderung ihrer gesellschaftlichen Funktionsbestimmung.«

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