Ich warf einen Blick in die Runde meiner Freunde. Mallister hatte die Reise am meisten mitgenommen, sein Blick war angespannt und er hielt Minas Hand, als sei er am Ertrinken. Um Hekon musste ich mir weniger Sorgen machen – Gertrud kümmerte sich liebevoll um ihn und half ihm mit ihren magischen Fähigkeiten über die Schrecken hinweg, die der Blinde Fleck den Nichtmagiern bescherte. Unwillkürlich musste ich lächeln. Die beiden hätten gegensätzlicher nicht sein können, und doch schien es so, als seien sie füreinander bestimmt. Ich fragte mich, ob sie sich dessen bereits bewusst waren. Timmon döste vor sich hin. Er kam allein zurecht und wusste mit seinen Kräften hauszuhalten.
Nun warteten wir auf Gernots Rückkehr.
Unauffällig gesellte ich mich zu Mina und legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm, versuchte, ihr ein bisschen mit meiner Magie zu helfen.
„Es wundert mich überhaupt nicht, warum noch nie jemand auf die Idee gekommen ist, diesen Weg zu nehmen“, stellte Mallister entmutigt fest. „Das ist ja kaum zu ertragen!“ Mina kuschelte sich an ihn. „Wenn ich dich schon nicht sehen kann, so möchte ich doch wenigstens spüren, dass du da bist.“
Natalie stimmte Mallister zu. „Du hast recht, wir sollten sehen, dass wir so schnell wie möglich hier rauskommen.“
„Zum Glück ist wenigstens einer in der Lage, herauszufinden, wo wir hinmüssen, während der Rest hier dumm herumsitzen muss“, grummelte Mallister und nickte in Richtung von Gernots verlassenem Lager.
„Ach Mallister, der Nebel schlägt dir wohl aufs Gemüt.“ Natalie war überrascht über Mallisters plötzlichen Stimmungsumschwung und irgendwie auch erleichtert – wenigstens war er jetzt nicht mehr so depressiv.
„Ja, Natalie, er macht mich richtig aggressiv! Und noch schlimmer ist es, hier sitzen zu müssen, nichts zu sehen und nichts tun zu können.“
„Ich kann dich gut verstehen. Mir geht es genauso. Ich würde auch lieber etwas tun.“
Kurz darauf kam Gernot zurück.
„Da drüben ist etwas. Ein Lagerfeuer. Es sitzen zwei schwarze Gestalten dort.“ Er warf Natalie einen Blick zu. „Wenn mich jemand begleiten würde, könnten wir sie gleichzeitig erledigen.“
„Ich könnte das machen“, bot Mallister sich an.
„Du?“ Gernot warf ihm einen verwunderten Blick zu, bisher war sein Gefährte Kämpfen immer aus dem Weg gegangen.
„Na ja – besser als hier herumsitzen. Ich komme mir gerade so nutzlos vor.“ Mallister zuckte mit den Schultern.
„Unsere Zeit kommt noch“, wandte sich Timmon ihm zu. „Jetzt brauchst du vor allem eins – Geduld!“
Mallister fügte sich schnell und sie beschlossen schließlich, dass Gernot und Natalie sich um die beiden Späher kümmern würden, während Gertrud und Timmon Wache hielten. Mallister und Hekon blieb nichts anderes übrig, als ihre Schwerter bereitzuhalten, falls die beiden Wachen etwas meldeten.
Ich hatte Gernot den Vortritt gelassen und schlich nun leise hinter ihm über die Lichtung. Dabei erinnerte ich mich an den Tag, an dem ich in Grüenlant angekommen war. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Hier hatte ich zum ersten Mal Seite an Seite mit Keiran gekämpft – und mich ziemlich unbeholfen mit dem Schwert angestellt. Unwillkürlich musste ich lächeln. Was war in der Zwischenzeit alles passiert – irgendwie war ich ein völlig anderer Mensch geworden.
Vor uns, auf der anderen Seite der Lichtung, hörte ich etwas. Ich spannte die Sehne meines Bogens, Gernot neben mir tat das Gleiche. Vorsichtig schlichen wir weiter, und tatsächlich – am Rande der Lichtung, auf Vârunger Seite, saßen zwei schwarze Gestalten an einem Lagerfeuer, dessen Schein vom Nebel stark gedämpft wurde. Sie schienen nicht damit zu rechnen, dass irgendjemand kommen würde, und unterhielten sich laut.
