Noch an demselben Abend, an welchem Anzoleto im Pallast Zustiniani geglänzt hatte, nahm der Graf, der eben erst mit seinem Freunde Barberigo über die Schelmereien seiner Maitresse gescherzt hatte, sobald er seine Säle geleert und die Flambeaux gelöscht sah, Mantel und Degen, und lief, um sich »reinen Wein« zu holen, nach dem Pallaste, welchen die Corilla bewohnte.
Er überzeugte sich, dass sie allein war, und war doch doch nicht beruhigt; er fand den Barcarolen der Prima Donna beschäftigt die Gondel unter das Gewölbe zu stoßen, welches dieselbe aufzubewahren diente, und ließ sich mit dem Menschen in Gespräch ein; mittelst einiger Zechinen öffnete er ihm den Mund und fand seine Vermutung bestätigt, dass Corilla jemanden unter Weges in ihrer Gondel bei sich gehabt hatte. Aber er konnte nicht erfahren, wer dieser Begleiter war, der Gondelier wusste es selbst nicht. Er hatte den Anzoleto wohl hundertmal bei dem Theater und dem Pallaste Zustiniani gesehen, hatte ihn aber in der Dunkelheit unter seinem schwarzen Anzuge und dem Puder nicht erkannt.
Dieses undurchdringliche Geheimnis verstimmte den Grafen vollends. Er hatte Trost gesucht im Bespötteln seines Nebenbuhlers, der einzigen, nach den Regeln des guten Geschmackes erlaubten Rache, die aber in Zeiten der eiteln Schaustellung nicht minder grausam ist als der Mord in den Epochen ernstlicher Leidenschaft. Er konnte nicht einschlafen, und noch ehe die Stunde schlug, da Porpora im Konservatorium für die armen Töchter seinen Musikunterricht zu beginnen hatte, machte er sich auf den Weg nach der Scuola dei Mendicanti und trat in den Saal, in welchem sich die jungen Mädchen versammeln sollten.
Die Stellung des Grafen zu dem gelehrten Professor war seit einigen Jahren eine ganz andere geworden. Zustiniani war nicht mehr der musikalische Gegner Porpora’s, sondern sein Verbündeter und gewissermaßen sein Vorgesetzter; er hatte dem Institute, welches dieser geschickte Meister leitete, beträchtliche Schenkungen gemacht, und aus Dankbarkeit hatte man ihm die obere Aufsicht über dasselbe anvertraut. Die beiden Freunde lebten von der Zeit an in so gutem Einvernehmen als es die Unduldsamkeit des Professors gegen die modische Musik nur immer zuließ, eine Unduldsamkeit, die übrigens in demselben Maße sich verminderte, als der Graf mehr und mehr, mit seinen Bemühungen und mit seinem Gelde, für die Förderung und Ausbreitung der ernsten Musik tat. Dazu kam noch, dass er eine Oper Porpora’s, welche dieser Meister soeben beendet hatte, in Sau Samuel aufführen ließ.
– Lieber Meister, sagte Zustiniani, indem er ihn bei Seite nahm, ihr müsst euch nicht allein entschließen euch eine eurer Schülerinnen für das Theater wegnehmen zu lassen, sondern ihr müsst mir sogar diejenige bezeichnen, welche Euch selbst am besten geeignet scheint, die Stelle der Corilla auszufüllen. Diese Sängerin wird matt, ihre Stimme nimmt ab, ihre Capricen richten uns zu Grunde und das Publicum wird ihrer bald überdrüßig sein. Wir müssen wahrhaftig daran denken, ihr eine Succeditrice zu geben. (Verzeihe, lieber Leser, es ist dies der hergebrachte Ausdruck in Italien, kein neu vom Grafen gebildetes Wort.)
– Ich kann euch nicht dienen, gab Porpora trocken zur Antwort.
– Was alle Welt, Meister! rief der Graf, wollt ihr wieder in eueren gallichten Humor zurückfallen? Ist es wohl recht, dass ihr nach einem so großen Aufwand von Geld und Mühe, wie ich ihn an die Beförderung euerer musikalischen Zwecke gesetzt habe, mir den ersten kleinen Gefallen abschlagt, den ich in Rat und Tat von euch für die meinigen in Anspruch nehme?
– Nein, dazu habe ich kein Recht mehr, Graf, erwiderte der Professor; und was ich euch gesagt habe, ist die lautere Wahrheit, wie ich sie dem Freunde sage, dem ich mit Freuden einen Dienst leiste. Ich habe in meiner Singeschule keine einzige Person, welche euch die Corilla ersetzen könnte. Ich schlage sie nicht höher an, als nötig: aber während ich erklären muss, dass das Talent dieses Mädchens in meinen Augen gar keinen reellen Wert hat, darf ich doch auch nicht verhehlen, dass sie ein Savoir-faire, eine Routine, eine Leichtigkeit, ein Eingehen auf die Stimmung des Publicums besitzt, wie sich das nur durch jahrelange Übung erreichen lässt, und wie es andere Debütantinnen nicht so bald erringen werden.
– Das ist wahr, sagte der Graf, aber am Ende haben wir die Corilla gebildet, wir haben ihre Anfänge gesehen, wir haben sie in die Gunst des Publikums eingeführt: drei Viertel von ihrem Erfolge verdankt sie ihrer Schönheit und ihr habt in euerer Schule noch eben so reizende Wesen. Das werdet ihr nicht in Abrede stellen, lieber Meister! Zum Beispiel, die Clorinda, müsst ihr gestehen, ist doch das schönste Geschöpf der Erde.
– Ja, aber verschroben, geziert, unleidlich … Zwar, es ist möglich, dass das Publicum diese lächerlichen Grimassen entzückend finde … aber sie singt falsch, hat keine Seele, keine Auffassung … Zwar, das Publicum hat deren ebenso wenig als Gehör … Aber sie hat kein Gedächtnis, keine Gewandtheit, und sie wird sich nicht einmal durch die glückliche Charlatanerie vor dem Fiasko retten, die – so vielen Leuten zu statten kommt.
Bei diesen Worten fiel des Professors Blick unwillkürlich auf Anzoleto, der auf seinen Anspruch als Günstling des Grafen gestützt und unter dem Vorgehen, dass er diesen sprechen müsste, sich in die Klasse eingeschlichen hatte und in geringer Entfernung stand, der Unterredung horchend.
– Tut nichts, sagte der Graf, ohne auf die boshafte Anspielung des Meisters zu achten: ich gebe meine Idee nicht auf. Es ist lange, dass ich die Clorinda nicht gehört habe. Wir wollen sie kommen lassen, und noch fünf oder sechs andere, die hübschesten, die da sind. Schau, Anzoleto, setzte er lachend hinzu, du bist recht gut ausstaffiert um dir das Ansehen eines jungen Professors zu geben. Gehe in den Garten und suche dir die schönsten unter diesen jungen Damen aus; denen sage, dass wir sie hier erwarten, der Herr Professor und ich.
Anzoleto tat wie ihm geheißen war, aber er brachte, entweder aus Schalkheit, oder weil er seine Absichten dabei hatte, die hässlichsten von Allen, man hätte mit Jean-Jacques ausrufen können: Einäugig war Sofia, die Cattina war lahm.
Dieses Quiproquo wurde mit Heiterkeit aufgenommen, und nachdem die Herren sich ins Fäustchen gelacht, bezeichnete der Professor den jungen Mädchen diejenigen ihrer Gefährtinnen, welche sie an ihrer Stelle schicken sollten. Eine allerliebste Gruppe erschien alsbald, in ihrer Mitte die schöne Clorinda. –
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