Gernot und ich schlichen noch etwas näher heran. Mit Zeichen ordneten wir uns den beiden zu, kurz darauf sirrten unsere Bogensehen gleichzeitig und bevor die Gestalten etwas bemerkt hatten, steckten ihnen unsere Pfeile mitten im Herzen.
Wir näherten uns langsam dem Lagerfeuer, es konnte ja sein, dass noch mehr Leute in der Nähe waren. Nichts tat sich.
„Den Spuren nach ist hier keiner mehr.“ Gernot deutete auf den Platz um das Feuer. Trotzdem sahen wir nach, konnten aber niemanden entdecken. Gernot löschte das Feuer, die beiden Leichen ließen wir liegen.
Wir durchsuchten ihr Gepäck, doch außer ein paar Essensvorräten konnten wir nichts finden, was uns irgendeinen Aufschluss über eine eventuelle Mission der beiden gegeben hätte. Also nahmen wir an, dass deren Aufgabe tatsächlich nur in der Bewachung des Tors bestanden haben durfte.
Auf dem Rückweg, der uns näher am Tor vorbei führte, fiel mir auf, dass die beiden Leichen der Schergen, die Keiran und ich damals getötet hatten, verschwunden waren. Dafür fand ich etwas anderes: einen Dienstausweis des BKA, ausgestellt auf Tobias Werner. Meine Nackenhaare stellten sich auf und mich durchfuhr ein eisiger Schrecken.
„Ich weiß, warum jemand hier war!“ Aufgeregt zeigte ich Gernot meinen Fund. „Sie haben Tobi geholt!“
„Wer ist Tobi?“ Verwundert sah er auf die kleine Karte und betrachtete das Foto.
„Tobi – ist mein Freund. Drüben. Wir haben zusammen – gearbeitet, also – so wie wir beide jetzt. Das muss Magna gewesen sein!“
„Welchen Sinn sollte das haben? Ich meine – wenn sie dich damit hätte erpressen wollen, dann hätte sie es doch schon längst getan. Und wenn sie ihn töten wollte, warum auch immer, dann hätte sie es – drüben erledigt, so wie bei … bei deiner Mutter.“ Gernot schluckte. „Wozu braucht sie ihn hier?“
„Meine Güte, die Waffen!“ Plötzlich fiel es mir ein. Die verschwundene Waffenlieferung! Magna brauchte jemanden, der ihr dabei half, die Technologie zu verstehen und sie richtig zu gebrauchen. Und indem sie meinen Freund für sich gewann, schadete sie mir zusätzlich. Aber Tobi – warum um alles in der Welt sollte er sich darauf einlassen?
Es nutzte nichts, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen. Wenn meine Vermutung stimmte, war er bei dem Heer an der Küste zu finden. Ich hoffte nur inständig, dass er keine Dummheiten machte oder sich gar in Lebensgefahr begab.
„Halt – wer da?“ Mallister saß aufrecht, aufgeschreckt durch ein Geräusch, aber Gertrud beruhigte ihn gleich wieder. „Keine Angst, das sind Natalie und Gernot.“ Tatsächlich schälten sich die beiden kurz darauf aus dem Nebel.
„Die andere Seite ist sauber. Wir sollten uns hier etwas ausruhen und morgen weiterreiten. Wir sind alle erschöpft.“ Gernot ließ sich neben Mallister nieder. Die beiden Späher erwähnten wir nicht.
„Wir haben etwas entdeckt.“ Natalie erzählte von ihrem Fund. Mallister wurde hellhörig. „Ist das der Tobi, von dem du uns erzählt hast? Dein Freund?“
„Genau der.“
Mallister besah sich den Dienstausweis und drehte ihn in den Fingern.
„Oh–oh Natalie, du stehst Keiran in Blindheit in nichts nach … Was glaubst du wohl, was der hier will?“
Ich konnte nicht umhin, über Mallisters Bemerkung nachzudenken. Ich – blind? Was meinte er damit? Doch nicht etwa, dass Tobi – dass Tobi etwas für mich empfand? Das war nicht möglich, wir kannten uns schon so lange! Und wenn es so wäre – warum hatte Tobi dann nie etwas gesagt?
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